Vaterschaftsurlaub: Kommt er oder nicht?

Luke, ich bin’s, dein Vater!

oder

Die frühe Bindung zum Kind kann das soziale Verhalten von Vätern verbessern.

 

Vaderschaftsurlaub?

Nein, kein Druckfehler. In diesem Artikel geht es zwar um den Vaterschaftsurlaub, aber Darth Vader soll uns als Aufhänger dienen.

Zugegeben, Darth Vader ist nicht gerade als Vorreiter väterlicher Fürsorge bekannt. Ganz im Gegenteil: Der Bösewicht der „STAR WARS“-Saga bekennt sich erst spät zu seinem Sohn Luke Skywalker, ignoriert seine Tochter völlig und vernachlässigt im Arbeitseifer seine sämtlichen väterlichen Pflichten.

Wer weiß, welche Wendung die Saga genommen hätte, wenn die dunkle Seite der Macht ihm den Aufbau einer frühen Beziehung zu seinen Kindern durch einen Sonderurlaub ermöglicht hätte?

Frühe Beziehung zum Kind durch Vaterschaftsurlaub.

Viele Väter verfolgen nämlich im 21. Jahrhundert ein anderes Lebensmodell. Sie möchten für ihre Sprösslinge wie auch für deren Mutter von Geburt an präsent sein und ihrer Vaterrolle innerhalb der Familie gerecht werden. Wobei die Begriffe Vaterrolle wie auch Vaterschaftsurlaub im Zeitalter von Lebenspartnerschaften und Adoptionen nicht immer perfekt passen. Dazu später mehr.

Die frühe Bindung zum Kind

Als im Jahr 2019 die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verabschiedet wurde, sah sie unter anderem vor, dass die EU-Mitgliedsstaaten ein Anrecht auf bezahlten Vaterschaftsurlaub einführen.

Wer hat die Windel gewechselt? VADER WARS!

Mit diesem möchte die EU die Betreuungs- und Pflegeaufgaben rund um das Neugeborene gleichmäßiger aufteilen und eine ebenso frühe wie enge Bindung zwischen Vätern und Kindern ermöglichen.

Daher müsse der Vaterschaftsurlaub „um den Zeitpunkt der Geburt des Kindes herum genommen werden und eindeutig mit der Geburt – zum Zweck der Erbringung von Betreuungs- und Pflegeleistungen – zusammenhängen“. Die genauen Bedingungen stellte die EU-Kommission hierbei den Mitgliedsstaaten frei.

Die EU-Richtlinie

 

Der vollständige Titel der EU-Richtlinie lautet „RICHTLINIE (EU) 2019/1158 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates“.

Mehr Anreize (nicht nur) für Väter

Zu gering seien die Anreize für Männer, einen gleichwertigen Anteil an diesen Aufgaben zu übernehmen, so das Europäische Parlament, zu stereotyp die Rollenverteilung bei Eltern.

Schließlich entwickelten Männer, die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Anspruch nähmen, nicht nur eine engere Bindung zur Familie. Sie entlasteten auch ihre Frauen, welche überdies ihre unbezahlte Familienarbeit in höherem Maße gegen eine bezahlte Beschäftigung eintauschen könnten.

Für die nationale Umsetzung der Richtlinie zum Vaterschaftsurlaub wurde den EU-Mitgliedsstaaten eine Frist bis zum Sommer 2022 gesetzt. Vorgegeben wurde der Anspruch auf mindestens zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub, wobei dieser nicht nur Vätern, sondern auch gleichgestellten zweiten Elternteilen gewährt werden müsse.

Kein Unterschied beim Familienstand +

Vaterschaftsurlaub ist auch für gleichgestellte zweite Elternteile gedacht:

Die Richtlinie schreibt ausdrücklich vor, dass der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub unabhängig vom Ehe- oder Familienstand gewährt wird. Damit möchte man Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten vermeiden, schließlich sind nicht überall (gleichgeschlechtliche) Lebenspartner den verheirateten Vätern rechtlich gleichgestellt.

Wo aber bleibt der Vaterschaftsurlaub nun?

Während sich viele Länder sogleich mit der Umsetzung beschäftigten und den Vaterschaftsurlaub fristgemäß ermöglichten, – Finnland zahlt als Spitzenreiter bis zu 54 Tage lang Vaterschaftsgeld und Nachzügler Slowakei gewährt gar bis zu 37 Wochen Vaterschaftsurlaub -, verschob dies die deutsche Bundesregierung zunächst.

Eine der offiziellen Begründungen des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Man wolle kleine und mittlere Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Phase nicht überlasten.

„In der gegenwärtigen Krise ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Das machen wir später.“

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), November 2022

Begründung Nummer 2: Die deutsche Elternzeit- und Elterngeldregelung stelle Mütter und Väter bereits besser als EU-rechtlich vorgesehen. Tatsächlich sind innerhalb der EU lediglich vier Monate Elternzeit Pflicht (zwei davon bezahlt), während in Deutschland insgesamt bis zu drei Jahre Elternzeit gewährt werden. Ergo, so die Bundesregierung, sei der Vaterschaftsurlaub eigentlich überflüssig, schließlich könnten Väter ja um die Geburt ihrer Kinder einen Teil ihrer Elternzeit beantragen.

„Das BMFSFJ hebt auf seiner Internetseite hervor, dass Deutschland durch die umfassenden Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld nicht verpflichtet ist, die in der EU-Richtlinie vorgegebene zehntägige bezahlte Auszeit für den zweiten Elternteil nach der Geburt des Kindes umzusetzen.“

Vaterschaftsurlaub = Elternzeit?

Falsch! sagt dazu die EU-Kommission. Vaterschaftsurlaub sei eben nicht der Elternzeit zuzuordnen, sondern – ebenso wie der Mutterschutz (MuschG) – eine davon unabhängige Regelung. Der EU-Richtlinie sei nachzukommen, Deutschland genieße hier keine Sonderstellung.

Die EU-Kommission hat demzufolge ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere Staaten eingeleitet, die bei Fristablauf der Umsetzung der EU-Richtlinie noch nicht nachgekommen sind.

Elternzeit kann bis zum 8. Lebensjahr des Kindes genommen werden.

Der steigende Druck zeigt Wirkung: Die deutsche Bundesregierung plant nun für 2024 die Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Vaterschaftsurlaub. Angedacht sind sogar 14 statt der geforderten 10 Tage Vaterschaftsurlaub. Allerdings stellt neben den genannten Gründen vor allem der sogenannte Regulierungsort ein Problem dar, also das Gesetz, innerhalb dessen der Vaterschaftsurlaub verankert wird.

Zum Vergleich: Das Mutterschutzgesetz

Müttern steht gemäß Mutterschutzgesetz (MuschG) bis zu zwölf Wochen nach der Geburt eine bezahlte Freistellung von der Arbeit zu. Gezahlt wird allerdings kein Gehalt durch den Arbeitgeber, sondern Mutterschaftsgeld durch die Krankenkasse. Je nach der Höhe des während dieser Zeit entfallenden Arbeitslohns zahlt der Arbeitgeber jedoch einen Zuschuss.

Wer soll das bezahlen?

Zur Wahl stehen das Mutterschutzgesetz (MuSchG) sowie das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).

Je nachdem, in welchem der beiden Gesetze der Vaterschaftsurlaub später verankert wird, ist dessen Finanzierung und administrative Ausgestaltung entweder an das Elterngeld oder an das Mutterschaftsgeld mit Arbeitgeberzuschuss angelehnt.

Das Elterngeld ist eine Leistung des Bundes, während das Mutterschaftsgeld von den Gesetzlichen Krankenkassen gezahlt wird.

Die wehren sich natürlich gegen diese Aufwendungen, immerhin beantragten im Jahr 2022 fast 500.000 Väter Elternzeit. Nähmen sie alle zusätzlich 14 Tage lang Vaterschaftsurlaub, fielen Milliardenbeträge für ihren Lohnausgleich an.

Freie Hand bei Details

Die EU lässt den Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung des Vaterschaftsurlaubs viel Raum für Detaillösungen. Sie können beispielsweise selbst entscheiden, ob dieser schon vor oder erst nach der Geburt genommen werden kann, ob er an einem Stück genommen werden muss und ob Väter währenddessen in Teilzeit arbeiten dürfen.

Favorit für den Regulierungsort ist zurzeit übrigens das Mutterschutzgesetz, also Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Ob deren Beiträge durch die Finanzierung des Vaterschaftsurlaubs langfristig steigen werden, liegt ebenso im Bereich der Spekulationen wie die Frage, ob das durch die EU-Kommission angestrengte Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof endet – oder wie viele Väter den Vaterschaftsurlaub letztlich überhaupt in Anspruch nehmen.

Verbundenheit zum Kind – und zum Unternehmen

Auch wenn dessen Finanzierung teuer wird: Es bleibt zu hoffen, dass viele frischgebackene Väter die Mütter ihrer Kinder entlasten und sich ihnen beim Einstieg in ihre Vaterrolle voll und ganz widmen werden.

Und auch wenn die Organisation des Vaterschaftsurlaubs für manche Unternehmen eine besondere Herausforderung darstellen wird: Emotionale Bindung ist nicht nur im Vater-Kind-Verhältnis ein Erfolgsgarant, sondern auch betriebsintern zum Halten von Fachkräften. Schließlich sorgt die vielbeschworene Work-Life-Balance bekanntermaßen für eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen.

Damit tat sich übrigens auch Darth Vader am Ende seines entbehrungsreichen Lebens schwer – und sah sich Konfrontationen mit Sohn Luke ebenso ausgesetzt wie mit seinem Arbeitgeber.

Vielleicht schafft es der Vaterschaftsurlaub ja, im Leben anderer Väter und Familien für mehr Balance zu sorgen.

 

Ergänzung:

Laut einer in Großbritannien durchgeführten Umfrage der Sleep Foundation aus dem Jahr 2019, bei der 2.000 Britinnen und Briten befragt wurden, schlafen Frauen im Schnitt drei Stunden weniger als Männer, und das pro Nacht – der so genannte Gender Sleep Gap. Ein großer Unterschied, der nur auf den ersten Blick überrascht. Denn insbesondere bei Neugeborenen ist in der Regel die Mutter dafür zuständig, sozusagen für Ruhe zu sorgen.

„Klar“, sagen viele Väter, „schließlich können wir Männer nicht stillen!“ Dass Babies nicht nur wegen Hungers schreien, sondern manchmal einfach schlecht träumen oder ihr Schnuller im Schlaf abhanden kam, wird geflissentlich ignoriert. Frauen können das besser einschätzen, wegen dieser Empadings oder wie das heißt.

Nicht nur für Neugeborene sind Mütter hauptsächlich zuständig. Auch größere Kinder haben Albträume oder Schmerzen. Gerüchten zufolge sind sie sogar oft krank. Wer aber meint, dass wenigstens in diesen Fällen die Väter gentlemanlike einspringen, – schließlich zieht das Stillen-Argument ja nicht -, täuscht sich. Na ja, woher soll man als MANN auch wissen, was da zu tun ist?

Die Mütter müssen also mal wieder ran. Sie erhalten zu wenig Schlaf, was ihr eigenes Risiko signifikant erhöht, selbst zu erkranken. Außerdem sind sie leichter reizbar, leiden unter Kopfschmerzen und Übermüdung. Und müssen sich womöglich auch noch von ihrem Umfeld anhören, dass sie launisch geworden sind, seit das Kind da ist.

Bereits seit Jahren ist die klassische Rollenverteilung – die Mutter kümmert sich um Haushalt und Kinder, der Mann ums Geldverdienen – wieder auf dem Vormarsch, allen Bemühungen um Gleichberechtigung, Equal Pay etc. zum Trotz. Das hat unterschiedliche Gründe, führt aber zu besagten Effekten wegen Schlafmangel.

Zumal viele Frauen eben nicht wie in den 1950er Jahren „nur“ Haushalt und Kinder zu versorgen haben. Die Frau von heute bemüht sich, sowohl dem althergebrachten Mütterbild als auch dem der modernen, selbstbewussten Lohnarbeiterin zu entsprechen. Auch wenn sie dies meist in Teilzeit tut: Eine solche Doppelbelastung kostet viel Kraft.

Während sich Mütter der 1950er Jahre ein Mittagsschläfchen oder eine gemütliche Stunde auf der Terrasse gönnten, müssen Mütter im Jahr 2024 sofort nach der Arbeit nach Hause hetzen, den Kindern nach der Schule ein Mittagessen servieren und anschließend einkaufen, Fahrdienste zum Sport- und Musikverein leisten und die Wohnung auf Vordermann bringen.

Die heutigen Mütter leisten im Durchschnitt pro Woche durchschnittlich rund neun Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Dass die Väter selbst selten in Teilzeit und meist weiterhin in bezahlter Vollzeit arbeiten, liegt nicht immer an mangelndem Willen. Oftmals ist dies schlichtweg eine finanzielle Notwendigkeit. Umso wichtiger erscheint der Vaterschaftsurlaub, dem sich die Bundesrepublik Deutschland bislang verweigerte.

Wenn Paare die Care-Arbeit für ihre Kinder – insbesondere in der Nacht – gerechter aufteilen, führt das zu mehr Gerechtigkeit, Ausgeglichenheit, Verbundenheit und besserer Laune innerhalb der Familie. Selbst das Stillen kann in vielen (wenn auch nicht allen) Fällen durch Abpumpen der Muttermilch an den Vater delegiert werden.

Aber es gibt ja noch andere (nächtliche) Aufgaben, die Väter ebenso gut erledigen können: Wie wäre es damit, einfach mal das Babybett im Nachbarzimmer aufzustellen, länger aufzubleiben als die Partnerin und ihr so ein paar Stunden Schlafvorsprung zu ermöglichen, während man versucht, das Neugeborene in den Schlaf zu wiegen?

Papas können zu Helden werden, wenn sie das Monster im Schrank besiegen, das dem Sohn Angst machte. Anschließend das Cape über die Schulter werfen, ihn im Arm halten und ihm eine Einschlafgeschichte erzählen. (Wem die Fantasie hierzu fehlt, der plaudere einfach über seinen Büroalltag.)

Übrigens: Auch das Windelwechseln gehört zu den heldenhaften Taten, die es täglich zu begehen gilt. Warum den Müttern allein den Ruhm überlassen? Schließlich ist ein Mann kein Mann, ehe er sich nicht als Vater dem Windelmonster gestellt hat.

Ob der Vaterschaftsurlaub die Supermänner in den Vätern zu wecken vermag, bleibt offen. Zu wünschen wäre es den Müttern jedenfalls, die nicht nur einen verantwortungsvollen Partner gewinnen, sondern auch die Gender Sleep Gap – also der geschlechtsspezifische Schlafmangel – schließen können.

PeBeM 2023: Begriffe und Kennzahlen

Das Pflegestärkungsgesetz und die PeBeM

Ab dem 1. Juli 2023 gibt ein neues, bundeseinheitliches Verfahren die Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen vor: Die PeBeM.

Bislang wichen die Personalrichtwerte und Regelungen der Bundesländer voneinander ab, das einzige verbindende Element bestand in einer pauschalen Pflegefachkraftquote von 50 Prozent.

Das Pflegestärkungsgesetz II vom 1. Januar 2016 sah allerdings die „Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI“ vor.

Mit dieser Aufgabe wurde schließlich der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen betraut. Dankenswerterweise setzte sich frühzeitig die Kurzbezeichnung PeBeM durch.

Professor Rothgangs Team sammelte zunächst im Rahmen einer Studie Daten aus 62 Pflegeeinrichtungen. Auf Grundlage der folgenden Auswertungen wurde ein Algorithmus entwickelt, der die zur Betreuung innerhalb einer Einrichtung benötigten Pflegekräfte und deren erforderliche Qualifikation errechnet.

Ergebnisse der Rothgang-Studie

Die Ergebnisse der Studie und die daraus resultierenden Erkenntnisse und Maßnahmen haben wir für Sie im Zwillingsartikel PebeM: Neues zur Altenpflege zusammengefasst. Er nennt auch konkrete Zahlen zu dem anhand der Studienergebnisse errechneten, personellen Mehrbedarf in der (Alten-)Pflege.

Wie aber funktioniert die PeBeM?

Für die PeBeM wurden gesammelte Daten ausgewertet und daraufhin ein Algorithmus entwickelt.

Die PeBeM basiert auf je zwei quantitativen wie qualitativen Faktoren, die sich auf die Bewohner einerseits (Case-Mix) und die Pflegekräfte andererseits (Care-Mix) beziehen und aufeinander abgestimmt werden, um die Pflegezeiten und den Personalbedarf zu errechnen.

Auf diese Weise orientiert sich der Fachkräfteeinsatz stets am individuellen Pflegegradmix der Einrichtung. Bei einem hohen Anteil an Bewohnern mit Pflegegrad 4 oder 5 etwa – und dem damit verbundenen, hohen Pflegeaufwand – werden besonders viele Pflegefachkräfte garantiert.

Der Case-Mix

Der Case-Mix bezeichnet den Pflegebedarf der Bewohner. Er errechnet sich aus den Faktoren

  •     Anzahl der Bewohner und
  •     Pflegegrad der Bewohner der Einrichtung.

Dem Case-Mix werden die Qualifikationen und die Wochenarbeitsstunden der Pflegekräfte gegenübergestellt (Care-Mix).

Der Care-Mix

Der Care-Mix bezeichnet die zur Verfügung stehenden Pflegeressourcen. Er errechnet sich aus den Faktoren

  •     Vollzeitäquivalent und
  •     Qualifikationsstufe der Pflegekräfte.

Das Vollzeitäquivalent: Gradmesser für die Stundenzahl der Pflegekräfte

Ein Schlüsselbegriff beim Care-Mix ist das so genannte Vollzeitäquivalent. Diese Bezugsgröße entspricht der Wochenarbeitszeit einer Vollzeitpflegekraft und ist ungefähr das, was bei der Bruchrechnung der gemeinsame Nenner ist.

Da in stationären Einrichtungen oftmals viele Teilzeitkräfte mit verschiedensten Arbeitszeitmodellen beschäftigt sind, müssen deren Arbeitszeiten zunächst auf das entsprechende Vollzeitäquivalent umgerechnet werden.

Arbeitet eine Vollzeitkraft innerhalb einer Einrichtung zum Beispiel 40 Stunden pro Woche, entspricht dies einem Vollzeitäquivalent. Ein Mitarbeiter in 20%-Teilzeit und einer entsprechenden Wochenarbeitszeit von 8 Stunden kommt folglich auf ein Vollzeitäquivalent von 0,2.

Bliebe es bei diesen beiden Pflegekräften, hielte die Pflegeeinrichtung also 1,2 Vollzeitäquivalente zur Betreuung bereit.

Qualifikationsstufen: Ausbildungsgrad der Pflegekräfte

Zweite Bezugsgröße für den optimalen Care-Mix ist die Qualifikation der Pflegekräfte. Sie wird in vier Qualifikationsniveaus (QN) und drei Qualifikationsstufen unterteilt:

Qualifikationsstufe 1

QN 1: Personen ohne Ausbildung, nach 4 Monaten angeleiteter Tätigkeit

QN 2 (Pflege): Personen ohne Ausbildung mit einem 2-6monatigen Pflegebasiskurs und 1-jähriger angeleiteter Tätigkeit; QN 2 (Betreuung): Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI und § 53c SGB XI

Qualifikationsstufe 2

QN 3: Pflegeassistenzkräfte mit 1- oder 2-jähriger Ausbildung

Qualifikationsstufe 3

QN 4: Pflegefachpersonen/-kräfte mit 3-jähriger Ausbildung

PeBeM und Mindestpersonalvorgaben der Länder: Was gilt denn nun?

Mithilfe der PeBeM kann der individuelle Personalbedarf je Einrichtung rechnerisch exakt ermittelt werden. Wichtig: Die Personalschlüssel je Pflegegrad stellen künftig lediglich eine bundeseinheitliche Höchstgrenze dar, die durch die Pflegesatzvereinbarungen abgedeckt wird. Die Mindestpersonalaustattung in Einrichtungen wird weiterhin durch die Personalrichtwerte des jeweiligen Bundeslandes bestimmt.

Wie erfolgt die Zuordnung?

Die Vollzeitäquivalente und Qualifikationsstufen sind im Sozialgesetzbuch (SGB) unter § 113c SGB XI der „Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ den einzelnen Pflegegraden zugeordnet. So werden beispielsweise für einen Pflegebedürftigen des Pflegegrades 5 folgende Personalanhaltswerte vorgegeben (komplette Tabelle nachstehend):

  •     Hilfskraft ohne Ausbildung (Qualifikationsstufe 1): 0,1758 Vollzeitäquivalente
  •     Hilfskraft mit Helfer- oder Assistenzausbildung von mindestens einem Jahr(Qualifikationsstufe 1): 0,1102 Vollzeitäquivalente
  •     Fachkraft (Qualifikationsstufe 3): 0,3842 Vollzeitäquivalente

 

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,0770 –        Pflegegrad 1

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,1037 –  Pflegegrad 2

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,1551 – Pflegegrad 3

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,2463 – Pflegegrad 4

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,3842 – Pflegegrad 5

 

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,0564 – Pflegegrad 1

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,0675 – Pflegegrad 2

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1074 – Pflegegrad 3

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1413 – Pflegegrad 4

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1102 – Pflegegrad 5

 

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,0872 – Pflegegrad 1

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1202 – Pflegegrad 2

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1449 – Pflegegrad 3

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1627 – Pflegegrad 4

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1758 – Pflegegrad 5

 

Quelle: § 113c Sozialgesetzbuch (SGB XI)

 

Eine höhere personelle Ausstattung ist möglich, aber nur unter bestimmten Umständen wirtschaftlich sinnvoll. Zum Beispiel, wenn sie in der bestehenden Pflegesatzvereinbarung festgehalten wurde oder die Einrichtung ihr Ausfallmanagement über einen Personalpool reguliert.

So oder so müssen aber in der Altenpflege zunächst ausreichend Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen. Der Berufsstand benötigt ebenso eine Aufwertung wie die Ausbildungsbedingungen. Hierüber erfahren Sie mehr in meinem zweiten Blog-Beitrag zur PeBeM: Neues zur Altenpflege.

PeBeM: Neues zur Altenpflege

Ziel der Personalbemessung in der Pflege (PeBeM)

Ab 1. Juli 2023 trat die Vorgabe zur Personalbemessung in der Pflege (PeBeM) in Kraft. Ihr Ziel: Die knappen Ressourcen in der vollstationären Altenpflege sollen möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden. Deshalb definiert die PeBeM auch – anders als etwa die PpUGV in der Fachkrankenpflege – keine personellen Untergrenzen, sondern orientiert sich an den Pflegesatzvereinbarungen, deren Bemessungsgrundsätze im Sozialgesetzbuch festgehalten sind. Vorgaben zur Mindestpersonalausstattung gibt es aber auch – mehr dazu gleich im Anschluss.

Wen betrifft die PeBeM?

Die PeBeM betrifft lediglich vollstationäre Einrichtungen der Langzeitpflege. Hiervon ist besonders die Altenpflege betroffen, die den Großteil der stationären Einrichtungen ausmacht.

Im teilstationären Bereich müssen ein geringerer Anteil an Fachkraftaufgaben und Überschneidungen mit der ambulanten Pflege und dem betreuten Wohnen beachtet werden. Daher wurde von der Einführung der PeBeM als einheitliches Instrument zur Personalbemessung abgesehen.

Auch auf die ambulante Pflege ist die PeBeM nicht anwendbar, weil die durch Pflegebedürftige und deren Angehörige in Anspruch genommenen Hilfen nicht objektiv bewertet werden können.

Ermittlung des individuellen Pflegepersonalbedarfs

Die Pflegeeinrichtungen errechnen ihren individuellen Personalbedarf aufgrund der PeBeM-Kennzahlen und gleichen ihn mit den vorhandenen Ressourcen ab. Liegt eine qualitative oder quantitative Unterdeckung vor, – laut einschlägigen Studien ist die Wahrscheinlichkeit groß –, muss nachgebessert werden.

Da eine entsprechende Personalentwicklung viel Zeit in Anspruch nimmt, gilt für die tatsächliche Umsetzung der PeBeM in den Einrichtungen ein Übergangszeitraum bis 2025.

Eine bundeseinheitliche Regelung zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs existierte vor der PeBeM nicht. Stattdessen schrieb eine Fachkraftquote von 50% pauschal den Anteil der Pflegefachkräfte im Personalbestand fest.

In Altenheimen herrscht ein individueller Pflegepersonalbedarf

Außerdem definierten die einzelnen Bundesländer voneinander abweichende Personalrichtwerte, welche die Anzahl an Heimbewohnern und Pflegekräften ohne Berücksichtigung des Pflegeaufwands gegenüberstellten. Weitere landesbezogene Unterschiede erschwerten eine vereinheitlichende Regelung. Obwohl die landeseigenen Richtwerte zum Teil stark voneinander abweichen, bleiben Sie auch der vollstationären Pflege als Mindestpersonalausstattung erhalten.

Blog-Artikel PeBeM 2023: Wie geht sie eigentlich?

Wie aber werden diese Mindestpersonalausstattung und die optimale Personalausstattung gemäß PeBeM errechnet? Auf welchen Personalkennzahlen basiert letztere? Und wo liegt der Unterschied? Diese und weitere Fragen beantwortet Ihnen mein zweiter Blog-Beitrag PeBeM 2023: Begriffe und Kennzahlen.

Die Ursprünge der PeBeM

Zwar wurden in der Vergangenheit mehrere Versuche unternommen, ein Verfahren zur Vereinheitlichung einzusetzen. Bereits bei Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 stand die Personalbemessung von Pflegeheimen zur Debatte.

Allerdings scheiterten alle bisherigen Ansätze – auch deshalb, weil stets die Belastung der Pflegekräfte und die Pflegekosten im Mittelpunkt standen, nicht aber die Qualität der Pflege.

Das Pflegestärkungsgesetz II vom 1. Januar 2016 sollte Abhilfe schaffen. Es hat grundlegende Veränderungen und Verbesserungen im Pflegesystem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zum Inhalt.

Unter anderem schrieb es verbindlich die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Personalbemessung vor, das die knappen Personalressourcen optimal zu verteilen vermag. Nach einer europaweiten Ausschreibung wurde schließlich der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen mit dieser Aufgabe betraut.

Rückschau: Gescheiterte Modellverfahren zur Pflegebedarfsermittlung

Schon 1996 wurde das Standard-Pflegesatz-Modell (SPM) ersonnen. Aufgrund massiver Kritik wegen inhaltlicher Fehler – unter anderem bei der Berechnung der Stundensätze und Zuschläge – wurde das Modell ebenso wie das in Kanada entwickelte PLAISIR-Verfahren wieder verworfen. Allerdings lieferte das SPM wertvolle Erkenntnisse, die in die Entwicklung von Prof. Rothgangs Bemessungsverfahren einflossen. Unter anderem die, dass die Jahresnettoarbeitszeit nicht als fixe Größe, sondern als variabler Parameter eingebaut werden sollte.

Der Algorithmus und die Erkenntnisse der Rothgang-Studie

Sein Team wertete zunächst im Rahmen einer Studie große Mengen von Daten aus, die in 62 Pflegeeinrichtungen gesammelt worden waren, etwa die Anzahl der Bewohner und Betreuungspersonen sowie die erfolgten Interventionen (pflegerische Aktivitäten). Auf deren Grundlage wurde ein Algorithmus entwickelt, der anhand der Anzahl und des Pflegegrades der Heimbewohner exakt die zur Betreuung benötigten Pflegekräfte und deren erforderliche Qualifikation (QN) errechnet.

Diese Soll-Zahlen wurden innerhalb der Studie mit dem Ist-Zustand in den untersuchten Einrichtungen abgeglichen. Das ernüchternde, wenngleich kaum überraschende Ergebnis: Dort herrscht ein gewaltiger personeller Mehrbedarf. Um eine gute Versorgung gemäß PeBeM gewährleisten zu können, müssten die Einrichtungen ihr Personal um satte 36% aufstocken.

Der Personalbestand innerhalb der Einrichtungen wurde mit den Soll-Zahlen abgeglichen.

Die Nachtwache bleibt außen vor

Nicht nur die ambulante und teilstationäre Versorgung ist von der PeBeM ausgeklammert, sondern auch eine einheitliche Regelung zur Personalbesetzung im Nachtdienst. Diese ist nämlich ebenfalls Ländersache – mit „teils katastrophalen und gesundheitsgefährdenden Folgen“ (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest). Nur in vier Bundesländern existierten demnach konkrete Vorgaben für die Besetzung mit Pflegefachpersonen in den Nachtstunden.

Raritäten in der Altenpflege: Assistenzkräfte

Der personelle Ressourcenmangel machte sich während der durchgeführten Studie unter anderem dadurch bemerkbar, dass notwendige Interventionen oder Teilschritte wie das Desinfizieren der Hände aus Zeitmangel nicht durchgeführt wurden.

Besonders hoch ist mit 69% der Mehrbedarf bei den Pflegeassistenzkräften. Das hängt maßgeblich damit zusammen, dass sie ebenso wie ungelernte Hilfskräfte nicht zu den Fachkräften zählen und beispielsweise keine Medikamente ausgeben dürfen. Logischerweise wurden die vergleichsweise teure Assistenzkräfte in den letzten Jahren kaum eingestellt.

Die PeBeM bedenkt sie nun mit einer eigenen Qualifikationsstufe (QN 3) und wertet ihre Tätigkeit somit gegenüber den ungelernten Pflegehilfskräften auf.

Der Schlüssel zu einer verbesserten Pflege liege neben der reinen Personalmengensteigerung vor allem in der Organisations- und Personalentwicklung, so Rothgang. Da sich viele erfahrene, jedoch nur mit QN 1 eingestuften Pflegehilfskräfte aufgrund der genannten Problematik die Ausbildung zum einjährigen Pflegeassistenten (QN 3) erspart hatten, müssen die Pflegeeinrichtungen sie nun aktiv dazu anhalten, diese Qualifizierung doch noch zu durchlaufen.

Rollenspiel: Delegieren für Anfänger

Qualifizierte Fachkräfte wiederum wandten im Untersuchungszeitraum einen großen Teil ihrer sogenannten Fachkraftzeit für Interventionen im falschen QN auf, die auch geringer qualifizierte Helfer hätten ausführen können. Die Methode „Jeder macht alles“ müsse künftig – nicht nur in der Altenpflege – durch eine kompetenzorientierte Pflege ersetzt und die Rolle von Pflegefachkräften und deren Aufgaben wie Planung, Anleitung, Beaufsichtigung, Evaluation und Delegation klarer definiert werden.

Ein Umdenken ist erforderlich. Die Pflegefach- und Assistenzkräfte sollten nach Professor Rothgangs Meinung zunächst ihre neuen Rollen annehmen und manche Aufgaben an Hilfskräfte abgeben. Darüber hinaus müssten alle Pflegekräfte wieder lernen, ohne Hetze zu arbeiten. Ob das beim vorherrschenden Personalmangel – laut der Studie besteht in der Pflege ein Mehrbedarf von über 100.000 Vollzeitäquivalenten – ein machbares Ziel ist?

Um schrittweise zusätzliches Pflegepersonal gewinnen zu können, wurden seit Beginn 2021 durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einer ersten Personalausbaustufe 20.000 zusätzliche Stellen für Assistenzkräfte von der Pflegeversicherung finanziert. Ab Juli 2023 folgen Stufe 2 und ab 2025 mögliche weitere Ausbaustufen. Ein früheres Stellenprogramm mit 13.000 Stellen für Pflegefachpersonen läuft bereits seit Anfang 2019.

Das klingt nach einem Plan. Zumindest so lange, bis man den Soll-Zahlen den Istbestand gegenüberstellt. Denn bei den Pflegefachkräften wurden im Jahr 2019 lediglich rund 4.000 sogenannte Kopfstellen finanziert und damit 2.800 Vollzeitäquivalente geschaffen. Außerdem wurden 2021 nur etwa 4.400 Stellen für Pflegehilfskräfte bewilligt.

Verbesserung der Ausbildungsbedingungen

Neueinstellungen und organisatorische Änderungen sind immerhin ein Anfang. Allerdings sei aber auch die Schaffung adäquater Ausbildungsstrukturen eminent wichtig, so Rothgang weiter.

Bereits vor Jahren beklagte der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe e. V. (BLGS) einen deutlichen Lehrermangel in der Pflege und eine zunehmende Verschlechterung in der Qualität der Ausbildung. Er forderte daher einen „Hochschulpakt Pflegebildung“, der beispielsweise unbefristete Stellen für Lehrbeauftragte und dauerhaft ausfinanzierte Studienplätze beinhalten sollte.

Um die Einführung der neuen Pflegeausbildungen nach dem Pflegeberufegesetz zu unterstützen, starteten das Bundesfamilien-, das Bundesgesundheits- und das Bundesarbeitsministerium bereits 2019 die „Ausbildungsoffensive Pflege“.

Eines der Ziele: Werbung für eine Ausbildung in der Pflege. Außerdem sollten gut ausgebildete und engagierte Pflegefachkräfte qualifiziert und Pflegeschulen sowie ausbildende Einrichtungen bei der Umstellung auf die neuen Ausbildungen unterstützt werden.

Pflegekräfte: Viel Glück beim Ausbildungsbeginn!

Für die Zeitdauer der „Ausbildungsoffensive Pflege“ (2019-2023) war ein Zuwachs von 10% angedacht. Tatsächlich stiegen die Ausbildungszahlen für Pflegekräfte 2021 jedoch nur um 7% – viel zu wenig. Zumal laut „Ausbildungsreport Pflegeberufe 2021“ der Gewerkschaft ver.di gerade mal 43% der befragten Auszubildenden mit ihrer Ausbildung zufrieden sind. Zum Vergleich: Auszubildende in anderen Berufen erreichen im Schnitt Prozentwerte von über 70% Zufriedenheit.

Der Personalmangel und die chronische Unterbesetzung in der Pflege machen sich bereits in der Ausbildung bemerkbar: Fast zwei Drittel der Auszubildenden in der Altenpflege klagen über permanente und hohe Belastungen, Überstunden und darüber, dass ihre Praxisanleiter keine Zeit zum Anlernen haben. Schlechte Vorzeichen für den Berufseinstieg.

Wie so oft in den letzten Jahren, droht die Pflege auch diesen Wettlauf gegen den zunehmenden Bedarf zu verlieren. Denn unsere Gesellschaft altert rapide – und mit ihr die Pflegekräfte. In manchen Einrichtungen gehören mehr als ein Drittel der Pflegekräfte der Gruppe Ü50 an. Treten Sie ihre Rente an, dürften die nachrückenden Berufsabsolventen zahlenmäßig bei weitem nicht ausreichen, ihr Ausscheiden zu kompensieren.

Falls nicht bald eine Lösung zur Behebung des Pflegenotstands gefunden wird, werden sie sich auch im hohen Alter noch mit ihm konfrontiert sehen – dann aus Patientensicht.

eAU: Nicht so einfach wie geplant

Die eAU soll eigentlich Ärzte wie Arbeitgeber entlasten. Noch hat sie aber ihre Tücken. Sie gilt nämlich nicht für alle Arbeitnehmer. Auch nicht für alle Krankenkassen. Schon gar nicht für alle Arten der Arbeitsunfähigkeit. Und genau hier beginnen die Probleme.

Sie entstehen auch durch unklare Zuständigkeiten und zu lange Übermittlungszeiten zwischen Arztpraxis, Krankenhaus, Krankenkasse und Arbeitgeber und münden vielerorts in einen nicht unerheblichen, bürokratischen Mehraufwand.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass eine umfassende Nachbesserung bei der eAU benötigt wird, um die angestrebten Erleichterungen für die Beteiligten zumindest langfristig ermöglichen zu können.

Lesen Sie nachfolgend, wie das System eAU funktioniert – und weshalb nicht nur viele Arbeitgeber, sondern auch manche Kliniken dieses derzeit noch mit alternativen Lösungen umgehen.

Geht nun alles digital oder wie?

Wer in der Vergangenheit im Zuge eines Arztbesuchs oder eines Krankenhausaufenthalts für arbeitsunfähig erklärt wurde, musste selbst dafür Sorge tragen, dass die Durchschläge der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Arbeitgeber und zur Krankenkasse verschickt oder dort abgegeben werden.

Der Gang zur Post soll dem Erkrankten durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) erspart bleiben. Und zugleich die lückenlose Dokumentation der Krankheitszeiten bei den Krankenkassen gewährleisten. Ein Vorhaben, das bislang nur unzureichend umgesetzt wird. Doch dazu später mehr. Zum 1. Januar 2023 wurde das Verfahren flächendeckend eingeführt.

Wie aber funktioniert die eAU?

Schritt für Schritt zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Wir erklären den Ablauf vom erkrankten Mitarbeiter bis zum Eingang der eAU beim Arbeitgeber. Beginnen wir mit dem Mitarbeiter:

1. Der Mitarbeiter

Am Anfang steht nach wie vor die Krankmeldung beim Arbeitgeber, genauer: die unverzügliche Anzeige der Arbeitsunfähigkeit (AU) und deren voraussichtliche Dauer. Sie erfolgt üblicherweise telefonisch oder per Mail.

Lässt sich der Erkrankte ärztlich untersuchen, wird eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) durch die Arztpraxis erstellt. Gegenwärtig erhält der Erkrankte außerdem noch einen Ausdruck der AU-Daten für sich selbst, um im Falle einer Störung bei der Übermittlung der eAU das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nachweisen zu können.

Er informiert seinen Arbeitgeber telefonisch über die Dauer der Krankschreibung.

2. Die Arztpraxis/Klinik und die Krankenkasse

Mit Hilfe seines elektronischen Arztausweises signiert der ausstellende Arzt die eAU. Die Praxis übermittelt die AU-Daten über die Telematikinfrastruktur spätestens bis 24:00 Uhr an die zuständige Krankenkasse des Mitarbeiters.

Im Fall eines Krankenhausaufenthaltes sendet die Klinik die Aufenthalts- und Entlassungsdaten an die Krankenkasse.

Die Krankenkasse wiederum stellt die übermittelte eAU auf ihrem Kommunikationsserver zum Abruf durch den Arbeitgeber bereit.

Hinweis: In der Regel ist der Abruf bei der Krankenkasse erst nach Ablauf der Attestpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) möglich, also ab dem vierten Tag der Erkrankung.

3. Der Arbeitgeber

Nun ist der Arbeitgeber oder dessen Beauftragter (beispielsweise eine Steuerkanzlei) an der Reihe: Er sendet über den Kommunikationsserver der Krankenkasse eine Anfrage nach der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Grundlage sind die Eckdaten der durch den Mitarbeiter erfolgten AU-Anzeige (Name des Mitarbeiters, Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit etc.). Dieser Vorgang ist weitgehend identisch mit der bereits vor der eAU gängigen Praxis (Abruf der Vorerkrankungen und deren Anrechnung auf die angefragte Arbeitsunfähigkeit).

Die abgerufene eAU wird anschließend in die Software des Arbeitgebers eingespielt und abgeglichen.

Und welche Daten beinhaltet die eAU nun?

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) enthält:

  • den Namen des Beschäftigten,
  • den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
  • das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
  • die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
  • die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem (Arbeits-)Unfall oder dessen Folgen beruht.

Wie kann die eAU bei der Krankenkasse abgerufen werden?

Die Anfrage erfolgt über ein systemgeprüftes Entgeltabrechnungsprogramm oder eine elektronisch gestützte, systemgeprüfte Ausfüllhilfe wie beispielsweise sv.net, die über die Informationstechnische Servicestelle der Gesetzlichen Krankenversicherung (ITSG) zur Verfügung gestellt wird.

Was, wenn die Datenübertragung gestört ist?

Sollte der Versand der eAU an die Krankenkasse mal nicht funktionieren, – etwa weil vorübergehend keine Internetverbindung besteht –, speichert das Praxisverwaltungssystem (PVS) oder das Krankenhaus-Informationssystem (KIS) die AU-Daten und versendet die eAU erneut, sobald dies wieder möglich ist.

Alternativ stellt die Praxis beziehungsweise das Krankenhaus dem erkrankten Arbeitnehmer ein eAU-Ersatzdokument aus und schickt diese Papierbescheinigung anschließend an die Krankenkasse.

Diese scannt den Ausdruck und stellt die eAU zum Abruf durch den Arbeitgeber auf ihrem Kommunikationsserver bereit. Auch aufgrund der postalischen Übertragung muss bei diesem Vorgang jedoch mit einer mindestens zweitägigen Verzögerung der Abrufbarkeit gerechnet werden.

Ganz wichtig für Arztpraxen:

Geht binnen 24 Stunden nach der Übermittlung der eAU keine Fehlermeldung der Krankenkasse ein, gilt die eAU als erfolgreich zugestellt. Zwar besteht die Möglichkeit, eine Zustellungsbestätigung der Krankenkasse anzufordern, hierzu ist sie jedoch nicht verpflichtet. Eine Stornierung der eAU ist innerhalb von fünf Werktagen nach Ausstellung über eine eigene, signierte „KIM-Nachricht“ möglich.

Ist die eAU denn bei allen Ärzten und für alle Versicherte abrufbar?

Nein. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ist nur für gesetzlich Versicherte abrufbar, die vom Vertragsarzt oder -zahnarzt arbeitsunfähig geschrieben wurden. Außerdem bei Arbeitsunfällen und einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus.

Nicht abrufbar sind eAU von Privatärzten oder Ärzten im Ausland (z. B. bei Erkrankung im Urlaub). Ferner Bescheinigungen zu privat krankenversicherten Personen, zur Erkrankung des eigenen Kindes, zu Rehabilitationsleistungen, für die stufenweise Wiedereingliederung und zu Beschäftigungsverboten.

Minijobber und die eAU

Auch für gesetzlich krankenversicherte Minijobber (inklusive Rentner oder Werkstudenten) kann eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) abgerufen werden. Ist dem Arbeitgeber deren Krankenkasse nicht bekannt, sollte er sie erfragen und im Lohn- und Gehaltssystem vermerken. Gleiches gilt für eine Familienversicherung über den Ehepartner oder die Eltern. Bislang war dies nicht vorgeschrieben.

Von der eAU ausgenommen sind geringfügig Beschäftigte (Minijobber), die in einem Privathaushalt arbeiten oder privat versichert sind. Sie legen wie gewohnt ihrem Arbeitgeber die vom Arzt ausgehändigte Papierbescheinigung vor.

Wie funktioniert die eAU bisher?

Die Unternehmensverbände beklagen die Unterscheidung zwischen Kassen- und Privatpatienten, die zu einem bürokratischen Mehraufwand, einem Chaos der Zuständigkeiten und zu Doppelstrukturen in der Buchhaltung führe.

In manchen Unternehmen werde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst nach drei Arbeitstagen benötigt – und könne in der Regel erst nach fünf Tagen elektronisch abgerufen werden.

Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), sieht darin eine „unkalkulierbare zusätzliche Belastung“ der Personalabteilungen durch Rückrechnungen.

Tipp: Falls ein so zeitnaher Abgleich nicht nötig ist, empfiehlt sich ein wöchentlicher Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) bei den Krankenkassen. Für die Dienst- und Ausfallplanung ist sie ohnehin schlecht geeignet. Daher sollten erkrankte Mitarbeiter die Personalabteilung bereits nach dem Attestieren ihrer Arbeitsunfähigkeit über deren Dauer informieren.

Überhaupt dürften Rechnen und Nachhaken zu festen Bestandteilen der eAU zählen. Denn für ihren Abruf müssen seitens der Personalabteilung die exakten Daten der Krankmeldung angegeben werden. Kollidieren sie mit denen der eAU, kann dies zu Fehlermeldungen führen. Auch müssen nicht selten mehrere Anfragen gestellt werden, da der Zeitpunkt für die Bereitstellung der eAU nur geschätzt werden kann und keine Benachrichtigung durch die Krankenkasse erfolgt.

Übrigens: Das Kinderkrankengeld bleibt beim neuen System gänzlich außen vor. Meldet sich ein Mitarbeiter kindkrank, erfolgt keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. In diesem Fall wird die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters weiterhin über den „gelben Schein“ nachgewiesen, der von ihm per Post an Arbeitgeber und Krankenkasse verschickt werden muss.

Die schleichende Digitalisierung

Ein Wort, das im Zusammenhang mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oft fällt, ist Digitalisierung. Genauer: Deren Mangel. Die Digitalisierung werde im Zusammenhang mit der eAU arbeitgeberseitig zwar begrüßt, aber nicht immer gelebt.

Vor allem kleinere Unternehmen seien oftmals technisch und organisatorisch noch nicht auf die Umstellung zur eAU vorbereitet. Ihre Personalabteilungen bestünden deshalb bei Krankmeldungen weiterhin auf einer Papierbescheinigung. Für die Arztpraxen, die eigentlich entlastet werden sollen, bedeute das mehr statt weniger Aufwand.

Doch nicht nur die Arbeitgeber tun sich teilweise schwer mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Schon ist davon zu hören, dass auch manche Kliniken übergangsweise das Ersatzverfahren mit Ausdruck der AU bemühen, weil das Ausstellen der elektronischen Variante „zu lange dauere“ und „die Abläufe störe“.

Kein Wunder, dass aus Reihen der Politik bereits eine Nachbesserung bei der eAU gefordert wird, etwa eine Anbindung der privaten Krankenkassen an das System oder eine automatische Übermittlung durch die Krankenkassen an die Arbeitgeber. Aus der Holschuld der Arbeitgeber würde so eine Bringschuld der Krankenkassen, der erforderliche Mehraufwand würde auf sie verlagert.

Ob das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplante Digitalgesetz als Beschleuniger der Prozesse wirken kann, bleibt abzuwarten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Startschwierigkeiten bewältigt sind und die eAU von allen Beteiligten gleichermaßen akzeptiert wird.

 

Die Tagesalarmsicherheit bei der Feuerwehr: Ein Problem

Helden von nebenan

Wenn Kinder in Grundschulen und Kindergärten nach ihrem Berufswunsch befragt werden, rufen noch immer einige: „Na, Feuerwehrmann!“ (Mehr zu den Geschlechterrollen später im Artikel.) Schließlich verlangen dessen Tätigkeiten neben dem Einsatzwillen fürs Gemeinwohl und einer gewissen Umsicht auch ein gehöriges Maß an Unerschrockenheit. Heldeneigenschaften.

Vorstellung vs. Realität

In der Realität wird dieses „Heldentum“ allerdings oftmals von Vorschriften bestimmt. Von Gefahren, deren Ausmaß Außenstehende kaum erfassen. Von bürokratischem Gerangel mit Versicherungen, die bestimmte Einsätze im Nachhinein für überflüssig befinden. Von schrecklichen Bildern an Unfallstellen oder Brandorten, die man im Kopf mit nach Hause nimmt.

Helfen für lau

Und das alles oft ohne Bezahlung. Wie sich das für Helden geziemt. Denn die meisten Feuerwehrleute üben ihren „Beruf“ ehrenamtlich aus. Und müssen überdies oft damit leben, von der Berufsfeuerwehr als „minderwertige Hilfskräfte“ angesehen zu werden. Das ist nicht nur beleidigend, sondern auch gefährlich. Denn ohne Freiwillige wären vielerorts die Berufsfeuerwehren gar nicht mehr handlungsfähig.

Ehrenamt Feuerwehr

Tatsächlich sind reine Berufsfeuerwehren nur in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern üblich. Zwar sind auch in kleineren Städten und Gemeinden hauptberufliche Feuerwehrleute beschäftigt. Sie werden dort allerdings oftmals für Hintergrundarbeiten eingesetzt, bereiten Lehrgänge vor oder prüfen die technischen Gerätschaften. Zwei Drittel aller Einsätze werden jedoch bundesweit von Freiwilligen durchgeführt. Statistiken des Deutschen Feuerwehrverbandes zufolge standen im Jahr 2018 bundesweit einer Million ehrenamtlicher lediglich 33.000 Berufsfeuerwehrleute zur Seite.

Zeiten ändern sich

Dieses Prinzip funktioniert seit Jahrhunderten – und das erstaunlich gut. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die erwachsenen Männer eines Ortes zum Feuerlöschdienst verpflichtet. Aus dieser Pflichtfeuerwehr formierten sich später Freiwillige Feuerwehren. Neben dem Engagement für die Gemeinschaft mag manchen Freiwilligen auch die Sorge bewegt haben, das eigene Haus könne eines Tages in Flammen aufgehen.

Früher fiel Löschdienst unter Nachbarschaftshilfe

Doch die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Gesellschaft. Traten Freiwillige früher hauptsächlich der Kameradschaft wegen in die Feuerwehr ein, bieten sich heute zum Knüpfen sozialer Kontakte auch viele alternative und weniger verpflichtende Freizeitmöglichkeiten an. Ist ein solches Ehrenamt darüber hinaus mit gesundheitlichen Gefahren und psychischen Belastungen verbunden, schwindet die Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren.

Kollision von Ehrenamt und Lebensplan

Die Freiwillige Feuerwehr passt in der modernen Gesellschaft oft nicht mehr in den eigenen Lebensplan. Junge Menschen ziehen nach der Schulzeit häufig vom Land in die Stadt und bilden sich auch nach Feierabend weiter. Die langfristige Bindung an eine ehrenamtliche Aufgabe und eine Organisation stößt sowohl bei der Karriere- als auch der Familienplanung auf Widerstand, bisweilen auch auf Unverständnis.

Der Aktionsradius wächst

Abseits dieser Hürden besteht jedoch noch ein weitaus größeres Problem. Stützte sich das ortsgebundene, vorindustrielle System der Freiwilligen Feuerwehren noch auf einzelne Dörfer, sind weite Teile Deutschlands inzwischen urban strukturiert. Aus den einstmaligen Dörfern wurden Vorstädte, Kommunen oder Landkreise mit Industriegebieten und Wohnvierteln im Grünen.

Zeit- und anderer Druck

Freiwillige Feuerwehrleute arbeiten heute im Hauptberuf nicht mehr als Hufschmied vor Ort, sondern viele Kilometer entfernt in Großunternehmen, im Handel oder der Industrie. Meist benötigen sie viel Zeit, um ihre heimischen Feuerwachen im Fall eines Notrufs zu erreichen. Mehr Zeit jedenfalls als die zehn Minuten, innerhalb derer das erste Löschfahrzeug am Einsatzort sein sollte.

Ehrenamt und Job vertragen sich nicht immer

Und auch das funktioniert nur, wenn die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter für Einsätze und Ausbildungen von der Arbeit freistellen. Gesetzlich sind sie hierzu zwar verpflichtet und erhalten von der Gemeinde eine Entschädigung in Form eines Kostenersatzes. Dennoch üben viele Arbeitgeber Druck auf diejenigen Mitarbeiter aus, die sich auch während ihrer Arbeitszeit ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagieren, weil ihnen dies ein Bedürfnis ist.

Die aktive Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr ist daher nicht selten mit Angst vor Repressalien bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes verbunden.

Kooperationen bieten Vor- und Nachteile

In vielen örtlichen Feuerwachen kann die Tagesalarmsicherheit kaum noch gewährleistet werden, weil die für einen Einsatz erforderliche, personelle Mindestbesetzung nicht mehr in der vorgeschriebenen Zeit vor Ort sein kann.

Ungeliebte Fusionen

Kooperationen benachbarter Feuerwehren und Ausrückegemeinschaften sorgen nur teilweise für Abhilfe. Vielerorts müssen Wachen geschlossen werden, sind Umstrukturierungen und Fusionen unumgänglich. Sie bündeln nicht nur vorhandene Kräfte, sondern vereinfachen auch die verwaltungstechnischen Prozesse durch Zentralisierung.

Durch zu große Entfernungen ist die Tagesalarmsicherheit gefährdet

Reduziert man die Anzahl der Ortsfeuerwehren, verlängert man jedoch abermals die Anfahrtswege und gefährdet obendrein den Nachwuchs. Zwar erfreuen sich die Jugendfeuerwehren noch immer eines gewissen Zuspruchs. Die Eltern der jungen Feuerwehrleute legen jedoch schon mal ihr Veto ein, wenn der Anfahrtsweg zum Verteiler mit dem Fahrrad zu riskant erscheint oder der Standort 20 km entfernt liegt und die ganze Familie zu Fahrdiensten herangezogen wird.

Im Alter durchs Feuer gehen?

Um dem Mitgliederschwund etwas entgegenzusetzen, wurde die Altersgrenze für ehrenamtliche Feuerwehrangehörige in einzelnen Bundesländern von 63 Jahren bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres angehoben. Auch versucht man Einwohner, die beispielsweise nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung zurück in ihre Heimatorte zogen und über eine feuerwehrspezifische Ausbildung verfügen, dazu zu überreden, wieder in die Wehr einzutreten.

Aufbruch in die Moderne

Längst ist den Planungsverantwortlichen klar, dass das örtliche Feuerwehrfest oder der Tag der Offenen Tür nicht mehr ausreichen, um neue Kameraden zu gewinnen. Oder eben Kameradinnen, denn der Frauenanteil bei der Freiwilligen Feuerwehr liegt allen männlichen Vorbehalten zum Trotz mittlerweile bei rund 10 % – Tendenz steigend. Eine erfreuliche Entwicklung auch deshalb, weil Feuerwehr lange Zeit ausschließlich mit Männern assoziiert wurde.

Erfreulich: Immer mehr Kameradinnen engagieren sich in der Feuerwehr

Zwar werden die Kameradinnen mancherorts noch immer öfter im Servicebereich oder der Jugendarbeit als in vorderster Linie in den so genannten Angriffstrupps eingesetzt. Aber ihre Akzeptanz unter den männlichen Kollegen wächst und auch Führungspositionen werden inzwischen oft von Frauen bekleidet.

Die Vorbildfunktion wirkt: Viele Jugendfeuerwehren verzeichnen bereits einen Mädchenanteil von 20 %. Frischer Wind für die Zukunft der Feuerwehren – auch wenn viele Aktive diesem Wandel noch skeptisch gegenüberstehen. Doch auch sie sehen ein, dass sich mit alleiniger Unterstützung durch Senioren weder die Tages- noch die Nachtalarmsicherheit dauerhaft gewährleisten lässt.

Wenn aus Fremden Retter werden

Jüngste Zielgruppe der Mitgliederwerbung sind Migranten. Mit einem Anteil von 1 % noch stark unterrepräsentiert und lange Zeit ignoriert, entwickeln sie sich innerhalb unserer Gesellschaft zum Hoffnungsträger. In vielen Bereichen der Grundversorgung sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte bereits unentbehrlich geworden. Vielleicht auch bald in der Feuerwehr?

Wem geholfen wurde, der hilft auch gerne mal

Viele Migranten sind gut ausgebildet und verfügen – leider auch aufgrund nicht anerkannter Berufsabschlüsse, ohne die die Aufnahme einer Werktätigkeit erschwert wird – über zeitliche Ressourcen, an Einsätzen teilzunehmen. Oftmals wurde ihnen auf ihrem Weg nach und in Deutschland Hilfe zuteil, die sie gerne erwidern würden. Zum Beispiel durch ehrenamtliches Engagement bei der Feuerwehr.

Back to the roots

Dies untergräbt übrigens keineswegs Traditionen. Ein großes Plus der Feuerwehren lag ja stets in deren Vielschichtigkeit. Ob Anwalt oder Automechaniker, Imker oder Ingenieur: Bei der Feuerwehr waren immer viele Gesellschaftsschichten und Berufe vertreten. Gerade in Notsituationen verschwimmen eben Klassenunterschiede zugunsten eines gemeinsamen Ziels. Und den zu rettenden Personen ist letztlich egal, wer sie aus dem Wrack ihres Fahrzeugs befreit oder die eigene Familie vor dem Feuer oder der Flut rettet.

Anreize: Nett sein hilft bei Mitgliedergewinnung und -erhalt

Grundsätzlich ist die Aufstellung einer Feuerwehr eine Pflichtaufgabe der Gemeinden. Daher werden die Stimmen derer lauter, die Anreize aus der Politik zur Gewinnung neuer Mitglieder fordern. So könnte die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Feuerwehr – ähnlich wie Erziehungszeit bei Eltern – bei der Rentenberechnung berücksichtigt oder eine kleine Zusatzrente aus öffentlichen Quellen finanziert werden.

Auch kleine Gesten zählen

Bereits Zeichen des guten Willens könnten Respekt und Interesse gegenüber der wichtigen, gefährlichen und oft ehrenamtlichen Arbeit der Feuerwehr bekunden. So könnten die Gemeinden ihren Feuerwehrleuten freien Eintritt ins örtliche Schwimmbad gewähren: Sympathisch, billiger als ein Präsentkorb und überdies ein Beitrag zur Erhaltung der Fitness und Einsatzfähigkeit.

In aller Bescheidenheit

Auch der Vorschlag einer kostenlosen Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs durch Mitglieder der Feuerwehr wäre eine nette und in den Augen der Ideengeber praktische Geste: So sei sichergestellt, dass die Kameraden zur Wache oder zum Übungsdienst gelangen. Ob Letzteres praktikabel ist, sei dahingestellt. Es spricht jedoch Bände, wenn solche Argumente als Verstärker des Wunsches nach Anerkennung für gemeinnützige Arbeit verwendet werden.

Freier Eintritt ins Freibad für Feuerwehrleute? Warum eigentlich nicht?

Für Lösungsansätze und den Dialog mit den Feuerwehren sollte die Politik – in diesem Fall die jeweilige Gemeinde – jedenfalls offener sein als in der Vergangenheit. Da wurden bedarfsplanerische Analysen in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse den Betroffenen nie mitgeteilt wurden. Oder Standorte zusammengelegt, ohne sie im Vorfeld miteinzubeziehen. Selbst altgediente Feuerwehrleute und Führungskräfte fühlen sich da schon mal übergangen und respektlos behandelt – und quittieren frustriert den Dienst. Guter Wille hat eben auch Grenzen.

Brände, Hochwasser und andere Katastrophen: Die täglichen Belastungen der Feuerwehr

Der Dienst fordert Feuerwehrleuten ohnehin einiges ab: Verfügbarkeit quasi rund um die Uhr und übers ganze Jahr neben Job und Familie. Körperliche und seelische Belastungen. Verantwortung für Opfer und Kameraden. Ein ganzer Gefahrenkatalog aus Bränden, Gefahrstoffen, einstürzenden Gebäuden, Sturm, Hochwasser und vielem mehr. Dazu Stress, Beschimpfungen und auch schon mal Gewalt.

Wir alle brauchen die Feuerwehren. Wenn die Gemeinden mit deren Aufstellung überfordert sind, müssen irgendwann Kreis- und Landesverwaltung als nächste Instanz entscheiden, wie es weitergeht. Die Zukunft könnte dann vielerorts in reinen Pflichtfeuerwehren bestehen. Ob diese die Organisation vereinfachen, bleibt offen. Günstiger als die ehrenamtliche Lösung sind sie jedenfalls nicht.

Der Flirt mit der Autokratie

Vor kurzem versuchte sich der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert an einer Erklärung für die Tatsache, dass ein großer Teil der Ostdeutschen Sanktionen gegen Russland als politisches Durckmittel im Ukraine-Konflikt ablehnt. Er widersprach dabei der nahe liegenden Vermutung, die ostdeutsche Bevölkerung sei pro-russisch eingestellt oder billige zumindest den Einmarsch in der Ukraine.

Um die Ostdeutschen in diesem Punkt verstehen zu können, müsse man statt eines politisch-ideologischen vielmehr einen wirtschaftlichen Ansatz wählen, so Kühnert. Noch immer verdienten Ostdeutsche weniger als ihre West-Kollegen, sei das Lohnniveau niedriger und die Geringverdiener- und Arbeitslosenquote höher. Dadurch bedingt, träfe die infolge der Sanktionen auftretende Energiekrise diese Menschen härter als manchen Westdeutschen.

Ein interessanter Ansatz, der allerdings auch auf westdeutsche Geringverdiener, Arbeitssuchende und Hartz-IV-Bezieher anwendbar ist. Sie treffen die Teuerungen sogar noch schlimmer, ist doch das Mietniveau deutlich höher als in den meisten Regionen Ostdeutschlands.

Nicht nur der Standpunkt in der Russland-Frage unterscheidet West und Ost. Immer noch gibt es eine imaginäre Trennlinie. So war im Westen beispielsweise Rechtsradikalismus immer präsent – nie aber in der Breite, in der er sich im Osten zeigt.

Als Gradmesser des Rechtsrucks gelten gemeinhin die Wahlergebnisse der AfD. Wurde diese in ihrer Anfangszeit noch von vielen Bürgern als echte Alternative zu den Volksparteien gesehen, hat sie sich inzwischen klar nach rechtsaußen ausgerichtet. Aus Versehen wählt heute niemand mehr die AfD.

In Westdeutschland stagnieren ihre Werte im einstelligen Bereich, im Osten erringt die AfD bis zu 27% der Stimmen. Ob aus Protest oder Überzeugung: Mehr als jeder vierte Wahlberechtigte entscheidet sich dort für den Populismus.

Nationalistische Bewegungen – ja, auch im Westen existent – organisieren regelmäßig Kundgebungen und „Protestmärsche“. Ganz legal, weil angemeldet. So lange die Corona-Bestimmungen halbwegs eingehalten werden und der Hitlergruß unterbleibt, drückt die örtliche Polizei beide Augen zu.

Auch deshalb, weil die „Rechten“ oftmals von Normalbürgern begleitet werden. Wie bei Pegida. Wie bei den Querdenker-Demos. Wenn man sich fragt, wie man den rechtsradikalen Strömungen beikommen kann, muss daher auch die Frage gestellt werden, weshalb sich so viele ach so brave Bürger von ihnen instrumentalisieren lassen.

Wird ein Migrant von Neonazis in der S-Bahn angepöbelt und schauen diese Bürger weg, macht sie das vielleicht zum Feigling, aber noch nicht zum Befürworter der Aktion. Doch längst geht es nicht mehr um Wegschauen. Wer aktiv an einer offensichtlich von rechtsradikalen Gruppierungen ausgerichteten oder vereinnahmten Demo teilnimmt, macht sich mitschuldig an den Folgen.

Es sind nämlich diese Bürger, die dem Angriff gegen die Rechtsstaatlichkeit erst ein bürgerliches Gesicht geben. Bürger bürgen – in dem Fall für  verfassungsfeindliche Kräfte in ihrem Land. Und da auch ihr Prozentsatz deutlich höher liegt als im Westen, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, der Osten habe offensichtlich ein Problem mit der Demokratie.

Ja, es sind Angriffe auf die Demokratie, auch wenn viele genau das Gegenteil hineininterpretieren möchten. Zum Teil ist von Emanzipation die Rede, davon, dass der Osten sich durch diese Kundgebungen Gehör verschaffe, weil man von seinen Problemen im Westen nichts wissen wolle.

Eines dieser Probleme liegt wie erwähnt im niedrigen Lohnniveau. Damit es steigen kann, müssten sich mehr Unternehmen im chronisch strukturschwachen Ostdeutschland niederlassen. An dieser Stelle ist vielen Menschen nicht klar, dass die rechtsnationalistische und teilweise -radikale Gesinnung vieler Ostdeutscher auf Investoren nicht gerade attraktiv wirkt.

Insbesondere global operierende Unternehmen können ihrer internationalen Belegschaft in manchen Landsstrichen weder Sicherheit noch ein angenehmes Lebensumfeld bieten. Wenn dort selbst Politiker von einem aufgebrachten Mob zu Hause bedrängt werden, wie soll man sich dort jemals wohlfühlen?

Fakt ist: Der Osten bemüht sich nicht in ausreichendem Maße um eine Verbesserung seines Images. Im Gegenteil, man sägt im Verbund mit Neonazis genüßlich die eigenen Stuhlbeine durch. Weil man sich alleingelassen fühlt vom Staat. Weil es denen da drüben immer noch besser geht. Weil die da oben sowieso immer gewinnen. Weil früher alles besser war.

Früher? Zu DDR-Zeiten etwa? Als man den Westen mit seinen ganzen Neonazis verteufelte? Dieselben, die man nun nach der Corona-Demo noch zu einem Bier in die Laube einlädt? Was stimmt hier nicht in diesem Gedankengang?

In ihrem Frust über die eigene Bedeutungslosigkeit wittern viele Bundesbürger Verrat und Vetternwirtschaft. Ob Masken- oder Maut-Skandale: Überall machen sich andere die Taschen voll auf Kosten der Allgemeinheit. Andere heißt in dem Fall: Wessis.

Nicht jeder Ostdeutsche sympathisiert mit nationalistischen Bewegungen. Viele stemmen sich sogar mit aller Macht dagegen, leisten Überzeugungsarbeit, beschwören, verteidigen die Demokratie. Aber das gestaltet sich zunehmend schwerer, wenn nicht nur der radikalisierte Bruder, sondern auch die eigenen Eltern kein Problem mehr damit haben, zu AfD-Veranstaltungen zu gehen, sich für ein Selfie mit Bernd Höcke ablichten zu lassen oder gar als Aushängeschild der Rentner-Generation zu fungieren.

Hinzu kommen eine gewisse Grundstimmung und vor allem eine breitflächige Akzeptanz von Nationalismus in öffentlichen Debatten. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung radikale Tendenzen akzeptiert oder gar fördert, werden Außenseiter zu Bestimmern. Ist „Ausländer raus“ wieder salonfähig.

Hierin liegt wohl der große Unterschied zwischen West und Ost. Nationalistische Gruppierungen im Westen operieren oftmals im Verborgenen, während sie im Osten ganz unverhohlen ganze Gemeinden beherrschen. Kein Wunder, stimmt doch mindestens jeder vierte Einwohner mit ihrer ideologischen Ausrichtung überein.

Von politischen Zielen weit entfernt, – außer Flüchtlingspolitik und Corona-Maßnahmen interessiert offenbar nichts -, verliert man sich in aggressivem Selbstmitleid. Hab ja keine Arbeit, hier gibt’s ja nix. Ja klar. Warum auch? Weil ihr so weltoffene, rücksichtsvolle und tolerante Menschen seid?

Natürlich hat die Bundespolitik Fehler gemacht. Der Osten hätte nicht nur finanzielle Hilfen und das Anlocken von Investoren gebraucht, sondern auch einen besseren Anschluss an Westdeutschland. Zu sehr verließ man sich darauf, dass die Menschen in Ostdeutschland nach den vermeintlich lähmenden und eingeschränkten DDR-Zeiten begeistert die westliche Lebensweise und deren Freiheiten übernehmen würden.

Die politische Bildung in Schulen wurde vernachlässigt und über rechte Strömungen bei Polizei und Sicherheitsbehörden hinweggesehen. Ein Prozess, der noch immer andauert. Dabei zählen die sozialen Probleme ebenso zum Alltag wie die Angriffe auf die Demokratie.

Wo solche Stimmung herrscht, flüchten diejenigen, die anders denken. Gerade junge Intellektuelle verlassen Ostdeutschland, sobald sie das Geld für eine Fahrkarte zusammengespart haben. Zurück bleiben die älteren Generationen, die das alles früher irgendwie besser fanden, weil da wenigstens die ganze Familie zusammen war.

Es bleiben die Nationalisten, die sich ein halbes Land als Spielwiese erobert haben und den Platz der Weggezogenen einnehmen. Mit deren Eltern Kaffee trinken und ihnen erklären, dass ihre Kinder wegen all der Ausländer oder der Bundespolitik in die Stadt gezogen seien.

Und es bleiben die Jüngsten. Die in einer Atmosphäre des Dünkels und der Ressentiments aufwachsen. Sich an den gesellschaftlichen und politischen Strömungen orientieren, die am lautesten auf sich aufmerksam machen. Denen es in einem solchem Umfeld immer schwerer fallen dürfte, tolerant und weltoffen zu bleiben.

Dem sollten wir entgegenwirken. Durch mehr Aufmerksamkeit und wirkende Maßnahmen seitens des Bundes. Vor allem aber durch aktive Gegenwehr im Osten. Denn jeder Bürger hat es zu einem großen Teil auch selbst in der Hand, in welcher Welt seine Kinder groß werden und welches Weltbild sie entwickeln.

Fördern und fordern, so lautet das Grundprinzip hinter staatlichen Sozialleistungen. Es trifft auch auf unsere Gesellschaft zu, in diesem Fall speziell auf Ostdeutschland. Wer soll euch vor demokratiefeindlichen Kräften bewahren, wenn ihr sie okay findet? Wer vor eurer Haustür investieren, wenn er die Atmosphäre als bedrohlich und die politische Lage als instabil empfindet?

Wir alle nehmen Einfluss auf unser Land. So oder so. Wer aus Protest den Rechtsstaat abwählt, entscheidet sich aktiv gegen all das, was ihn beschützt. Und sucht nach neuen starken Armen, die diese Funktion erfüllen. Was liegt da näher, als diejenigen zu wählen, die am lautesten schreien und ihrem Unmut auch schon mal durch allzu markige Worte und Gewalt Luft verschaffen?

Einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2019 zufolge befürworten nur noch 42 Prozent der Ostdeutschen die Demokratie in ihrer jetzigen Form. Das ist deutlich. Eine andere Studie ergab, dass jeder fünfte ostdeutsche Jugendliche sich einen autokratischen Staat wünsche. Muss uns da wirklich verwundern, dass Putin im Osten besser ankommt als im Westen?

Bekanntermaßen zieht sich der gegenwärtige Rechtsruck durch ganz Europa. Die gemäßigte Politik duldete und verharmloste lange Zeit verfassungsfeindliche Tendenzen. Zu denen auch die Querdenker-Bewegung gezählt werden darf, auch wenn sie nicht per se rechtsradikal ausgerichtet war. In ihrem Bestreben, den Staat und seine Corona-Maßnahmen zu diskreditieren, war ihr aber jedes Mittel  – ja, genau – recht.

Verfassungsfeindliche Gruppierungen durften unverhohlen die Demokratie verhöhnen und deren Abschaffung fordern. Die rechtsextreme Partei „III. Weg“ forderte auf Wahlplakaten „Hängt die Grünen!“, was die Staatsanwaltschaft Zwickau als eine Art künstlerische Freiheit in Sachen Wahlslogans interpretierte. Wie cool, wie locker.

Nein. Lediglich naiv. Denn vielerorts blühen Fremdenhass und Gewaltbereitschaft, Andersdenkende werden verbal und auch körperlich attackiert. Während sich die Politik an gendergerechter Sprache, Integration und Gleichstellung abmüht, sieht sie dabei zu, wie ein Teil der Bevölkerung sich abspaltet und einen Staat im Staat zu gründen versucht.

Klare Kante wäre nun gefordert. Nein, eigentlich schon lange. Doch die ist nicht unsere Stärke. Viel zu viele Missstände haben sich aufgetürmt, – von Renten- und Arbeitslosenreform über Pflegenotstand bis hin zu Technologie und Klimaschutz -, viele kamen hinzu, Stichwort: Maut und Maskendeals.

Dass Kanzler Olaf Scholz chronisch überfordert scheint und den Eindruck erweckt, sich nicht einmal beim Belag seines Pausenbrotes klar entscheiden zu können, macht die Sache nicht besser. Aber vielleicht haben wir es auch nicht anders verdient. Die Alternative sind Hardliner wie Söder und Merz. Kleine Regenten mit autokratischen Zügen. Viele Deutsche wünschen sich inzwischen eine harte Hand statt Kuschelkurs.

Womit sich der Kreis schließt. Vielleicht, so denken wohl manche Deutsche, ist eine Autokratie ja gar nicht so verkehrt. Man weiß genau, was man sagen darf und was nicht. Es gibt eng gesteckte Regeln und wenig Freiheit, aber dafür muss man nicht so viel nachdenken und immer andere in die eigenen Überlegungen miteinbeziehen.

Ein bisschen DDR also. Nach dem Motto: Lieber 9 qm Rasen ganz für mich als ein vereintes Europa. Oder zumindest ein vereintes Deutschland. Womöglich auch noch mit Integration und Toleranz. Das würde doch … na ja, irgendwas würde das ganz sicher Tür und Tor öffnen. Nein, lieber nicht.

 

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Keine Angst vorm EuGH

Für manche ist sie im Lauf der Jahre zum Freund geworden, andere fremdeln noch heute mit ihr: Die Vertrauensarbeitszeit. Seit 2019 sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) für Wirbel und die Wiedereinführung der generellen Arbeitszeiterfassung – wenn auch unter veränderten Vorzeichen.

Stein des Anstoßes: Der Europäische Gerichtshof definierte, dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet seien, eine Rechtsgrundlage zur generellen Arbeitszeiterfassung zu schaffen. So ist es beispielsweise in Deutschland nicht zwingend notwendig, geleistete Arbeitszeit zu erfassen. Lediglich Überstunden – also Zeit, die über die täglich übliche Arbeitszeit hinausgeht – müssen dokumentiert werden.

Wie weise ich Überstunden nach?

In der Urteilsbegründung des EuGH wurde die Frage aufgeworfen, wie man eigentlich Überstunden berechnen wolle, wenn die Arbeitszeit generell nicht erfasst oder definiert werde. Kurzum: Wer seine geleisteten Stunden nicht notiere, könne auch nicht nachweisen, dass er Überstunden geleistet hat. So weit, so schlüssig.

Vieles wurde nach dem so genannten „Stechuhr-Urteil“ geschrieben. Der nachfolgende Beitrag informiert Sie nochmals über den dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsstreit, den Ist- und Soll-Zustand der Vertrauensarbeitszeit sowie die Auswirkungen des Urteils für die EU-Staaten.

Das EuGH-Urteil im Jahr 2023: Ein Gespenst geht um

Zwei Punkte vorweg: Panik ist nicht angebracht. Es liegt zwar in der Natur juristischer Entscheidungen, dass diese je nach Standpunkt polarisiert, interpretiert und kommentiert werden. Ohne Meinungsverschiedenheiten käme es schließlich gar nicht erst zu den Streitigkeiten, welche ein richterliches Urteil erfordern. Bei aller Interpretationsfreiheit ist die von einigen empfundene Angst vor einer Reaktivierung der veralteten und im Keller verstaubenden Stechuhren jedoch unangebracht.

Das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Auch bedeutet das EuGH-Urteil keine generelle Abkehr von der Vertrauensarbeitszeit. Vielmehr offenbart es, wie unterschiedlich das ihr zugrunde liegende Konzept bislang aufgefasst wurde. Denn das Vertrauen  eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter, Aufgaben innerhalb seiner Arbeitszeit mit Elan und Sorgfalt nachzugehen, wird durch deren Dokumentation ja nicht diskreditiert. Und niemand wird dem Arbeitgeber später vorschreiben, diese Aufzeichnung einzusehen. Das Vertrauen bleibt also. Wenn es denn vorhanden war.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Solche und ähnliche Argumente von Kritikern begleiteten seinerzeit die Einführung der Vertrauensarbeitszeit und den Abschied von antiquierten Stechkartensystemen. Dabei erwies sich die Befürchtung mancher als unbegründet, die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten würden unterschritten, sobald sie nicht mehr dokumentiert werden. Im Gegenteil: Die Zahl der geleisteten Mehrarbeitsstunden stieg nach Abschaffung starrer Arbeitszeiten sogar an. Deutschlandweit lag sie im vergangenen Jahr laut Auskunft der Bundesregierung bei über 2 Milliarden Stunden.

Die Ursprünge

Ursprünglich hatte die Vertrauensarbeitszeit neben einer Senkung der Personalkosten zum Ziel, den Anforderungen einer modernen Welt Rechnung zu tragen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert. Die Flexibilität sollte erhöht, die Eigenverantwortung – und damit die Motivation – der Arbeitnehmer gesteigert werden.

Deren Arbeitgeber schenkten ihnen das Vertrauen, ihre vertraglich vereinbarten Arbeits- und Ruhezeiten auch ohne kontrollierende Instanzen einzuhalten und sich im Rahmen dieser Vorgaben selbst zu organisieren. Mehrarbeit sollte nicht mehr für Extra-Urlaubstage angehäuft, sondern in kleinem Umfang mit einem Zeitausgleich kompensiert werden.

In Deutschland musste bislang denn auch nur die Arbeitszeit dokumentiert werden, welche über die Regelarbeitszeit von 8 Stunden täglich hinaus geleistet wurde. Diese Praxis ist laut des Urteils des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) jedoch unwirksam. Wie, so die Ausgangsfrage des Urteils, soll man Mehrarbeit erfassen, wenn weder die reguläre Arbeitszeit von maximal 48 Stunden pro Woche noch Ruhezeiten von täglich mindestens 11 Stunden dokumentiert werden? Es sei daher erforderlich, Arbeitszeiten innerhalb der EU künftig exakt zu erfassen.

Er war’s! Sie war’s!

Grundlage des Urteils war ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einer spanischen Tochterniederlassung der Deutschen Bank.

Der Arbeitnehmer berief sich auf die EU-Richtlinie 2003/88 EG, welche nicht nur unter anderem Ruhe- und Pausenzeiten, sondern auch die Einhaltung der damit verbundenen Schutzvorschriften regelt. Ursprünglich vor der Audiencia Nacional verhandelt (dem Nationalen Spanischen Gerichtshof), wurde die Streitsache von dieser schließlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Gegen die Selbstausbeutung

In dessen Urteilsbegründung taucht nirgendwo das Wort „Stechuhr“ auf. Es wird auch kein anderes Instrument zur Arbeitszeiterfassung benannt. Das liegt daran, dass das EuGH solche Vorgaben überhaupt nicht machen wollte. Beim Urteil ging es lediglich um die Frage, wie der Arbeitgeber eigentlich dafür sorgen könne, den Mitarbeiter vor Überlastung und Selbstausbeutung zu schützen, wenn er ihm keine Möglichkeit eröffne, seine Arbeitszeit zu dokumentieren und sein Stundenkonto im Auge zu behalten.

Noch hat das Urteil keine konkreten Auswirkungen für Unternehmen. Denn der Europäische Gerichtshof stellt es jedem EU-Staat frei, wie er dieses national umsetzt. Unabhängig davon sei die Einhaltung und Dokumentation von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten jedoch ein Grundrecht von Arbeitnehmern innerhalb der EU, welches es zu wahren gilt.

Aha. Und wie sieht das in der Praxis aus?

Für die EU-Mitgliedsstaaten bedeutet dies nicht nur, nationale Gesetzesentwürfe für die Erfassung von Arbeitszeiten diverser Branchen vorzulegen, sondern auch Ausnahmeregelungen (z.B. für Kleinstbetriebe) zu schaffen und Berufe zu berücksichtigen, deren Arbeitszeit generell schwer zu dokumentieren ist. Auch Home-Office wird besondere Berücksichtigung finden.

Jeder Arbeitsschritt wird zeitlich erfasst

Selbst für die mit künftigen Gesetzesvorlagen konfrontierten Politiker beginnt der Arbeitstag bereits vorm Frühstück mit E-Mails und der Lektüre diverser Tageszeitungen. Journalisten sind zu jeder Zeit auf der Suche nach Stories, und vielen kreativen Freiberuflern, Beratern oder Dozenten sind geregelte Arbeitszeiten ohnehin fremd. Dem EuGH-Urteil zufolge müsste künftig jede Recherche, jedes Telefonat und das Checken von beruflichen E-Mails im Zug zeitlich erfasst werden.

Was sagt die Politik dazu?

Apropos Politiker. Die deutsche Regierungskoalition zeigte sich schon damals in ihrer Meinung über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gespalten.

Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine umfassende Arbeitszeiterfassung als notwendig begrüßte, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern, wollte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zunächst noch ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um die Frage nach einem konkreten Umsetzungsbedarf zu klären. Je nach Ergebnis des Rechtsgutachtens sollte ein Vorlageverfahren angestrengt werden. Das Ergebnis des Gutachtens liegt leider noch immer nicht vor.

Ja oder Nein

Übrigens ist die Arbeitszeiterfassung in vielen Branchen längst üblich. So würden beispielsweise Krankenhäuser oder Rettungsdienste ohne eine exakte Regelung der Dienstzeiten nicht funktionieren. Ferner bestehen umfängliche Aufzeichnungspflichten im Gaststätten- und Hotel-, Bau-, Speditions- und Transportgewerbe sowie in vom gesetzlichen Mindestlohn betroffenen Betrieben.

Darüber hinaus können nach derzeitiger Rechtslage deutsche Aufsichtsbehörden auch ohne EuGH-Beschlüsse bereits eine so genannte „Total-Aufzeichnung“ in Betrieben anordnen, welche die arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen nicht oder nur unzureichend einhalten.

Die Rückkehr der Stechuhr?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) äußert Kritik an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes. „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, heißt es in einer Stellungnahme. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Vereinzelt macht gar der Begriff „Rückfall in die Steinzeit“ die Runde.

Das Ende der Flatrate

Dem gegenüber begrüßt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das EuGH-Urteil als Grundlage für eine faire Dokumentation auch jener Tätigkeiten, welche bislang nebenbei in der Freizeit erledigt und somit nicht als Arbeitszeit bewusst wahrgenommen wurden. So werde der „Flatrate-Arbeit“ ein Riegel vorgeschoben, wie Annelie Buntenbach, Mitglied im Bundesvorstand des DGB, betonte: „Statt mit der Stechuhr könnte man heutzutage schließlich per Smartphone und App die Arbeitszeit dokumentieren.“

Wie machen das andere Länder mit der Zeiterfassung?

Werfen wir doch mal einen Blick hinüber zu unseren EU-Nachbarn. In Italien oder Österreich ist eine generelle Arbeitszeiterfassung verpflichtend. Der französische Gesetzgeber schreibt diese zumindest für jene Arbeitsverhältnisse vor, die keinem horaire collectif (=kollektiver Schichtplan) unterliegen.

Es bedarf jedoch keiner Stechuhr, um in der Arbeitswelt 4.0 die Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Im österreichischen Arbeitszeitgesetz (AZG) heißt es: „Der Arbeitgeber hat zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen.“

Stechuhr? Pustekuchen!

Um diese Anforderung zu erfüllen, erfassen die Mitarbeiter Ihre Arbeitszeiten selbst mit Hilfe von Apps oder Tools. So haben Sie ihre Zeiten im Blick und für den Fall eines Rechtsstreits oder einer Überprüfung durch Aufsichtsbehörden jederzeit parat. Darunter leidet aber weder ihre Selbstorganisation noch das Vertrauensverhältnis zu ihren Arbeitgebern. Auch dies ist Arbeitswelt 4.0.

Doch was bedeutet das EuGH-Urteil nun für deutsche Betriebe? „Mach’s gut, Vertrauen?“

Nein. Denn die Erfassung geleisteter Arbeitszeiten kollidiert nicht mit dem der Vertrauensarbeitszeit zugrunde liegenden Gedanken der Eigenverantwortung und Flexibilität. Durch Dokumentierung ihrer Arbeitszeiten geben die Arbeitnehmer ihre Souveränität ja keineswegs preis. Möglicherweise steigert der bessere Überblick über ihre tatsächlich geleisteten Zeiten sogar ihre Lebensqualität durch weniger Mehrarbeitsstunden. Und somit die von Arbeitgebern gewünschte Motivation.

Vertrauen und Wertschätzung

Das Vertrauen eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter hängt nicht von europäischen oder nationalen Urteilen ab, sondern von der Wertschätzung, mit der beide einander begegnen. Diese wird wie erwähnt nicht dadurch untergraben, dass die bislang „gemerkten“ Arbeitszeiten künftig genau erfasst werden. Vielmehr schafft man mit diesem Instrument eine für beide Seiten verlässliche Rechtssicherheit.

Eine positive Einstellung

Insofern kommt der Abgesang auf die Vertrauensarbeitszeit also verfrüht. Sicher, das Dokumentieren von Arbeitszeiten bringt Kosten und Verwaltungsaufwand mit sich. Doch dank moderner Zeiterfassungssysteme dürfte sich beides in Grenzen halten. Und vielleicht in Zukunft teure Rechtsstreits wie denjenigen vermeiden, welcher dem EuGH-Urteil zugrunde lag.

So bedeutet das Urteil aus Luxemburg also keine Diskreditierung, sondern je nach Sichtweise sogar eine Aufwertung der Vertrauensarbeitszeit. Demnach sollte es nicht heißen: „Mach’s gut!“ Sondern vielmehr: „Machen wir’s künftig besser.“

New Work: Noch immer aktuell

Nehmen wir an, Karl Marx sei noch am Leben und hätte miterlebt, auf welch unterschiedliche Weise seine Idee des Kommunismus im Lauf der Jahre interpretiert wurde. Sicherlich wäre er von totalitären politischen Systemen, deren Weltbild und Massenverbrechen wie der maoistischen Kulturrevolution oder dem Großen Terror unter Stalin nicht begeistert und würde sich deutlich von diesen distanzieren.

Prof. Dr. Frithjof Bergmann erging es zu Lebzeiten mit New Work ähnlich. Der austro-amerikanische Philosoph, der in deutschsprachigen Vorträgen auch den Begriff Neue Arbeit benutzte, entwickelte Ende der 1970er Jahre eine unerhört revolutionäre Sozialutopie. Diese sah nicht nur eine Teilung des starr getakteten 8-Stunden-Arbeitsalltags vor, sondern auch eine Sinnsuche und -findung der einzelnen Arbeitnehmer in ihren Tätigkeiten. Berufung statt Beruf. Die aktuelle Interpretation der New Work-Idee reichte ihm nicht weit genug.

Die kreative Kraft

Bergmann war kein Hippie-Philosoph. Er hatte einen Lehrstuhl an der University of Michigan inne und führte Lehraufträge an der Stanford-Universität, der University of Chicago und der University of Berkeley aus. Daneben beriet er Regierungen, Firmen, Gewerkschaften und Kommunen in Fragen der Zukunft der Arbeit und der Innovationsfreudigkeit. Und er ärgerte sich darüber, dass heutzutage bereits ein bisschen mehr Eigenverantwortung im Job als New Work gilt.

Marx und seine Kritik am Kapitalismus

Wie Karl Marx, setzte sich auch Frithjof Bergmann intensiv mit dem vorherrschenden Modell des Kapitalismus‘ auseinander. In seinem Hauptwerk „Das Kapital“ charakterisierte Karl Marx das Wesen der menschlichen Existenz als „Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt schöpferisch und frei zu gestalten“. Diese kreative Kraft ist laut Bergmann auch der Schlüssel zur New Work, welche das durch unflexible Arbeitsmodelle ausgebremste Potential der Arbeiter nutzen wollte.

Das New Work der 1970er

New Work sah vor, die Lohnarbeitszeit zu verringern und um die Sparten Selbstversorgung und selbstständige Tätigkeiten zu erweitern, die den individuellen Fähigkeiten des Einzelnen eher entsprechen als beispielsweise seine Arbeit am Fließband. Bei der Suche nach einer für ihn geeigneten Nebentätigkeit solle der Mitarbeiter kräftig unterstützt werden – und zwar vom Arbeitgeber!

Das klingt weltfremd? Nicht, wenn man den Kontext betrachtet, in dem New Work geboren wurde. Bergmann arbeitete in den 1970er Jahren bei General Motors in Flint/Michigan, wo sich die Werksarbeiter bedingt durch Rezession und den Einsatz moderner Fertigungstechniken mit drohenden Massenentlassungen konfrontiert sahen. Diese sollten durch Kurzarbeit verhindert und zugleich den Arbeitern werksseitig dabei geholfen werden, in der freigestellten Zeit ihre Talente für andere Tätigkeiten zu finden.

Digitalisierung und Automatisierung erfordern Umdenken

So gesehen, war New Work zunächst eine Form des Krisenmanagements. Dass Bergmanns Idee nach vielen Jahren gerade eine Renaissance und Neuinterpretation erlebt, verdankt sie weitaus größeren, strukturellen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt als seinerzeit in Michigan. Was die Frage aufwirft, ob man New Work angesichts der veränderten Umstände neu interpretieren darf oder gar muss.

Was hat sich geändert?

Der arbeitende Mensch der Gegenwart strebt vermehrt nach Selbstverwirklichung und dem Integrieren seiner Talente in seine berufliche Tätigkeit. Dieser durchaus egoistische Wunsch wurde in früheren Zeiten arbeitgeberseitig eher als Hemmnis empfunden. Konformität war das Gebot der Stunde, Individualisierung jeglicher Art war verpönt. Schließlich musste auch der Vorgesetzte Punkt 8:00 Uhr am Schreibtisch sitzen, statt seiner Verantwortung vom Frühstückstisch aus nachzugehen.

Arbeit und Freizeit sind kein Widerspruch

Längst haben wir jedoch den Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungs- und digitalen Zeitalter vollzogen. In vielen Unternehmen haben sich mehr oder weniger innovative Ansätze bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds bereits durchgesetzt. Eigenverantwortung, gesundheitspräventive Maßnahmen und das Berücksichtigen von privaten Rahmenbedingungen sollen Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, nicht mehr Untergebene, sondern geschätzte Ruderer im selben Boot zu sein.

Arbeitszeiten und –orte sind immer öfter flexibel, Beruf und Familie vereinbar und Hierarchien flacher. Teilzeitarbeit und Transparenz zählen längst zu den festen Bestandteilen des Arbeitslebens, und auch Home Office und Entspannungsseminare sollen zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance beitragen. Doch ist dies tatsächlich New Work?

Spaß allein reicht nicht

Nein! sagte Frithjof Bergmann, dem diese Ansätze nicht weit genug gingen. Auch deshalb nicht, weil seine Vision einen anderen Ansatz verfolgte als das bloße Versüßen des Arbeitsalltags und den daraus resultierenden Spaß bei der Arbeit. In seiner ursprünglichen Vision der New Work sollten die Menschen ihre individuellen Talente suchen und in selbstständiger Weise zu ihrem wie auch zum Wohl der Gemeinschaft anwenden. Arbeit, die du wirklich, wirklich willst, so das New-Work-Credo.

Das klingt tatsächlich nicht nach Tischkicker und Team-Yoga. Diese sind bestenfalls das i-Tüpfelchen auf einer gelungenen New Work-Strategie. Kein Mensch arbeitet wegen der Tischtennispausen bei hippen Global Playern. Sondern weil die Arbeit dort seinen individuellen Neigungen entspricht und das Einbringen seiner Persönlichkeit geschätzt wird.

New Work 4.0

Flexibel denkende und agil handelnde Mitarbeiter stehen bei vielen Unternehmen hoch im Kurs. Auch engagierte Quereinsteiger und –denker sind gefragter denn je. Menschen, welche nicht nur ihre Arbeitszeit ableisten, sondern auch ihre individuellen Fähigkeiten in den Job einbringen. Die mit viel Empathie auf Kunden und spezielle Problemstellungen eingehen und auch mal unorthodoxe Ideen entwickeln, wenn ausgefallene Lösungen notwendig sind.

New Work lässt unkonventionelle Ideen zu

New Work in der Arbeitswelt 4.0 beinhaltet noch immer Frithjof Bergmanns Werte Selbstständigkeit, persönliche Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die aktuelle Interpretation seiner Sozialutopie diskreditiert diese Werte also keineswegs, sondern setzt sie innerhalb der heutigen Möglichkeiten einzelner Unternehmen und Branchen in die Praxis um.

 

Revolutionäre Ideen lassen sich oftmals nur im Rahmen von Kompromissen realisieren. Dies trifft auf neue Techniken und Ideologien ebenso zu wie auf Visionen. Nicht immer sind deren Erfinder mit dem Ergebnis zufrieden, siehe Karl Marx. Und doch rücken auch Kompromisse die Welt meist ein Stück weit in die von ihnen angedachte Richtung.

Ansätze für New Work: Der erste Schritt

Zunächst ist nicht entscheidend, wie konsequent das eigene Unternehmen die Philosophie von New Work umsetzt. Allein das Wahrnehmen der Mitarbeiter als Individuum mit Familie, Zielen, Engagement, Wünschen, Talenten und Ideen durch den Vorgesetzten bedeutet vielerorts bereits einen bedeutenden Schritt nach vorn.

Allerdings sollten auch die Mitarbeiter selbst an einer Verbesserung ihres Arbeitsumfelds und der Integration ihrer persönlichen Fähigkeiten interessiert sein. Und natürlich motiviert, sich in diesen Prozess proaktiv einzubringen – egal, ob man ihn New Work nennt oder nicht. Gerade in bislang streng hierarchisch geführten Organisationen ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Das New Work-Feeling

Den  Arbeitnehmern wurde mit Einführung der Vertrauensarbeitszeit eine gewisse Selbstbestimmtheit gewährt. Schließtag in der Kita? In Ordnung, dann mache ich heute halt Home Office. Oma zum Arzt fahren? Dank gleitender Arbeitszeit kein Problem.

Das Vertrauen des Arbeitgebers ersetzte die Kontrolle und das Einräumen von Freiheiten führte zu erhöhter Selbstständigkeit bei den Mitarbeitern. Deren Eigenverantwortung kann weiter gesteigert werden, indem sie beispielsweise ihre Budgets selbst verwalten oder in wichtige unternehmerische Prozesse miteinbezogen werden.

So sind die Mitarbeiter mancher Unternehmen bei Entscheidungen stimmberechtigt, können eigene Leistungsziele selbst festlegen oder werden am Unternehmenserfolg beteiligt. Im Idealfall fühlt ihre Arbeit sich an wie die am eigenen Start-Up. Work-Life-Fusion statt nur –Balance.

In vielen Unternehmen sind solche Modelle längst etabliert. Oftmals nicht ganz freiwillig, denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt verlangt nach Veränderung. Ob im IT- oder Pflegebereich, in der Beratung oder im Handwerk: Der Fachkräftemangel zwingt viele Unternehmen und Organisationen dazu, die Arbeitsbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten.

Hausmittel gegen Fachkräftemangel

Nun ist es nicht jeder Branche vergönnt, mit Gewinnbeteiligungen um künftige Angestellte zu buhlen. Mitarbeitern im Pflegebereich erscheinen zuweilen selbst milde Formen von New Work wie flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zur beruflichen Fortbildung oder flache Hierarchien wie gewagte Zukunftsutopien. Berufliche Perspektivlosigkeit und geringes Einkommen sind hingegen Realität und für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen mitverantwortlich.

 

Pflegenotstand 2021

 

Der Mangel an Pflege(fach)kräften wurde in den letzten Jahren zum Dauerthema. Obwohl sie seit Jahren am Limit arbeiten und durch die Corona-Pandemie teilweise dauerüberlastet wurden, ist keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Sicht. Jede dritte Pflegekraft denkt mittlerweile über einen Jobwechsel nach.

Dabei sind sich Pflegekräfte im Gegensatz zu manch anderen Arbeitnehmern der Tatsache bewusst, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Dieses Wissen reicht zur Mitarbeitergewinnung und –bindung allerdings nicht aus. Entscheidende Faktoren sind der Austausch mit Vorgesetzten und Kollegen, die Anerkennung der eigenen Arbeit und die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Identifikation durch Integration. Oder, anders ausgedrückt: Echte Teilhabe an der Gemeinschaft.

Selbstbestimmtheit ist wichtig, Supervisionen oder die Aussicht auf den Erwerb akademischer Qualifikationen motivieren zusätzlich. Denn auch lebenslanges Lernen zählt zu den Grundprinzipien von New Work. Sie erinnern sich:  Arbeit, die du wirklich, wirklich willst. Die eigenen Qualifikationen optimiert man als Mitarbeiter schon aus eigenem Interesse.

Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende

Die in ihren strengen Strukturen erstarrte Erwerbsarbeit der 1970er Jahre, welche Frithjof Bergmann mit einer leichten Erkältung verglich, die man noch bis Freitag aushalte, sollte zum Wohle der Mitarbeiter, aber auch des Unternehmens der Vergangenheit angehören.

Produktivität und Wachstum, jene Schlagworte der Industrialisierung, sind noch immer aktuell. Allerdings werden sie heute mit Motivation und Identifikation in direkten kausalen Zusammenhang gesetzt.

Moderne Unternehmen und Organisationen bauen auf Mitarbeiter, die nicht gezwungenermaßen, sondern gerne zur Arbeit erscheinen. Weil sich ihr Arbeitsumfeld stetig verbessert und die Teamarbeit gefördert wird. Weil sie sich nicht als kleine Rädchen in Getrieben, sondern als mitspracheberechtigten Teil der Unternehmensgemeinschaft empfinden. Und weil ihnen mehr Einfluss auf ihre Tätigkeit sowie Zeit für Familie und Hobbys gewährt wird.

Die Politik und New Work

Zur Zeit der geistigen Geburt von New Work in den 1970ern sah die Arbeitswelt noch ganz anders aus. Doch auch heute, da einzelne Unternehmen aus freien Stücken die 4-Tage-Woche einführen oder Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen, tut sich die Politik schwer damit, die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für bessere New Work zu schaffen. Zum Thema (Neue) Arbeit äußerten sich nahezu alle deutschen Volksparteien in der Vergangenheit gleichermaßen reserviert.

So propagierte die CDU noch bis vor kurzem einen Rechtsanspruch auf Teilzeit, die SPD möchte diesen für Home Office verankern. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versuchte, mit seinem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ Stellenabbau zu vermeiden und die Kurzarbeit in Kombination mit Weiterqualifizierungen zu fördern – ein ähnlicher, wenn auch nicht so weit gefasster Ansatz wie in den 1970ern  bei General Motors in Flint.

Die Grünen stellten in Aussicht, nach der Elternzeit früher als bisher wieder in den Beruf zurückzukehren zu können, und die Linke hatte immerhin das Thema Crowdworking (freiberufliche Auftragsarbeit, z.B. Texterstellung) für sich entdeckt und wollte Selbstständige sozialrechtlich absichern. So oder so: Die Fokussierung auf Home Office allein genügt nicht.

Mehr Lebensfreude durch angewandte New Work

Apropos Home Office. Einer der wenigen Kritikpunkte an New Work bezieht sich auf den fließenden Übergang zwischen Berufs- und Privatleben. Da eine klare Abgrenzung fehle, häuften Mitarbeiter im Home Office viele Überstunden an, für die sie überdies nicht entlohnt würden. Andere Kritiker argumentieren, Unternehmen seien nicht dem Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter, sondern dem ihrer Kunden verpflichtet. Glückliche Mitarbeiter rechtfertigten keine möglichen Auftragsverluste.

Nun liegt es New Workern fern, ihrem Unternehmen Umsatzeinbußen zu bescheren, schließlich verstehen sie sich als Teil desselben. Und es obliegt jedem Unternehmen, die Regeln der New Work zu umreißen. Home Office beispielsweise ist nicht per se an eine Rufbereitschaft rund um die Uhr gekoppelt. Umgekehrt greifen Mitarbeiter aber gerne auch mal im heimischen Büro zum Hörer, wenn nach dem beruflichen Telefonat im Garten die Wasserschlacht mit dem Nachwuchs wartet.

Ja, Arbeit darf nämlich durchaus Spaß machen. Auch wenn Frithjof Bergmann dieses Wort im Zusammenhang mit New Work so gar nicht gefallen hatte.

Mindestlohnerhöhung: Ist sie wirklich ein großer Schritt?

Zum 1. Oktober 2022 wurde der Mindestlohn in Deutschland auf 12 Euro brutto je Stunde angehoben. Dies bedeutet nicht nur eine Lohnerhöhung für viele Beschäftigte, sondern auch viel Rechenarbeit und Organisationsaufwand für deren Arbeitgeber. Weitere Auswirkungen sind absehbar: Mittelfristig wird wohl mit Preissteigerungen und tariflichen Auseinandersetzungen zu rechnen sein.

Fairness auf dem Arbeitsmarkt

Die Erhöhung des Mindestlohns war bereits im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung festgelegt und wurde in mehreren Schritten vollzogen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg er damit insgesamt um 25 Prozent. Ziel: Ein fairer Wettbewerb um Arbeitskräfte. Unangemessen niedrige Löhne sollen damit künftig ausgeschlossen und mehr Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt werden.

Mindestlohn und Medianlohn

Bis 2015 existierte keine solche Lohnuntergrenze in Deutschland, was zu teilweise skurrilen Stundenlöhnen führte. Der heutige Mindestlohn orientiert sich am so genannten Medianlohn und entspricht 60 Prozent dieses Mittelwertes deutscher Stundenlöhne. Wer weniger verdient, gilt bereits als armutsgefährdet. Der Mindestlohn stieg seit 2021 um 25 Prozent.

Wer bestimmt eigentlich den Mindestlohn?

Die so genannte, unabhängige Mindestlohnkommission besteht aus einem/einer Vorsitzenden und sechs stimmberechtigten sowie zwei beratenden Mitgliedern. Alle fünf Jahre schlagen die Spitzenverbände von Arbeitgebern und Arbeitnehmern je drei Vertreterinnen und Vertreter für die Mindestlohnkommission vor. Diese unterbreitet der Bundesregierung alle zwei Jahre Vorschläge zum Mindestlohn (nächster Termin: 30. Juni 2023 mit Wirkung zum 1. Januar 2024) und evaluiert fortlaufend dessen Auswirkungen.

Von Praktikanten und Niedriglöhnern: Auch und gerade sie profitieren unter Umständen am meisten von der Mindestlohnerhöhung

Der Mindestlohn gilt für alle Arbeitnehmer ab 18 Jahren, unter bestimmten Voraussetzungen auch für Praktikanten. Auszubildende, Langzeitarbeitslose, selbstständige und ehrenamtlich tätige Personen gelten hingegen nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes.

Insgesamt profitieren 6,2 Millionen Menschen von der Erhöhung des Mindestlohns. Die Hälfte von ihnen arbeitet im so genannten Niedriglohnsektor, in dem wiederum Frauen mit 57 Prozent den Löwenanteil ausmachen. In ihm sind auch deutlich mehr Ost- als Westdeutsche beschäftigt – vorwiegend in Branchen wie dem Handel, dem Gastgewerbe und dem Gesundheits- und Sozialwesen.

Viele, viele Minijobber. Hätten Sie’s gedacht?

6,2 Millionen Menschen entsprechen gut 22 Prozent aller Beschäftigten – doppelt so viele wie bei Einführung des bundesweiten Mindestlohns im Jahr 2015. Durch Mini- und Teilzeitjobs stieg dieser Wert ebenso an wie durch Berufsneulinge und Wiedereinsteiger.

Gastgewerbe und Einzelhandel sind besonders betroffen

Diese und andere Branchen waren in den vergangenen Jahren bereits durch arbeits- und geldmarktpolitische Vorgänge, die Corona-Krise und weitere Faktoren erschüttert worden. Die Erhöhung des Mindestlohns dürfte sie vor zusätzliche Probleme stellen und mittelfristig zu höheren Preisen beispielsweise in Supermärkten, Restaurants oder Hotels führen.

Nichts wirklich Neues

Der Effekt wäre nicht neu. In Folge der Einführung des ersten Mindestlohns im Jahr 2015 waren in den damals betroffenen Branchen Preissteigerungen um 18 Prozent zu verzeichnen gewesen. Andere Branchen erhöhten ihre Preise im Vergleichszeitraum um lediglich 0,8 Prozent. Der Stundenlohn ihrer Mitarbeiter lag halt ohnehin über dem Mindestlohn.

Nach oben offen: Branchenmindestlöhne

Der gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde gilt als unterste Lohngrenze für nahezu alle Beschäftigten. Lag der tariflich vereinbarte Stundenlohn einer Branche unterhalb des Mindestlohns, musste er innerhalb einer Übergangsfrist an diesen Stundensatz angepasst werden. Meist liegt der so genannte Branchenmindestlohn aber oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns – und differiert je nach Branche stark. So beträgt er beispielsweise für Gerüstbauer derzeit 12,85 Euro, für ungelernte Pflegekräfte 13,70 Euro und für Pflegefachkräfte 17,10 Euro.

Minijob und Mindestlohn: Rechenaufgaben für Personalplaner

Für viele Unternehmen bedeutet die Anhebung des Mindestlohns aber nicht bloß einfach höhere Lohnkosten. Sie müssen darauf achten, dass beschäftigte Minijobber ihre Verdienstobergrenze auch künftig nicht dauerhaft und geplant überschreiten. Eine solche Überschreitung ist lediglich in ungeplanten Ausnahmefällen erlaubt (maximal in zwei Kalendermonaten eines Zeitjahres). Anlässlich der Mindestlohn-Erhöhung ist Kalkulieren angesagt.

Minijob und Mindestlohn: Die magische Grenze

Bei häufiger oder dauerhafter Überschreitung ihrer Verdienstobergrenze gelten Minijobber als Midijobber – und sind in allen Sozialversicherungszweigen beitragspflichtig. Neben den Abgaben für die Renten- und Krankenversicherung muss der Arbeitgeber dann auch solche zur Pflege- und Arbeitslosenversicherung entrichten.

Angehobene Verdienstgrenze

Der Gesetzgeber hat gleichzeitig mit der Erhöhung des Mindestlohns ab Oktober 2022 auch die Verdienstobergrenze von bislang 450 Euro auf 520 Euro angehoben. Damit sind rechnerisch 43,33 Monatsarbeitsstunden möglich, was in etwa dem früheren Niveau von 43,06 Stunden entspricht. Dennoch erfordern die selbst gesetzten oder gesetzlich festgelegten personellen Vorgaben erneutes und exaktes Nachrechnen.

Der Mindestlohnrechner

Sie möchten kalkulieren, ob und wieweit ein Gehalt dem Mindestlohn entspricht und wie hoch der entsprechende Stundenlohn ist? Das geht ganz einfach mit dem Mindestlohnrechner des Bundesarbeitsministeriums: https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Mindestlohn/Mindestlohnrechner/mindestlohn-rechner.html

Mindestlohn: Welche Sanktionen drohen bei Verstößen?

Auftraggeber haften für die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Das gilt auch dann, wenn sie andere Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragen. Mindestlohn- und andere Verstöße können teuer werden: Geldbußen bis zu 500.000 Euro sollen Missbrauch vorbeugen.

Vergleiche mit anderen Ländern

Übrigens setzt Deutschland im innereuropäischen Vergleich keineswegs Maßstäbe beim Mindestlohn, überholt aber mit der jüngsten Erhöhung immerhin Länder wie Belgien, die Niederlande oder das strukturschwache Irland. Spitzenreiter ist Luxemburg mit derzeit 13,05 Euro pro Stunde. Die aktuellen EU-Mindestlöhne können Sie hier vergleichen: https://www.dgb.de/schwerpunkt/mindestlohn/++co++f1183d2a-cd8a-11e4-ade1-52540023ef1a

Bewahrt der höhere Mindestlohn die Betroffenen vor Altersarmut?

Nein, eine armutssichere Rente wird auch durch die jüngste Anhebung des Mindestlohns nicht gesichert. So erlangt ein Arbeitnehmer nach 45 Vollzeitarbeitsjahren bei 12 Euro Stundenlohn lediglich einen Rentenanspruch von etwa 860 Euro. Um nicht als armutsgefährdet zu gelten, müsste seine Rente bei mindestens 942 Euro liegen.

Welche Folgen könnte die Mindestlohnerhöhung haben?

Von Experten werden gleich mehrere Folgeeffekte der Mindestlohnerhöhung erwartet. So dürften etwa die Produkt- und Dienstleistungspreise vieler Unternehmen ansteigen, die die höheren Löhne damit ausgleichen. Ergebnis: Die soeben zumindest unter Mindestlohnempfängern gestiegene Kaufkraft verringert sich prompt wieder.

Die Nachfrage nach Konsumartikeln wird ansteigen

Dieser Effekt dürfte dadurch verstärkt werden, dass über sechs Millionen Menschen in Deutschland seit Oktober deutlich mehr Lohn zur Verfügung steht und erfahrungsgemäß ihre Nachfrage nach Konsumartikeln ansteigen wird. Da aber nicht nur deren Preis, sondern beispielsweise auch die Höhe von Mieten den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorcht, ist vielerorts mit Kostensteigerungen zu rechnen, die gerade Geringverdienern keinen Raum zum Ansparen lassen.

Der Domino-Effekt

Die Preissteigerungen benachteiligen auch all jene Arbeitnehmer, die nicht von der Mindestlohnerhöhung profitieren, weil ihr Stundenlohn diesen übersteigt. Es ist zu vermuten, dass viele Gewerkschaften versuchen werden, die Gehälter ihrer Mitglieder wieder deutlicher vom Mindestlohn abzuheben und die Abstände im so genannten Lohngitter wiederherzustellen. Der nächste zu erwartende Effekt lautet folgerichtig „tarifliche Auseinandersetzung“.

Der Rotstift macht die Runde

Und das in einer Zeit, in der die Arbeitgeber sich nach den zum Teil mageren Corona-Jahren mit vielen zusätzlichen Kosten herumschlagen müssen. Ob Mindestlohn, steigende Energiepreise oder die Anschaffung eines Systems zur Zeiterfassung (wir berichteten in unserem Blog-Beitrag Das BAG und die generelle Zeiterfassung: Ein Paukenschlag? darüber): Eine langfristige und stabile Planung ist gefragt. Wohl dem, der zumindest beim Thema Zeiterfassungssysteme bereits vorgesorgt hat.

Ein ewiges Hin und Her

Bereits nach der Einführung des ersten bundeseinheitlichen Mindestlohns 2015 stiegen laut einer Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung die Tariflöhne für Beschäftigte stärker als in den Jahren davor. Was wiederum zu höheren Lohnkosten der Unternehmen und Preissteigerungen führte.

Vor allem in der Gastronomie ist mit Preiserhöhungen zu rechnen

Wie erwähnt, dürften sie sich hauptsächlich in Branchen bemerkbar machen, in denen viele Mindestlohnempfänger beschäftigt sind. Die aktuelle Studie des WSI sieht die Gastronomie mit durchschnittlich 3,4 Prozent höheren Mindestlohnkosten weit vorne, während der Einzelhandel mit etwa 1,6 Prozent rechnen muss. Das ist nicht wenig, aber kein Vergleich zur Einführung des ersten Mindestlohns im Jahr 2015. In dieser Zeit stiegen die Einkünfte von Mindestlohnempfängern teilweise noch um satte 15 Prozent.

Makroökonomische Simulationsrechnungen zum Mindestlohn

Simulationsrechnungen der Hans-Böckler-Stiftung https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008230 zeigen auf, dass die Erhöhung des Mindestlohns keinen nennenswerten Einfluss auf die Inflationsrate haben dürfte. Angesichts der verbesserten Einkommenssituation von Millionen Mindestlöhnern sei ein höherer Mindestlohn daher nicht nur sozialpolitisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.

Droht eine Entlassungswelle aufgrund der Mindestlohnerhöhung?

Damals rechneten viele Politiker mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen durch zu hohe Lohnkosten. Eine Einschätzung, die inzwischen widerlegt wurde, auch wenn diese Angst auch heute noch geschürt wird. Zwar entfielen seinerzeit wegen des frisch eingeführten Mindestlohns mehrere 100.000 Minijobs. Allerdings nicht, weil die Beschäftigten allesamt entlassen wurden. Im Gegenteil: Etwa die Hälfte wechselte vielmehr in einen sozialversicherungspflichtigen Job.

Preissteigerungen durch Trittbrettfahrer

Dass viele Unternehmen die höheren Lohnkosten an die Verbraucher weiterreichen werden, gilt hingegen als sicher. Manche „Trittbrettfahrer“ verwenden sie außerdem als Vorwand für umfangreichere Preiserhöhungen, wie der Ökonom Joachim Ragnitz vom ifo-Institut Dresden bestätigt. Er spricht von einer „Gewinninflation“, welche die eigentliche Kosteninflation um bis zu 60 % übersteige.

Fazit

So gesehen, ist es fraglich, ob der Mindestlohn auch in Zukunft bei den Beschäftigten nicht nur für eine gerechte Entlohnung ihrer Arbeitsleistung sorgen wird, sondern auch für einen höheren Lebensstandard und finanzielle Planungssicherheit. Gerade letztere wäre überaus wünschenswert. Schließlich ist sie in Zeiten explodierender Rohstoffpreise und Energiekosten schon schwer genug zu finden.

Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 6)

Wie man es dreht und wendet: Von einem überstürzten Reagieren auf das EuGH-Urteil von 2019 kann jedenfalls nicht die Rede sein. Das politische Aussitzen hat seinerzeit lediglich einen Aufschub bei der Umsetzung von dessen Vorgaben gebracht.

Faustdick überraschen sollten das BAG-Urteil und dessen Schlussfolgerungen deshalb niemanden mehr, es sei denn, man hatte überhaupt nicht mehr mit einer Umsetzung gerechnet.

Reiz(wort)überflutung: Das „Stechuhr-Urteil“

So wie möglicherweise die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), die schon nach dem EuGH-Urteil 2019 kommentierte: „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert.“ – und die das BAG-Urteil drei Jahre später für „überstürzt“ hält. Unangenehm wäre hier das passende Adjektiv gewesen.

Die Stechuhr ist in der gegenwärtigen Debatte zum Reizwort geworden. Sogar das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wurde mit dem Wort „Stechuhr-Urteil“ belegt, obwohl das Wort nirgendwo in der gesamten Urteilsbegründung auftaucht. Das anachronistisch anmutende Bild einer Lochkarten-Stechuhr der Wirtschaftswunderjahre sollte ein in den Augen der Wortschöpfer aus der Zeit gefallenes Urteil symbolisieren – wie auch das BAG-Urteil, dem ironischerweise ja die Frage zugrunde lag, wer für die „Einführung einer elektronischen Zeiterfassung“ zuständig sei.

Schreckensvision Stechuhr: Kehrt das Grauen zurück?

Die „Rückkehr zur Stechuhr“ ist ohnehin die am häufigsten verwendete Schreckensvision der von den Urteilen 2019 wie auch 2022 überrumpelt wirkenden Fachleute. Aber unabhängig davon, ob EuGH und BAG bei ihrer Urteilsfindung jemals an Lochkarten-Uhren dachten: Ist die Einführung einer solchen Stechuhr denn wirklich realistisch?

Aber nein. Schließlich gibt es inzwischen zeitgemäße Praktiken zur Zeiterfassung. Wer noch immer die Schreckensvision Stechuhr aufrecht erhält, ist entweder ein technischer Nostalgiker – oder er hat sich aus anderen Gründen noch nicht in ausreichendem Maße mit modernen Alternativen befasst.

Wie erwähnt, schweben auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausdrücklich elektronische Methoden zur Zeiterfassung vor.

Keine Angst vor der Stechuhr!

Auf diesem Sektor existieren bereits zahlreiche Lösungen, die weit mehr bieten als das Stempeln von Arbeitszeiten. Mit Hilfe digitaler Zeiterfassung haben Mitarbeiter dank intelligenter Technologie auch ihre Überstunden, Pausen, Urlaubstage und vieles mehr im Blick.

Und zwar überall. Ob im Büro, mobil oder im Homeoffice, mit festgelegten oder Vertrauensarbeitszeiten. Ganz selbstverständlich und ohne Stechuhr, dramatischen Paukenschlag oder faustdicke Überraschungen.

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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 5)

In einer ersten Stellungnahme formuliert das BAG recht eindeutig, Arbeitgeber seien „gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen“. Das EuGH-Urteil von 2019 lasse Deutschland lediglich Gestaltungsspielraum „über das Wie, nicht das Ob der Arbeitszeiterfassung“, ergänzte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner.

Wo ein Gesetz ist, ist auch eine Sanktion

Sollte das Arbeitszeitgesetz die erwartete Anpassung um die generelle Zeiterfassung erfahren, sind laut Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender des Arbeits- und Sozialausschusses im Bundestag, weitere Schritte notwendig: „Wenn die Arbeitszeiterfassung Pflicht ist, dann muss es für Verstöße auch Sanktionen geben.“

In der Vergangenheit seien beispielsweise Manipulationen bei der Protokollierung der Arbeitszeiten von Mindestlöhnern allzu leicht möglich gewesen. Ihnen sollte durch strengere gesetzliche Vorgaben begegnet werden.

Die Jahre zwischen EuGH- und BAG-Urteil

Nicht nur auf die Politik wartet noch viel Arbeit. Arbeitnehmer werden sich in vielerlei Hinsicht umstellen und Arbeitgeber zum Teil hohe Mehrkosten in Kauf nehmen müssen. Für viele dürfte dies angesichts der zum 1. Oktober 2022 erfolgten Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro und der gegenwärtig in beunruhigendem Maße steigenden Energiekosten eine erhebliche Mehrbelastung darstellen.

Vieles hat sich seit dem EuGH-Urteil 2019 geändert. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Jahre ist noch immer nicht gänzlich abzusehen und aktuell treiben die Begleitumstände des Krieges in der Ukraine die Energie- und Produktionskosten der Unternehmen in die Höhe.

Jammern vor allem auf hohem Niveau

Interessanterweise klagen aber nicht die ohnehin in ihrer Existenz bedrohten Kleinunternehmer, sondern vor allem die Großkonzerne über eine „aufdiktierte“ Arbeitszeiterfassung. Dabei wird die Anschaffung von Zeiterfassungssystemen bei ihnen finanziell weitaus weniger ins Gewicht fallen.

Dennoch: Die angezählte Wirtschaft benötigt dringend positive Impulse, zumal sich viele Menschen noch immer in Kurzarbeit befinden – alles andere als ein günstiger Zeitpunkt für die Einführung einer generellen Arbeitszeiterfassung.

Oder genau der richtige angesichts immer mehr Niedriglohn-Jobs auf Stundenbasis?

 

***Wie aber kann dem EuGH-Urteil von 2019 entsprochen werden? Ist eine Wiedereinführung von Stechuhren realistisch, wie manche befürchten? Der sechste und letzte Teil dieses Blog-Artikels rundet das Thema (vorläufig) ab.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 4)

Homeoffice, Remote Work + Vertrauensarbeitszeit

Während der Corona-Pandemie wurden vielerorts alternative Arbeitszeitmodelle wie beispielsweise Homeoffice etabliert. Der Gesetzentwurf der Koalition versucht auch sie zu berücksichtigen.

Dort heißt es: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“

Der erste Vorstoß

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte schon Anfang des Jahres einen „Gesetzesentwurf zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ für bestimmte Branchen vorgelegt.

Betroffen von dem Entwurf wären etwa das Baugewerbe, Gebäudereiniger oder Dachdecker gewesen. Sie sollten ab dem 4. Quartal 2022 – also ab Oktober – die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter „unmittelbar und manipulationssicher“ elektronisch erfassen.

Inzwischen ist dieser Gesetzentwurf jedoch auf Drängen des Koalitionspartners FDP vom Tisch, der – welch Überraschung – die notwendigen, arbeitgeberseitigen Investitionen als zu hohe finanzielle Belastung einstufte.

Die Diskussion um eine generelle Arbeitszeiterfassung geht nun in die nächste Runde. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts müssen die politisch Verantwortlichen nach praktikablen und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen suchen und das Arbeitszeitgesetz gemäß der EuGH-Vorgaben einer Überarbeitung unterziehen.

Wieder mal: abwarten und Tee trinken

Zunächst jedoch möchte die Bundesregierung die detaillierte Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. Denn noch ist beispielsweise unklar, ob Arbeitgeber künftig zwingend die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter aufzeichnen oder lediglich die Systeme zur systematischen Arbeitszeiterfassung bereitstellen müssen.

 

***Wie jetzt, abwarten? Ist die Aussage des Bundesarbeitsgerichts denn nicht eindeutig? Teil 5 erläutert, weshalb die Regierung noch zögert und welche Auswirkungen die genaue Urteilsbegründung hätte.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 3)

EuGH-Urteil: Bloß eine Empfehlung?

Mit der Folge, dass das zur Zeit des EuGH-Urteils 2019 regierende schwarz-rote Kabinett „Merkel IV“ eine Entscheidung für Deutschland erstmal vertagte – sehr zur Erleichterung der Arbeitgeber, für die eine generelle Arbeitszeiterfassung mit höherem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden wäre.

Unbestreitbar ist etwa die Tatsache, dass sich Systeme zur Arbeitszeiterfassung in vielen Unternehmen nicht so einfach von einem auf den anderen Tag umsetzen lassen. Dieser Umstand wurde allerdings selten thematisiert. Stattdessen verstiegen sich die Arbeitgebervertreter bereits 2019 zu empörten und übertriebenen Schmährufen und sprachen im Zusammenhang mit einer generellen Arbeitszeiterfassung gar von einem „Rückfall in die Steinzeit“.

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) interpretierte das EuGH-Urteil lediglich als Empfehlung, weshalb er anregte, zunächst die Frage nach einem konkreten Umsetzungsbedarf zu klären. Eine offizielle Stellungnahme erfolgte übrigens vor dem Regierungswechsel im Jahr 2021 nicht mehr.

Abgewatscht

Mit seinem Grundsatzurteil vom 13. September 2022 (Aktenzeichen BAG 1 ABR 22/21) stellt das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klar, dass die EuGH-Vorgaben von 2019 keineswegs eine Empfehlung, sondern eine rechtlich verbindliche Regelung darstellen.

Laut Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, bestehe daher längst die gesetzliche Verpflichtung von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten, wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz nach dem EuGH-Urteil auslege.

Die Ampel und das Arbeitszeitgesetz

Wobei Zeiterfassung in vielen Branchen ohnehin üblich ist. Mitarbeiter in Krankenhäusern und bei Rettungsdiensten beispielsweise dokumentieren ihre Arbeitszeiten schon seit langem. Andere EU-Länder wie Spanien, Österreich und Italien haben sie bereits generell zur Pflicht gemacht.

Auch die Ampelregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) möchte nachziehen und hat im Koalitionsvertrag den Entwurf für eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgesehen.

 

***Bedeutet dies das Ende der Vertrauensarbeitszeit, wie von der Arbeitgeberseite postuliert? Teil 4 dieses Beitrags geht in die Tiefe.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 2)

Nur keine Panik!

Es ist nicht das Urteil, sondern dieser Passus am Rande, der nun bundesweit für Diskussionen, Entrüstung und Unverständnis, ja, bisweilen sogar für Panik sorgt. Denn er besagt, dass nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) längst eine gesetzliche Vorgabe zur Einführung einer generellen Erfassung geleisteter Arbeitszeiten besteht.


Zwischeninfo: Die Zeiterfassung im Arbeitszeitgesetz

Entscheidend ist hier das Wort „generell“. Denn partiell besteht bereits eine gesetzliche Pflicht zur Erfassung bestimmter geleisteter Arbeitsstunden. Das deutsche Arbeitszeitgesetz (§16 ArbZG) sieht bislang allerdings nur vor, dass Überstunden aufgezeichnet werden müssen, „die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer“ hinausgehen. Allerdings steht seit Jahren die Frage im Raum, wie man Überstunden dokumentieren soll, wenn die geleisteten Arbeitszeiten selbst nicht festgehalten werden.


Zur Erklärung der BAG-Einschätzung muss man ein wenig ausholen und ins Jahr 2019 zurückblicken. Am 14.05.2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber zur Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ zur Erfassung der geleisteten täglichen Arbeitszeit verpflichten müssen.


In diesem Blog: Das EuGH-Urteil von 2019

Über das EuGH-Urteil hatte ich bereits in einem Blog-Beitrag berichtet. In ihm können Sie die Hintergründe des damaligen Urteils sowie die Reaktionen hierauf nachlesen.


Keine Frist – keine Entscheidung

Ein rechtskräftiges, aber zunächst folgenloses Urteil. Der Europäische Gerichtshof manifestierte damit zwar das Grundrecht von Arbeitnehmern auf Einhaltung und Dokumentation von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten. Und befand, dass hierzu die Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems notwendig sei.

Gleichzeitig stellte der EuGH jedoch den EU-Mitgliedsstaaten das Wie in der nationalen Umsetzung frei, sprich: die Änderung von rechtlichen Regelungen wie dem Arbeitszeit- oder dem Arbeitsschutzgesetz. Auch wurde keine Frist für die Umsetzung benannt.

 

***Das klingt doch recht verbindlich. Sicher hatte sich die Regierung um Kanzlerin Angela Merkel bereits Gedanken darüber gemacht, wie und bis wann das EuGH-Urteil umzusetzen sei, oder? Teil 3 dieses Artikels klärt Sie auf.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 1)

Faustdicke Überraschung?

Ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt erhitzt derzeit die Gemüter. Genauer: Dessen Urteilsbegründung. Sie erinnert daran, dass die Frage nach der Umsetzung einer generellen Arbeitszeiterfassung in Deutschland noch immer unbeantwortet ist, obwohl laut Ansicht des BAG seit Jahren hierzu eine Verpflichtung besteht.

In den aktuellen Beiträgen renommierter Fachblätter zum Urteil 1 ABR 22/21 des Bundesarbeitsgerichts werden immergleiche, markige Ausrufe wie „Ein Paukenschlag!“, „Ein Meilenstein!“ oder „Eine faustdicke Überraschung“ von Arbeitsrechtsexpert:innen und Arbeitgebervertreter:innen zitiert.

Ein Armutszeugnis für den seriösen Journalismus

Ein Zeichen dafür, wie wenig Mühe sich Vertreter:innen des aufklärenden Journalismus mittlerweile bei der Recherche und Aufbereitung komplexer Sachverhalte für die Leser:innen machen. Abschreiben ist offenbar nicht nur salonfähig geworden, sondern gilt als neuer, investigativer Weg.

Steffen Kampeter, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), wird ebenfalls oft erwähnt, als habe er Aussagen getroffen, die in Stein gemeißelt gehören. So nennt er das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 „überstürzt und nicht durchdacht“ und folgert: „Damit werden Beschäftigte und Unternehmen ohne gesetzliche Konkretisierung überfordert.“

Worum geht es denn hier eigentlich?

Ironischerweise war eine generelle Arbeitszeiterfassung gar nicht das Thema, sondern bestenfalls der Ausgangspunkt des zugrunde liegenden Rechtsfalls und der Kommentare. Das Bundesarbeitsgericht sollte lediglich darüber entscheiden, ob Betriebsräte ein Initiativrecht bei der Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung besitzen, welches arbeitgeberseitig verweigert wurde.

Die Antwort lautet: Nein. In dem Beispielfall wurde der Antrag  durch das BAG abgelehnt – mit der Begründung, dass ein solches Initiativrecht nur dann Anwendung findet, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht.“

 

***Ja, und? Was bedeutet das nun? Teil 2 dieses Artikels erläutert es Ihnen.***


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Ostdeutschland liegt rechts auf der Karte (Teil 5)

Bekanntermaßen zieht sich der gegenwärtige Rechtsruck durch ganz Europa. Die gemäßigte Politik duldete und verharmloste lange Zeit verfassungsfeindliche Tendenzen. Zu denen auch die Querdenker-Bewegung gezählt werden darf, auch wenn sie nicht per se rechtsradikal ausgerichtet war. In ihrem Bestreben, den Staat und seine Corona-Maßnahmen zu diskreditieren, war ihr aber jedes Mittel  – ja, genau – recht.

Klare Kante

Verfassungsfeindliche Gruppierungen durften unverhohlen die Demokratie verhöhnen und deren Abschaffung fordern. Die rechtsextreme Partei „III. Weg“ forderte auf Wahlplakaten „Hängt die Grünen!“, was die Staatsanwaltschaft Zwickau als eine Art künstlerische Freiheit in Sachen Wahlslogans interpretierte. Wie cool, wie locker.

Nein. Lediglich naiv. Denn vielerorts blühen Fremdenhass und Gewaltbereitschaft, Andersdenkende werden verbal und auch körperlich attackiert. Während sich die Politik an gendergerechter Sprache, Integration und Gleichstellung abmüht, sieht sie dabei zu, wie ein Teil der Bevölkerung sich abspaltet und einen Staat im Staat zu gründen versucht.

Klare Kante wäre nun gefordert. Nein, eigentlich schon lange. Doch die ist nicht unsere Stärke. Viel zu viele Missstände haben sich aufgetürmt, – von Renten- und Arbeitslosenreform über Pflegenotstand bis hin zu Technologie und Klimaschutz -, viele kamen hinzu, Stichwort: Maut und Maskendeals.

Der Kreis schließt sich

Dass Kanzler Olaf Scholz chronisch überfordert scheint und den Eindruck erweckt, sich nicht einmal beim Belag seines Pausenbrotes klar entscheiden zu können, macht die Sache nicht besser. Aber vielleicht haben wir es auch nicht anders verdient. Die Alternative sind Hardliner wie Söder und Merz. Kleine Regenten mit autokratischen Zügen. Viele Deutsche wünschen sich inzwischen eine harte Hand statt Kuschelkurs.

Womit sich der Kreis schließt. Vielleicht, so denken wohl manche Deutsche, ist eine Autokratie ja gar nicht so verkehrt. Man weiß genau, was man sagen darf und was nicht. Es gibt eng gesteckte Regeln und wenig Freiheit, aber dafür muss man nicht so viel nachdenken und immer andere in die eigenen Überlegungen miteinbeziehen.

Ein bisschen DDR also. Nach dem Motto: Lieber 9 qm Rasen ganz für mich als ein vereintes Europa. Oder zumindest ein vereintes Deutschland. Womöglich auch noch mit Integration und Toleranz. Das würde doch … na ja, irgendwas würde das ganz sicher Tür und Tor öffnen. Nein, lieber nicht.

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Ostdeutschland liegt rechts auf der Karte (Teil 4)

Wo solche Stimmung herrscht, flüchten diejenigen, die anders denken. Gerade junge Intellektuelle verlassen Ostdeutschland, sobald sie das Geld für eine Fahrkarte zusammengespart haben. Zurück bleiben die älteren Generationen, die das alles früher irgendwie besser fanden, weil da wenigstens die ganze Familie zusammen war.

Wie soll die Zukunft unserer Kinder aussehen?

Es bleiben die Nationalisten, die sich ein halbes Land als Spielwiese erobert haben und den Platz der Weggezogenen einnehmen. Mit deren Eltern Kaffee trinken und ihnen erklären, dass ihre Kinder wegen all der Ausländer oder der Bundespolitik in die Stadt gezogen seien.

Und es bleiben die Jüngsten. Die in einer Atmosphäre des Dünkels und der Ressentiments aufwachsen. Sich an den gesellschaftlichen und politischen Strömungen orientieren, die am lautesten auf sich aufmerksam machen. Denen es in einem solchem Umfeld immer schwerer fallen dürfte, tolerant und weltoffen zu bleiben.

Dem sollten wir entgegenwirken. Durch mehr Aufmerksamkeit und wirkende Maßnahmen seitens des Bundes. Vor allem aber durch aktive Gegenwehr im Osten. Denn jeder Bürger hat es zu einem großen Teil auch selbst in der Hand, in welcher Welt seine Kinder groß werden und welches Weltbild sie entwickeln.

Quo vadis?

Fördern und fordern, so lautet das Grundprinzip hinter staatlichen Sozialleistungen. Es trifft auch auf unsere Gesellschaft zu, in diesem Fall speziell auf Ostdeutschland. Wer soll euch vor demokratiefeindlichen Kräften bewahren, wenn ihr sie okay findet? Wer vor eurer Haustür investieren, wenn er die Atmosphäre als bedrohlich und die politische Lage als instabil empfindet?

Wir alle nehmen Einfluss auf unser Land. So oder so. Wer aus Protest den Rechtsstaat abwählt, entscheidet sich aktiv gegen all das, was ihn beschützt. Und sucht nach neuen starken Armen, die diese Funktion erfüllen. Was liegt da näher, als diejenigen zu wählen, die am lautesten schreien und ihrem Unmut auch schon mal durch allzu markige Worte und Gewalt Luft verschaffen?

Einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2019 zufolge befürworten nur noch 42 Prozent der Ostdeutschen die Demokratie in ihrer jetzigen Form. Das ist deutlich. Eine andere Studie ergab, dass jeder fünfte ostdeutsche Jugendliche sich einen autokratischen Staat wünsche. Muss uns da wirklich verwundern, dass Putin im Osten besser ankommt als im Westen?

 

***Das mag ja sein, sagen Sie, aber die Politik zeigt keinen Weg auf? Teil 5 schließt das Thema ab.***


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Ostdeutschland liegt rechts auf der Karte (Teil 3)

In ihrem Frust über die eigene Bedeutungslosigkeit wittern viele Bundesbürger Verrat und Vetternwirtschaft. Ob Masken- oder Maut-Skandale: Überall machen sich andere die Taschen voll auf Kosten der Allgemeinheit. Andere heißt in dem Fall: Wessis.

Gefährliche Akzeptanz

Nicht jeder Ostdeutsche sympathisiert mit nationalistischen Bewegungen. Viele stemmen sich sogar mit aller Macht dagegen, leisten Überzeugungsarbeit, beschwören, verteidigen die Demokratie. Aber das gestaltet sich zunehmend schwerer, wenn nicht nur der radikalisierte Bruder, sondern auch die eigenen Eltern kein Problem mehr damit haben, zu AfD-Veranstaltungen zu gehen, sich für ein Selfie mit Bernd Höcke ablichten zu lassen oder gar als Aushängeschild der Rentner-Generation zu fungieren.

Hinzu kommen eine gewisse Grundstimmung und vor allem eine breitflächige Akzeptanz von Nationalismus in öffentlichen Debatten. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung radikale Tendenzen akzeptiert oder gar fördert, werden Außenseiter zu Bestimmern. Ist „Ausländer raus“ wieder salonfähig.

Hierin liegt wohl der große Unterschied zwischen West und Ost. Nationalistische Gruppierungen im Westen operieren oftmals im Verborgenen, während sie im Osten ganz unverhohlen ganze Gemeinden beherrschen. Kein Wunder, stimmt doch mindestens jeder vierte Einwohner mit ihrer ideologischen Ausrichtung überein.

Politische Ziele? Fehlanzeige?

Von politischen Zielen weit entfernt, – außer Flüchtlingspolitik und Corona-Maßnahmen interessiert offenbar nichts -, verliert man sich in aggressivem Selbstmitleid. Hab ja keine Arbeit, hier gibt’s ja nix. Ja klar. Warum auch? Weil ihr so weltoffene, rücksichtsvolle und tolerante Menschen seid?

Natürlich hat die Bundespolitik Fehler gemacht. Der Osten hätte nicht nur finanzielle Hilfen und das Anlocken von Investoren gebraucht, sondern auch einen besseren Anschluss an Westdeutschland. Zu sehr verließ man sich darauf, dass die Menschen in Ostdeutschland nach den vermeintlich lähmenden und eingeschränkten DDR-Zeiten begeistert die westliche Lebensweise und deren Freiheiten übernehmen würden.

Die politische Bildung in Schulen wurde vernachlässigt und über rechte Strömungen bei Polizei und Sicherheitsbehörden hinweggesehen. Ein Prozess, der noch immer andauert. Dabei zählen die sozialen Probleme ebenso zum Alltag wie die Angriffe auf die Demokratie.

 

***Wozu führen diese Entwicklungen? In Teil 4 dieses Artikels wird das Ausmaß klarer umrissen.***


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Ostdeutschland liegt rechts auf der Karte (Teil 2)

Wird ein Migrant von Neonazis in der S-Bahn angepöbelt und schauen diese Bürger weg, macht sie das vielleicht zu Feiglingen, aber noch nicht zum Befürworter der Aktion. Doch längst geht es nicht mehr um Wegschauen. Wer aktiv an einer offensichtlich von rechtsradikalen Gruppierungen ausgerichteten oder vereinnahmten Demo teilnimmt, macht sich mitschuldig an den Folgen.

Das Gesicht der Extremisten

Es sind nämlich diese Bürger, die dem Angriff gegen die Rechtsstaatlichkeit erst ein bürgerliches Gesicht geben. Bürger bürgen – in dem Fall für  verfassungsfeindliche Kräfte in ihrem Land. Und da auch ihr Prozentsatz deutlich höher liegt als im Westen, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, der Osten habe offensichtlich ein Problem mit der Demokratie.

Ja, es sind Angriffe auf die Demokratie, auch wenn viele genau das Gegenteil hineininterpretieren möchten. Zum Teil ist von Emanzipation die Rede, davon, dass der Osten sich durch diese Kundgebungen Gehör verschaffe, weil man von seinen Problemen im Westen nichts wissen wolle.

Eines dieser Probleme liegt wie erwähnt im niedrigen Lohnniveau. Damit es steigen kann, müssten sich mehr Unternehmen im chronisch strukturschwachen Ostdeutschland niederlassen. An dieser Stelle ist vielen Menschen nicht klar, dass die rechtsnationalistische und teilweise -radikale Gesinnung vieler Ostdeutscher auf Investoren nicht gerade attraktiv wirkt.

Herzlich willkommen?

Insbesondere global operierende Unternehmen können ihrer internationalen Belegschaft in manchen Landsstrichen weder Sicherheit noch ein angenehmes Lebensumfeld bieten. Wenn dort selbst Politiker von einem aufgebrachten Mob zu Hause bedrängt werden, wie soll man sich dort jemals wohlfühlen?

Fakt ist: Der Osten bemüht sich nicht in ausreichendem Maße um eine Verbesserung seines Images. Im Gegenteil, man sägt im Verbund mit Neonazis genüßlich die eigenen Stuhlbeine durch. Weil man sich alleingelassen fühlt vom Staat. Weil es denen da drüben immer noch besser geht. Weil die da oben sowieso immer gewinnen. Weil früher alles besser war.

Früher? Zu DDR-Zeiten etwa? Als man den Westen mit seinen ganzen Neonazis verteufelte? Dieselben, die man nun nach der Corona-Demo noch zu einem Bier in die Laube einlädt? Was stimmt hier nicht in diesem Gedankengang?

 

***Moment mal. Nicht jeder ostdeutsche Bürger befürwortet Pegida oder Rechtsradikalismus. Natürlich nicht! Gewisse Tendenzen sind allerdings im Osten ausgeprägter als im Wesen Deutschlands. Teil 3 erzählt mehr darüber.***


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Ostdeutschland liegt rechts auf der Karte (Teil 1)

Vor kurzem versuchte sich der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert an einer Erklärung für die Tatsache, dass ein großer Teil der Ostdeutschen Sanktionen gegen Russland als politisches Druckmittel im Ukraine-Konflikt ablehnt. Er widersprach dabei der nahe liegenden Vermutung, die ostdeutsche Bevölkerung sei pro-russisch eingestellt oder billige zumindest den Einmarsch in der Ukraine.

Um die Ostdeutschen in diesem Punkt verstehen zu können, müsse man statt eines politisch-ideologischen vielmehr einen wirtschaftlichen Ansatz wählen, so Kühnert. Noch immer verdienten Ostdeutsche weniger als ihre West-Kollegen, sei das Lohnniveau niedriger und die Geringverdiener- und Arbeitslosenquote höher. Dadurch bedingt, träfe die infolge der Sanktionen auftretende Energiekrise diese Menschen härter als manchen Westdeutschen.

Nur im Osten?

Ein interessanter Ansatz, der allerdings auch auf westdeutsche Geringverdiener, Arbeitssuchende und Hartz-IV-Bezieher anwendbar ist. Sie treffen die Teuerungen sogar noch schlimmer, ist doch das Mietniveau deutlich höher als in den meisten Regionen Ostdeutschlands.

Nicht nur der Standpunkt in der Russland-Frage unterscheidet West und Ost. Immer noch gibt es eine imaginäre Trennlinie. So war im Westen beispielsweise Rechtsradikalismus immer präsent – nie aber in der Breite, in der er sich im Osten zeigt.

Als Gradmesser des Rechtsrucks gelten gemeinhin die Wahlergebnisse der AfD. Wurde diese in ihrer Anfangszeit noch von vielen Bürgern als echte Alternative zu den Volksparteien gesehen, hat sie sich inzwischen klar nach rechtsaußen ausgerichtet. Aus Versehen wählt heute niemand mehr die AfD.

Der kleine Unterschied in Zahlen

In Westdeutschland stagnieren ihre Werte im einstelligen Bereich, im Osten erringt die AfD bis zu 27% der Stimmen. Ob aus Protest oder Überzeugung: Mehr als jeder vierte Wahlberechtigte entscheidet sich dort für den Populismus.

Nationalistische Bewegungen – ja, auch im Westen existent – organisieren regelmäßig Kundgebungen und „Protestmärsche“. Ganz legal, weil angemeldet. So lange die Corona-Bestimmungen halbwegs eingehalten werden und der Hitlergruß unterbleibt, drückt die örtliche Polizei beide Augen zu.

Auch deshalb, weil die „Rechten“ oftmals von Normalbürgern begleitet werden. Wie bei Pegida. Wie bei den Querdenker-Demos. Wenn man sich fragt, wie man den rechtsradikalen Strömungen beikommen kann, muss daher auch die Frage gestellt werden, weshalb sich so viele ach so brave Bürger von ihnen instrumentalisieren lassen.

 

***Aber kann man das wirklich den Bürgern anlasten? Schließlich möchten Sie doch nur für ihre Ziele demonstrieren. Teil 2 geht dieser Frage nach.***


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„Autoren händeringend gesucht.“ -Fortsetzung-

Nein, noch lange nicht. Denn an dieser Stelle folgt in der Regel noch das übliche eierlegendewollmilchsaumäßige Anforderungsprofil, bestehend aus mindestens 5 Jahren Projektleitererfahrung in Kombination mit einem Einstiegsjahresgehalt von < 30.000 EUR.

Wo ist das Problem?

Angeblich sucht die Branche (worunter man bis vor einiger Zeit noch Agenturen mit wortgewaltigen Mitarbeitern verstand) händeringend nach Autoren, die ein fehlerfreies und frisches Deutsch einzusetzen wissen und nebenbei über die nötige Empathie verfügen, um sich in die jeweils gewünschte und passende Tonalität eingrooven zu können.

Wie man man seit Jahren liest, sind solche Mitarbeiter vom Aussterben bedroht, werden sie abgeworben, umschmeichelt und zum Bleiben überredet. Vermittlungsagenturen reißen sich um die wenigen verfügbaren Texter, deren Bestand durch die Tatsache ausgedünnt wird, dass viele Unternehmen eigene Autoren beschäftigen, statt wie bislang Agenturen mit Wortbeiträgen zu beauftragen.

Was sucht ihr eigentlich?

Aber erfüllen wirklich viele dieser Autoren auch nur annähernd die laut Stellenbeschreibung geforderten Bedingungen? Die vielen Voraussetzungen sind kaum durch einen einzelnen Bewerber zu befriedigen. Macht aber nix, immerhin bietet das Überspringen jeden Unterpunktes dem Arbeitgeber die Möglichkeit, das spätere Zielgehalt zu drücken. Schließlich fehlen ja wichtige, im Jobprofil definierte Qualitäten.

Liebe Recruiter da draußen, überlegt euch doch bitte vor dem Verfassen eurer Ausschreibung, ob ihr einen Texter, einen Content Manager, einen Social Media-Beauftragten, einen Grafiker oder einen Projektleiter sucht. All das in Personalunion zu verlangen und potentielle Bewerber zu verschrecken ist vermutlich nicht sehr hilfreich bei eurer Suche.

Remote tut Not

Es gibt nämlich verdammt gute Texter da draußen. Man muss nur wissen, wie man sie erreicht und was man ihnen bieten sollte. Homeoffice zum Beispiel. Doch das entwickelt sich bei vielen Arbeitgebern zum Unwort, gerade so, als hätten sie in den letzten beiden Homeoffice-Jahren nicht Rekordumsätze gemacht. Elon Musk lässt grüßen.

Remote zu arbeiten ist zeitgemäß und in einer global handelnden Gesellschaft eigentlich Grundvoraussetzung vieler Jobs. Für einen Texter ist es nämlich unerheblich, ob sein Auftraggeber in Berlin oder Buxtehude, Bern oder Bali sitzt. Seine fertigen Beiträge sind in Sekundenbruchteilen am Ziel, bitte schön!

Keine Villa, sondern Freiraum

Für tägliche Besprechungen gibt es Online-Meetings  und Telefon. Einmal im Vierteljahr sieht man sich zur Terminplanung und gemeinsamem Brainstorming am runden Tisch. In Berlin oder Buxtehude. So kann Arbeit heute aussehen und so lässt man seinen Textern den nötigen Freiraum für kreative Prozesse.

Stattdessen werden noch immer Obstkörbe und veganer Brotaufstrich als Benefits verkauft – oder das schicke neue Büro in der Jugendstilvilla am anderen Ende der Republik. Wer nicht dorthin ziehen möchte oder kann, muss mal eben 700 km pendeln – oder, wahrscheinlicher, bewirbt sich gar nicht erst.

„Autoren händeringend gesucht.“ Wirklich?

Nehmen wir an, Ihr Haus sei in die Jahre gekommen und benötige ein neues Dach inklusive Gebälk. Wen würden Sie um Rat und einen Kostenvoranschlag zur Erneuerung bitten?

„Einen Dachdecker und einen Zimmermannsbetrieb“, antworten Sie? Halb verärgert, halb verunsichert. Zu banal scheint die Frage, zu sehr klingt sie nach einer Scherzfrage.

Der Allround-Handwerker

Gut, das wäre geklärt. Nehmen wir weiter an, Ihr Haus verfüge weder über gedämmte Fenster noch eine Außendrainage. Auch die Elektrik wurde beim Bau seinerzeit nicht fachmännisch verlegt und außerdem ist die Heizung veraltet. Könnte das nicht der Dachdecker gleich mit erledigen? Oder der Zimmermann? Und bei der Gelegenheit noch eine Photovoltaik-Anlage montieren?

„Wieso sollte er?“ fragen Sie? Zu Recht. Denn warum sollte ein Zimmermann oder Dachdecker Ahnung von Elektrik, Heizungen oder Photovoltaik haben? Sieht man sich jedoch Stellenbeschreibungen von Autoren, Content Creators oder Content Managern an, kommt man nicht umhin, sich die Augen zu reiben.

Medienmonster gesucht

Mal wird Erfahrung im Drehen und Bearbeiten von Videos vorausgesetzt, mal soll der gesuchte Mitarbeiter ein Tiktok-Fanatiker oder Influencer sein. Die vier gängigsten Bildbearbeitungsprogramme ebenso beherrschen wie die wichtigsten Content-Management-Systeme und Mac-Systeme.

Geht es nach den Job-Ausschreibungen, sollte sich ein Autor in seiner Freizeit (nach seinem Master-Studium in Journalismus oder Medienwissenschaften) hauptsächlich auf verschiedenen Social-Media-Plattformen herumtreiben und je nach Branche Mode-, Elektronik-, Gesellschafts-, Food-, Health- oder sonstige Trends vor allen andern aufspüren.

Do you parla francais in fließendem Übergang?

Und natürlich fließend von Deutsch zu Englisch oder anderen Sprachen wechseln. Schließlich werden vielen Jobangebote nur noch auf Englisch veröffentlicht und finden anscheinend selbst in kleinen Unternehmen wöchentlich Meetings mit Projektleitern in Übersee statt.

SEO sollte man heutzutage nicht nur beim Verfassen und Redigieren von Online-Texten beachten, sondern auch mit geläufigen Tools auswerten können. Und Business-KPIs erkennen, die UX verbessern und den USP des Unternehmens herausstellen. Alles klar?

 

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Bye bye Pflege (Teil 5)

Dazu müssen Pflegeberufe allerdings künftig mehr Anreize bieten. Bereits heute fehlen in Pflegeheimen 120.000 zusätzliche Vollzeit- oder 200.000 Teilzeitstellen, wie der Gesundheitsökonom Prof. Heinz Rothgang vom SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen im Auftrag der Pflegekassen, Sozialhilfeträger und Berufsverbände errechnet hat. „Der Markt ist komplett leer gefegt“, so sein Fazit. „Die andere Hälfte des Notstands ist aber, dass es im Pflegebereich viel zu wenig Stellen gibt.“

Der Mindestbedarf muss gedeckt werden

Diesem Manko trägt man mit dem Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) Rechnung, welches einen Bundeszuschuss von 5 Milliarden Euro für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Schaffung von 20.000 zusätzlichen Stellen für Pflegehilfskräfte vorsieht. Es stützt sich auf ein Verfahren zur Errechnung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen, das am SOCIUM Forschungszentrum erarbeitet wurde.

Rasches Handeln ist nötig, wie Studien beweisen. So hat das Berliner Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) deutschlandweit knapp 2.000 Pflegeexperten aus Pflegeheimen und ambulanten Diensten befragt, inwieweit sich deren Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie verschlechtert haben. 40 Prozent der Befragten klagten über eine Zunahme der körperlichen Belastung. Die psychische Belastung sei gar um bis zu 65 Prozent gestiegen. Grund für die Mehrbelastung in der stationären Pflege seien zusätzliche Aufgaben, die im Zuge der Pandemie angefallen seien.

Nur jede 5. Stelle wird besetzt

In einer anderen Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW) berichteten bis zu 84 Prozent der befragten Pflegekräfte von Personalmangel, Überlastung und dem aus Zeitnot resultierenden Wegfall pflegerischer Tätigkeiten wie Körper- und Mundpflege von Patienten oder der Vorbeugung von Thrombosen oder Infektionen. Darüber hinaus gehen zwei Drittel der Pflegenden täglich mit der Angst zur Arbeit, sich und ihre eigene Familie mit dem Corona-Virus anzustecken.

Schätzungen zufolge entfielen auch vor der Pandemie auf 100 freie Stellen in der Altenpflege gerade mal 27 Bewerber. Am Ende wird nur jede fünfte Stelle besetzt. Und das dauert im Durchschnitt ein halbes Jahr. Sechs Monate, in denen Patienten schlechter versorgt werden, als es ihnen zusteht. In denen Pflegekräfte täglich ein Plus auf ihre Schicht packen, ein Plus an Arbeit, an Zeit, an Menschlichkeit, an Würde.

Es ist an der Zeit, dieses Plus zu honorieren. In Form von zusätzlichen Pflegekräften, von besserer Aus- und Fortbildung, höheren Löhnen und beruflichen Perspektiven. In Form von Respekt.

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Bye bye Pflege (Teil 4)

Die Realität sieht derzeit anders aus. Während der Pandemie wurden im Pflegebereich teilweise Arbeitszeit- und Schutzgesetze sowie Pflegepersonal-Untergrenzen ausgesetzt, um Mehrarbeit und durchgearbeitete Wochenenden zu ermöglichen. Alte, vorerkrankte und sogar positiv getestete Mitarbeiter mussten zum Dienst erscheinen, weil sie nicht abkömmlich waren.

Im Berliner Humboldt-Klinikum durften sich die Beschäftigten nach einem Ausbruch der Coronavirus-Mutation B.1.1.7. innerhalb einer Pendelquarantäne im Januar 2021 nur zwischen der Klinik und ihrem Zuhause bewegen. Essen, schlafen, arbeiten.

Pflegen statt Fliegen

Ein anderes bekanntes Berliner Klinikum – die Charité – stockte vorübergehend den Personalbestand im Pflegedienst durch Flugbegleiterinnen auf, die sich in Kurzarbeit befanden. So konnten Fachpflegekräfte entlastet werden und die Intensivstationen unterstützen.

Viele Lösungen sind und waren improvisiert und dem Corona-Virus geschuldet. Doch auch unabhängig vom Pandemiegeschehen fehlt es seit langer Zeit an vielem. An besserer Qualifikation durch Aus- und Fortbildung zum Beispiel oder an der Übertragung von Verantwortung.

Qualifizierung als Anreiz

„Weil die Pflege ein Assistenzberuf ist, müssen Ärzte fast alles erstmal abnicken“, so die Professorin Henrikje Stanze von der Hochschule Bremen. Da Pflegekräfte jedoch eigene Kompetenzbereiche haben, wird an ihrer Fakultät seit dem Wintersemester 2019/2020 Deutschlands erster international anerkannter Vollzeit-Pflegestudiengang angeboten.

Das auf acht Semester ausgelegte Studium mit dem Abschluss Bachelor of Science umfasst Theorie- und Praxisphasen und ein verpflichtendes Auslandssemester. So erhalten Studierende Einblick in die Organisation anderer Länder und Wissen über dort übliche Hilfsmittel und Behandlungsmöglichkeiten. Da der Studiengang international angelegt ist, können auch ausländische Studierende ihn besuchen – und so den Einstieg in die deutsche Pflegebranche finden.

 

*** Welche Ansätze existieren außerdem? Teil 5 schließt das Thema (vorläufig) ab. ***


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Bye bye Pflege (Teil 3)

Natürlich sind es nicht die Prämien, die pflegende Menschen in ihrem Job halten oder sie diesen ergreifen lassen. Es ist ihr Berufsethos: der Wunsch, anderen Menschen zu helfen. Doch auch das größte Engagement leidet, wenn man innerhalb einer 12-Stunden-Schicht um das Leben und die Genesung von Patienten ringt, die Ansteckungsgefahr mit dem Tragen von Schutzkleidung und dem Desinfizieren von Gegenständen niedrig hält – und auf dem Heimweg in eine polizeibegleitete Massendemonstration gegen Schutzmaßnahmen gerät.

Längst geht es nicht mehr nur um zu geringe Löhne und zu belastende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche. Aber eben auch.

Laut einer Daten-Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus dem Jahr 2019 lag der Lohn bei einem Drittel der Pflegekräfte und bei 15 % der Pflegefachkräfte in der Altenpflege unterhalb der Niedriglohnschwelle von 2.203 Euro brutto im Monat.

Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, hat daher ein Einstiegsgehalt von 4.000 Euro für Pflegefachkräfte als angemessene und gegenüber anderen Berufsgruppen konkurrenzfähige Entlohnung angeregt. Er möchte damit auch „Pflegende motivieren, ihre Teilzeitstellen aufzustocken oder in den Beruf zurückzukehren.“

Neben höheren Löhnen fordert er unter anderem auch einen besseren Gesundheitsschutz und ein bundeseinheitliches Bemessungsverfahren, um die Personalbestände aufstocken zu können.

Reform-Entwürfe im Wahljahr 2021

Einen weiteren Vorstoß hin zu einem einheitlichen Tarifvertrag für Pflegekräfte in der Altenpflege unternahm 2021 Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Sein „Gesetzentwurf für ein Pflege-Tariftreue-Gesetz“ macht Tariflöhne zur Bedingung für Abrechnungen mit der Pflegeversicherung. „Betreiber von Pflegeeinrichtungen bekommen nur dann Geld aus der Pflegeversicherung, wenn sie ihren Beschäftigten Tariflöhne zahlen“, so Heil.

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte in seinem Entwurf zur Reform der Pflegefinanzierung bereits angeregt, in Zukunft nur noch Pflegedienste und Pflegeheime zuzulassen,  die nach Tarif oder tarifähnlich bezahlen.

 

*** Wurde dieser Plan umgesetzt? Und welche Gründe halten Menschen abseits der niedrigen Löhne davon ab, einen Pflegeberuf zu ergreifen? Das schildere ich Ihnen in Teil 4. ***


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Bye bye Pflege (Teil 2)

Dies spiegelt die Situation innerhalb der Branche: Einer  Untersuchung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) zufolge erwägt jede dritte Pflegekraft einen beruflichen Wechsel.

Viele halten nur noch aus Pflichtbewusstsein durch. Sie haben ihren Ausstieg aus der Pflege lediglich auf die Zeit nach Corona aufgeschoben. Die Pandemie beschleunigt also derzeit trotz erschwerter Arbeitsbedingungen den Fachkräftemangel nicht unbedingt, sondern bremst ihn ironischerweise sogar vorübergehend ab. Nicht aber den Frust.

Pflegekräfte helfen aus Überzeugung

Zwar genießen Pflegekräfte wegen ihrer engagierten Einstellung zu ihrem Beruf große Anerkennung innerhalb der Gesellschaft. Sie gelten als „Überzeugungstäter“, weil sie ihre Arbeit als sinnvoll und erfüllend empfinden.

Die physischen und psychischen Belastungen ihres Jobs nötigen uns allen viel Respekt ab und wären vielen Menschen in Deutschland selbst bei besserer Bezahlung nicht zumutbar.

Patienten behandeln, Senioren pflegen, Sterbenden die Hand halten. Im Schichtbetrieb und unter oftmals stressigen Voraussetzungen. Dazu seit einem Jahr unter Corona-Bedingungen inklusive erhöhter Ansteckungsgefahr.

Ein Stolperstein für die Pflege: Keine einheitlichen Löhne

Abhilfe in der Altenpflege hätte der zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Arbeitgeberverband BVAP ausgehandelte, flächendeckende Tarifvertrag schaffen können.

Um diesen umsetzen zu können, wäre laut Gesetz die Zustimmung der kirchlichen Träger Caritas und Diakonie erforderlich gewesen, die in der Altenpflege zusammen rund 300.000 und damit mehr als ein Viertel der dort tätigen Pflegekräfte beschäftigen.

Während sich jedoch die Diakonie eines Votums enthielt, lehnte die Caritas den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags ab. So bleibt also erstmal alles beim Alten.

Prämie oder Plätzchen?

Es passt ins Bild, dass in den vergangenen Jahren die Finanzierung der Corona-Prämien erst heiß diskutiert wurde und diese später nur einem Teil der unter erhöhter Gefahr arbeitenden Pflegekräfte ausgezahlt wurden.

Ihre Kollegen, in deren Pflegeheim oder Krankenhaus möglicherweise ein oder zwei Corona-Patienten weniger versorgt wurden oder die über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind, mussten sich derweil mit Applaus, Plätzchen oder Christstollen begnügen.

 

*** Wie aber könnte man Pflegekräfte halten – und neue hinzugewinnen? Mehr dazu in Teil 3. ***


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Von Couchhelden und Sofapazifisten

In einem Zeitalter, in dem der Großteil der Menschheit via WhatsApp kommuniziert, sorgt ein Brief für nostalgische Gefühle. Dass ein offener Brief auch Unbehagen hervorzurufen vermag, liegt an diesen besonderen Zeiten, den Absendern, den Lesern und einer weltpolitischen Situation, in der es kein Richtig oder Falsch mehr zu geben scheint.

Die Publizistin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser, der Journalist Ranga Yogeshwar, der Musiker Reinhard Mey und andere Kulturschaffende haben sich also in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt mit dem Appell, keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine zu liefern.

The German Angst

Als Grund benennen die Unterzeichner ihre Angst vor der Ausweitung des Krieges auf Deutschland, dem dadurch entstehenden Bündnisfall der NATO-Mitgliedsstaaten – und infolgedessen einem Dritten Weltkrieg. Schließlich, so die Argumentation, begebe sich Deutschland mit der Lieferung schwerer Waffen auf dünnes Eis und riskiere, von Russland als Kriegspartei angesehen und attackiert zu werden.

Ein Szenario, das angesichts eines unberechenbar gewordenen russischen Staatspräsidenten gar nicht mal unwahrscheinlich ist. Die Menschen in Polen und anderen Anrainerstaaten der Ukraine müssen bereits fürchten, in den jenseits der Grenze tobenden Krieg integriert zu werden. Auch viele Deutsche haben Angst.

Die Deutschen und der Kriegskitsch

Und doch gefällt sich ein großer Teil unserer Mitbürger in der Rolle des Couchheldens. Verfolgt Abend für Abend die Nachrichten, empört sich, gibt Putin vorm Fernseher eins auf die Nase, fordert den sofortigen Abbruch sämtlicher wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland. Gas? Brauchen wir im Moment nicht, wir kochen mit Induktion. Und bei sommerlichen Temperaturen benötigen wir auch kein Gas für die Heizung.

Auch die Straßenkämpfe der ukrainischen Soldaten gegen die russische Armee werden zum heldenhaften Widerstand romantisiert. Man trägt blaugelbe T-Shirts, malt sich das Peace-Zeichen ins Gesicht – und bejubelt den Krieg und das Sterben in einem fernen Land. Ist ja für eine gute Sache.

Dass die meisten der Ukrainer gezwungenermaßen kämpfen und viele von ihnen lieber mit ihren Frauen und Kindern geflüchtet wären: Eine Lappalie. Schwamm drüber. Ihre Lieben kommen sicher bei netten Gastfamilien unter und finden irgendwann einen neuen Mann bzw. Vater. Der Patriotismus und die Verteidigung der Freiheit gehen vor.

Couchhelden 2.0

Moment mal.. woran erinnert das? Ach ja.. Corona. Da schauten viele Deutsche Abend für Abend Nachrichten und empfanden sich als Helden, weil sie ihre Kontakte mieden, die Couch nicht verließen und somit ihre Mitmenschen vor einer eventuellen Infektion schützten.

Dieselben Couchhelden gefallen sich nun in ihrer neuen Rolle als Groupies der ukrainischen Armee. Fanschal an, Vuvuzela raus, anfeuern. Und morgen den alten Schlafsack spenden. Das ist dann ein bisschen so, als sei man selbst mittendrin.

Buuuh!

Und die Verfasser dieses offenen Briefes? Die werden geschmäht. Als Sofapazifisten, die sich erdreisten, den Ukrainern Ratschläge über das richtige Verhalten im Kriegsfall zu erteilen. Weil sie, auch das sei erwähnt, der Meinung sind, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem anhaltenden Widerstand und der Forderung nach schweren Waffen das Leid seines Volkes verlängere.

Man kann das feige finden oder besorgt. In dieser Situation ist es unmöglich vorherzusagen, welche Tat oder Unterlassung zum Frieden oder zu einer Ausweitung dieses Krieges führen mag. Und dennoch gibt es glühende Verfechter dieser oder jener extremen Einstellung.

Die Welt braucht eindeutig mehr offene Briefe

Inzwischen existiert ein weiterer offener Brief. Auch er unterschrieben von  Politikern, Publizisten, Kabarettisten. In ihm wird Kanzler Scholz ausdrücklich zur Lieferung schwerer Waffen aufgefordert, um dem Putin-Regime Einhalt zu gebieten. Auch er verströmt Besorgnis, wenn auch die darin angedachte Lösung des Konflikts in eine ganz andere Richtung weist.

Olaf Scholz kann einem leid tun. Egal, was er unternimmt oder unterlässt: Es wird für einen Teil der intellektuellen Elite das Falsche sein. Und erst im Rückblick wird sich zeigen, wohin uns seine Entscheidung gebracht und welche Seite Recht behalten hat.

Eins jedenfalls ist klar: Auf Schriftsteller und Publizisten sollte der Kanzler bei seiner Entscheidungsfindung nicht hören.

Bye bye Pflege (Teil 1)

Pflege ist sexy – so lange sie dem eigenen Körper gewidmet ist. Ein großer Teil der täglich konsumierten 10.000 Werbebotschaften gilt denn auch diversen Pflege- und Kosmetikprodukten. Durch die Flut dieser sich ähnelnden Botschaften leiden Konsumenten allerdings mehr und mehr an Werbeblindheit, nehmen sie und die jeweils beworbenen Produkte also längst nicht mehr bewusst wahr.

Ein Schicksal, das auch die Berichterstattung über die andere Pflege betrifft. Die, welche sich mit der Betreuung hilfsbedürftiger, kranker und alter Menschen beschäftigt. Und die gemeinhin nicht als sexy gilt. Die regelmäßig in Dokumentarbeiträgen, Talk-Shows und unserer Wahrnehmung auftaucht – und doch wieder in Vergessenheit gerät, sogar in der pflegeintensiven Corona-Zeit. In der Berichte über erschwerte Arbeitsbedingungen, geplatzte Tarifverträge und Fachkräftemangel rasch durch andere, aktuellere Informationen ersetzt werden.

Hilft verdrängen wirklich?

Vieles spricht dafür, dass die meisten von uns früher oder später auf die Dienste von Pflegekräften angewiesen sein werden. Diese These wird von den meisten Menschen aber ähnlich tabuisiert wie die einzige Gewissheit im Leben: Dass alles Lebendige vergänglich ist – und wir alle irgendwann sterben werden.

Dem entsprechend, zählt Pflegebedarf zu den Dingen, die man gemeinhin in den Hinterkopf und aus dem Gedächtnis verbannt. Wie die eigene Grabstelle oder das Testament.

Wenn Promis was machen, ist es wohl wichtig

Die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf machten letztes Jahr mit einer über siebenstündigen Reportage auf ProSieben das Thema Pflege in den Mittelpunkt gerückt und setzten es unter dem Hashtag #Nichtselbstverständlich auch auf die Tagesordnung sozialer Netzwerke .

Den Senderangaben zufolge sahen allein über 17 Millionen jüngerer Zuschauer die Sendung „Joko & Klaas gegen ProSieben“, in dem die Fach-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Meike Ista einen Arbeitstag lang mit der Kamera begleitet wurde und viele weitere Pflegende zu Wort kamen.

So simpel die der Sendung zugrunde liegende Idee sein mag, so intensiv wirkte sie: Keine schnellen Schnitte, keine Werbeunterbrechungen: die Zuschauer erlebten den Arbeitsalltag in der Pflege aus der Ich-Perspektive.

Der Frust wächst

Auch die individuellen Aussagen der eingeblendeten Pflegekräfte entwickelten mehr Kraft als jede Statistik. Sie berichteten von ihrem Engagement und ihrer beruflichen Motivation, aber auch von altbekannten und neueren Missständen im Pflegebereich.

Manche von ihnen glauben nach Jahren des Anmahnens und Abwartens nicht mehr an deren Abhilfe. 9.000 ihrer Kollegen haben im Verlauf des letzten Jahres die Konsequenzen gezogen und ihren Pflegeberuf gekündigt.

 

*** Müssen wir uns also künftig selbst pflegen? Teil 2 gibt Auskunft. ***


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Corona to go

Und wieder eine neue Idee im Kampf gegen Corona. Abschaffung der Quarantäne für Kontaktpersonen und deren Reduzierung auf fünf Tage für infizierte Personen. Freitesten? Ach was, kalter Kaffee. Genesende 2.0 haben es drauf, sich selbst zu diagnostizieren. Quarantäne > 5 Tage nur bei schweren, anhaltenden Symptomen. Alles klar?

Django testet heute nicht

Nicht wirklich. Was sind denn schwere Symptome und wo zieht man da eine Grenze? Bislang galten Husten, Niedergeschlagenheit, eine dauerhaft laufende Nase und ein rauer Hals als mögliche Corona-Symptome. Die aber empfindet ja jeder Mensch anders. Während Kollege A auch in der Zeit vor Corona schon beim kleinsten Krächzen zum Arzt lief, schleppt sich Kollegin B seit eh und je mit Grippe zur Arbeit und lästerte über Männerschnupfen.

So also wird es in Zukunft wieder sein. Vorbei die Zeiten, in denen man Corona eine größere Gefahr für die Gesundheit bescheinigte und damit eine größere Bedeutung beimaß als einer Erkältung oder Grippe. Merke: Bei einer Erkältung lässt man sich krank schreiben. Bei Corona geht man einfach wieder arbeiten, wenn man weitgehend symptomfrei bleibt. Schon deshalb, weil man sonst möglicherweise Ärger mit den Vorgesetzten bekommt.

Ein bisschen Spaß muss sein

Lebt euch aus und sorgt euch nicht länger, dies scheint uns die Regierung mit ihrem Radikalschwenk sagen zu wollen. Zumindest der Teil von ihr, der nicht als Minister im Gesundheitsministerium sitzt und weiterhin vor der nächsten Welle mahnt.

Nicht wenige Fachleute warnen vor diesen Wellen und Varianten. Im Herbst erwartet man einen Anstieg der Infektionen, Intensivpatienten und Sterbefälle. Aber bis dahin wird man ja wohl noch seinen Spaß haben dürfen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen unklar ist, ob nicht doch noch ein Weltkrieg oder zumindest eine funktionslose Heizung droht.

Gesundheitspolitik? Welche Ges…?

Ist die Abkehr von Tests und Quarantäne die neue Normalität, von der so oft die Rede ist? Oder bloß eine Zwischenepisode im Trauerspiel Gesundheitspolitik, in dem man es innerhalb von 2 Jahren nicht nur versäumt hat, ein funktionierendes Konzept gegen Neuinfektionen zu entwickeln, sondern auch einen Plan B für weitere Lockdowns, die immerhin möglich sind.

Und es außerdem schaffte, einem Teil der ohnehin viel zu wenigen Pflegefachkräfte in Deutschland die letzte Motivation zu nehmen. Durch Hinhaltetaktik, falsch verteilte und eher symbolische Prämien, Ignoranz. Von bis zu 20% Berufsaussteigern ist die Rede, das wahre Ausmaß wird wohl erst mit der Zeit zum Vorschein kommen.

Wohl dem, dem Pflege erspart bleibt.

 

Finde den Fehler

Frage: Wie geht eine Anmache à la Lauterbach? Antwort: „Soll ich dir mal meine Absagen-Sammlung zeigen?“

So, nun ist also die nächste Impfpflicht gescheitert. Zuerst waren es die Deutschen, also gesamt. Lausige Impfquote, die sich totlief. Da halfen irgendwann auch Gratiswürstchen nichts mehr. Für impfverweigernde Senioren hätte man mindestens ein Viertel Schwarzwälder Kirsch und einen Eierlikör drauflegen müssen. Aber das Budget gab das nach den Spahn’schen Maskendeals nicht mehr her.

Dann eben die

Dann waren die Pflegekräfte dran. Die sind eh schlecht auf ihren Gesundheitsminister zu sprechen, da kann man noch eine Schippe drauflegen. Doch nicht sie, sondern ihre Arbeitgeber wehrten sich gegen eine Impfpflicht. Zu groß sei der Personalmangel schon heute, man könne es sich nicht leisten, die Pflegekräfte zu irgendwas zu zwingen. Am Ende machten die noch Ernst und setzten ihre langjährigen Drohungen um, den Job zu wechseln.

Nun also die Senioren. Nicht mal die darf man zwangsweise impfen, obwohl es doch zu ihrem eigenen Schutz wäre. Es ist ein Trauerspiel.

Lauterbach vs. Lauterbach

Man fragt sich, ob Professor Karl Lauterbach selbst noch an den Sinn seiner Hauruckaktionen glaubt. Überall lockert Deutschland seine Regeln, verbrennen Menschen ihre Masken wie seinerzeit die Feministinnen ihre BHs, feiern Discos den Freedom Day mit einem Countdown. Und fordert ein gewisser Minister Karl Lauterbach eine freiwillige Quarantäne, während ein gewisser Minister Karl Lauterbach eine Impfpflicht für irgendwen fordert.

Wer kommt als nächstes dran? Teenager? Raumpfleger? Kinder unter 6 Jahren? Kleintiere? Es ist traurig, dass die eigentlich von den meisten Deutschen als sinnvoll betrachtete Impfung durch immer neue, aussichtslose Vorstöße diskreditiert wird. Der Gesundheitsminister hat es versäumt, die Gefahr gegenwärtig zu halten, die vom Coronavirus ausgeht. Wer immer mehr Lockerungen zulässt und Quarantäne zur freiwilligen Angelegenheit erklärt, sollte niemandem mehr mit Impfpflicht daherkommen, um die Bevölkerung zu schützen.

Der stille Protest

Nein, der Zug ist abgefahren. Alle Chancen sind vertan, die Menschen als Solidargemeinschaft zusammenzuhalten. Viele sind enttäuscht und fühlen sich über den Tisch gezogen. 3-G-Menschen, die doppelt geimpft und geboostert sind, ihre Kontakte verloren haben und selbst mit den eigenen Enkeln mittlerweile nur noch per WhatsApp kommunizieren. Wofür das Ganze, wenn einen künftig Corona-positive Menschen ganz offiziell anhusten und anstecken dürfen?

Es macht Mut, wenn im Supermarkt auch ganz ohne Zwang alle Kunden weiterhin Maske tragen. Ob aus Angst, aus Trotz oder weil es ihnen schlicht nichts ausmacht, sich und alle anderen für eine halbe Stunde etwas besser zu schützen. Es ist ein Zeichen stiller Rebellion gegen eine Politik, die sich in Gesundheits-Anarchie versucht. Die Öl in dasselbe Feuer gießt, das sie mit Fingerhüten voller Wasser zu löschen versucht.

Jetzt mal ehrlich

Vor einem halben Jahr noch schien eine generelle Impfpflicht eine gute Idee zu sein. Inzwischen aber ist sie zur Farce geworden. Zumal sie wesentlich schlechter gegen Infizierungen hilft als beispielsweise eine FFP2-Maske. Die Maskenpflicht aber hat man großzügig abgeschafft. Während Deutschland die höchsten Inzidenzen ever aufweist. Und die freiwillige Quarantäne wäre wohl auch durchgesetzt worden, hätten nicht Krankenkassen und Arbeitgeberverbände ihr Veto eingelegt.

Man sollte im Gesundheitsministerium wenigstens so ehrlich sein, zu kapitulieren. Vor der Wirtschaft, den Querdenkern und all den Menschen, denen die Gesundheit ihrer Mitbürger scheißegal ist. Und nicht so tun, als versuche man tatsächlich, diese zu schützen.

Hü oder hott?

Absurder geht immer. Nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) selbst den Vorschlag  zur freiwilligen Isolierung coronainfizierter Menschen unterbreitet hatte, – der von den Gesundheitsministern von Bund und Ländern angenommen wurde -, überlegte er es sich wenige Tage später anders – und zog ihn nun wieder zurück.

„Der Fehler lag bei mir und hat nichts mit der FDP oder Lockerung zu tun“, ließ Lauterbach auf Twitter verlauten. Eigentlich habe er die Gesundheitsämter entlasten wollen, stattdessen sei aber ein „falscher Eindruck“ entstanden.

Ja, wie denn nun?

Nun ist es einerseits löblich, dass ein Minister Fehler einräumt und korrigiert. Man muss sich allerdings die Frage stellen, weshalb zunächst eine Entscheidung gefällt und bekannt gemacht wird – und die Faktenlage erst später geprüft wird. Zumal Karl Lauterbach in Pressekonferenzen stets zu einem vorsichtigen Vorgehen tendiert, wenn es um Lockerung der Corona-Maßnahmen geht.

Schon seit einiger Zeit klafft eine Lücke zwischen der in den Medien verkündeten Meinung des Bundesgesundheitsministers und den Aussagen und Entscheidungen, die sein eigenes Ministerium trifft. Hier der Mahner Lauterbach, der weiterhin vor Wellen und hohen Infektionszahlen warnt, dort der Minister Lauterbach, der keine sichtbaren Anstrengungen unternimmt, dem Geschehen Herr zu werden – beispielsweise durch bundeseinheitliche Regelungen.

KL und die Impfpflicht

Eine Impfpflicht für alle Bürger ist längst vom Tisch. An der für Pflegekräfte hält Lauterbach aber weiterhin fest. Auch sollten sie von der freiwilligen Isolation ausgenommen werden. Als gäbe es außerhalb von Kliniken und Pflegeheimen keine Senioren, Kinder oder Kollegen, die sich infizieren und erkranken können.

Überhaupt fühlen sich die Pflegekräfte, die das Gesundheitssystem seit Jahren stützen, obwohl längst fällige Reformen immer wieder aufgeschoben werden, von Karl Lauterbachs Politik mehr und mehr ausgegrenzt. Dass er für die organisatorische und personelle Misere im Gesundheitswesen mit verantwortlich ist, macht die Sache nicht besser.

Der Zusammenhalt war mal da

Viele Menschen hatten dennoch große Hoffnungen in Lauterbach gesetzt. Seine Ernennung zum Bundesgesundheitsminister setzte ein Zeichen für all diejenigen, die über fast zwei Jahre ihre Kontakte beschränkt, für Senioren eingekauft, Einschränkungen in Kauf genommen, Impfungen absolviert und alle Regeln befolgt hatten. Für die Gemeinschaft. Gegen Corona.

Im Corona-Jahr 1 hielt ein Großteil der Bevölkerung zusammen. Sicher, es gab auch damals schon Querdenker und Lokalpolitiker, die Corona für eine Grippe ausgaben, Verschwörungstheorien entwickelten und ihre Freiheit eher bedroht sahen als ihre Gesundheit. Aber die Stoßrichtung war eindeutig, die Gesundheitspolitik Bundessache und die Außenkommunikation stimmte.

Corona in der Regierung Merkel

Letzteres nicht wegen, sondern eher trotz des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Selbst seine mangelhafte Organisation bei der Schutzmasken-, Test- oder Impfstoffbeschaffung konnte nicht überdecken, dass unter Kanzlerin Angela Merkel das Wohl der Gesundheit aller Bürger im Vordergrund des politischen Handelns stand.

Man mag von Merkel halten, was man will, aber das persönliche Einstehen für ihre Politik hat ihr und vor allem Deutschland in ihrer Amtszeit großen Respekt in der Welt eingebracht. Am Ende aber musste auch sie sich dem Föderalismus beugen, der inzwischen zu 16 gallischen Dörfern in den Grenzen der früheren Bundesrepublik geführt hat.

Corona in der Regierung Scholz

Wofür Kanzler Olaf Scholz steht, ist nicht überliefert. Zum Thema Corona hat er jedenfalls keine klare Meinung. Diese Nichthaltung unterstützt natürlich nicht unbedingt Lauterbachs Gesundheitspolitik, auch wenn beide derselben Partei angehören.

Ein großer Teil der Deutschen hat Angst. Angst vor einer Ansteckung mit Corona, davor, in dem Wirrwarr der Verordnungen etwas falsch zu machen, sich offen über etwas Schönes zu freuen, während nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch Corona weiterhin Tote fordert, Angst vor Fremden, Angst vor Freunden.

Der letzte Funke Hoffnung

Noch immer hoffen diese Menschen auf Karl Lauterbach. Darauf, dass er den Weg aus seiner Kummerecke heraus findet und die Gesundheitspolitik wieder in die Hand nimmt. Die forschen Landesminister in ihre Schranken weist, die im Wahljahr 2022 ihre Chance zur Profilierung sehen. Sie vertrauen Lauterbach, weil er trotz seiner gelegentlich an Schizophrenie grenzenden, auseinander klaffenden Aussagen noch der vernünftigste und umsichtigste Gesundheitspolitiker zu sein scheint.

Die Hoffnung schwindet. Und dürfte im Herbst begraben werden, wenn die nächste große Corona-Welle das Land erschüttert. Hoffen sollten wir trotzdem: Dass wir das Corona-Virus irgendwann besiegen werden. Trotz oder wegen Karl Lauterbachs gegenwärtig verwirrender Gesundheitspolitik.

 

Die deutsche Doppelmoral

Stellen wir uns vor, ein Fremder besuche unser Land und sei darum bemüht, sich ein Bild von den Menschen zu machen, die in ihm leben. Was wäre sein Eindruck?

Zunächst einmal: Einigkeit. Wie in der Nationalhymne. Ja, die Deutschen sind sich zu großen Teilen einig. Stehen solidarisch ein für Werte und das Wohl der Gemeinschaft.  Weil es ihnen allen gleichermaßen wichtig erscheint, eine Einheit zu bilden.

Seit an Seit

Wie bitte? Ach was, Corona. Darum geht’s doch gar nicht. Ich spreche von dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Ein souveränes Land wird in den Krieg und viele Familien ins Chaos gestürzt. Das erzeugt in uns Deutschen Wut und weckt den Geist der Solidarität, den wir in den letzten beiden Jahren mit Schlaftabletten gefüttert hatten.

Mit der Unterstützung der Hilfskräfte bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erschöpft sich diese Solidarität aber auch schon wieder. Masken tragen im Supermarkt? Impfen gar? Menschenmassen meiden als Dienst an der Gesellschaft? So weit kommt’s noch! Dieser faschistische Staat soll uns bloß nicht unsere Freiheit beschneiden.

Immer wieder dieser Vergleich

Es gehört zu den Absonderlichkeiten des deutschen Denkens, gleichzeitig Menschen zu helfen, die gerade ihr ganzes Leben und möglicherweise ihre Männer, Brüder und Väter an die Heimat und Putins Krieg verlieren – und die Corona-Schutzmaßnahmen mit diesem Krieg zu vergleichen. Dort wird ein Krieg vom Zaun gebrochen, werden Menschen erschossen – hier wird man zum Tragen einer Maske gezwungen, wenn man im Discounter einkaufen möchte. Quasi dasselbe.

Wie heißt es in der Hymne weiter? Einigkeit.. und Recht und Freiheit? Ach ja, die Freiheit. Was könnten wir 80 Millionen Deutschen wohl für die Freiheit von Menschen tun, wenn wir zusammenhielten? Man liest viel davon, wie teuer Corona die Unternehmen zu stehen kommt, wie viele Ausfälle zu beklagen seien, wenn ein weiterer Lockdown verhängt würde. Hat irgendwer schon mal errechnet, wie viel Zeit die Deutschen mit Lamentieren darüber vergeuden, welche Einschränkungen sie in den letzten beiden Jahren hinnehmen mussten oder wer sie angeblich zu Impfungen oder anderen Diensten am Allgemeinwohl zwingt?

Wie.. Menschlichkeit?

Der Ukraine-Krieg sollte uns eigentlich dazu zwingen, uns wieder auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist: Rücksichtnahme, Solidarität um der Menschlichkeit willen. Menschlich ist es beispielsweise, sich an die schrecklichen Bilder der Corona-Toten zu erinnern, die 2020 in Italien mit Lastwagen zu ihren Massengräbern gekarrt wurden. Menschlich wäre es, mal über die eigene Einstellung zur Anteilnahme nachzudenken, statt Ukrainern alte Wolldecken zu spenden und entgegen aller Erkenntnisse zu behaupten, Corona sei doch nicht schlimmer als eine Grippe.

Sie widert mich an, diese Doppelmoral der Deutschen. Tod ist Tod, egal, ob ich jemandem in den Kopf schieße oder ihn – upps – versehentlich mit einem Virus infiziere. Selbst schuld, wenn er sich in seinem Alter nicht besser zu schützen wusste. Was sind wir bloß für Menschen? So sehr mich das Engagement für die ukrainischen Flüchtlinge freut: Ich schäme mich mit jedem Tag ein bisschen mehr für einen leider großen Teil meiner Mitbürger.

Lauterbach warnt

Er warnt also. Vor der 4. Welle, Personalausfällen in kritischer Infrastruktur, einem Anstieg der Sterbezahlen und davor, die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie zu unterschätzen.

Bereits vor einigen Tagen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sich kritisch gegenüber einer Beendigung der Corona-Schutzmaßnahmen zum 20. März 2022 ausgesprochen. Auch nach diesem Termin bräuchten die Bundesländer mehr Instrumente zur Pandemiebekämpfung als Testen und Masken tragen.

„Das reicht bei weitem nicht aus, um auf künftige Wellen zu reagieren“, so Lauterbach. Sie müssten „vielmehr in der Lage sein, in regionalen Hotspots durch Zugangsbeschränkungen Zusammenkünfte sicherer zu machen“. Die Instrumente müssten über den Bereich von Kliniken und Pflegeeinrichtungen hinausgehen.

Das ist ja alles schön und gut und wahrscheinlich auch richtig. Allerdings muss man sich die Frage stellen, worin der Unterschied zwischen dem mahnenden Virologen Lauterbach aus 2021 und dem Bundesgesundheitsminister Lauterbach des Jahres 2022 liegt. Es scheint, als habe ein Bundesministerium in diesem Land keine übergeordnete Entscheidungsbefugnis mehr.

Doch wer, bitte, soll denn über Pandemie-Maßnahmen entscheiden, die ja nicht an den Grenzen einzelner Bundesländer Halt machen – wenn nicht das Bundesgesundheitsministerium? Wie erklärt Lauterbach seinen europäischen Amtskollegen, dass der Föderalismus in Deutschland bundeseinheitliche Regelungen zum Schutz der (Welt-)Bevölkerung verhindert?

Nach einem Drei-Stufen-Plan von Bund und Ländern werden nach gegenwärtigem Stand die meisten Corona-Einschränkungen bis zum 20. März fallen. Die bundesweite Rechtsbasis für solche Maßnahmen läuft am 19. März aus. Ein Basisschutz zum Beispiel mit Maskenpflichten in Innenräumen, Bussen und Bahnen und mit Tests soll jedoch weiter möglich bleiben. Dafür müsste eine neue, bundesweite Rechtsgrundlage geschaffen werden.

Erschreckend, dass die Gesundheit Deutschlands und Europas in den Händen einzelner MinisterpräsidentInnen liegt. Zumal in einigen Bundesländern Wahlen vor der Tür stehen und sich kein Kandidat mit Maskenpflicht und einer Verlängerung der Corona-Maßnahmen unbeliebt machen möchte.

Unsere Gesundheit ist ein lokales Politikum. So wie die Bildung unserer Kinder. Am besten legen wir auch die Klima- und Energiepolitik in die Hände unserer fähigen Landespolitiker. Dann können Außenpolitiker und Präsidenten künftig ihren Staatsbesuch auf 3 Wochen ausdehnen und mit 16 LandeschefInnen über Weltpolitik diskutieren.

Angela Merkel wirkte in den letzten Monaten ihrer Amtszeit müde und zuweilen mutlos. Es ist ihr nicht zu verdenken angesichts eines föderalen Systems aus Zwergstaaten, deren MinisterpräsidentInnen eine einheitliche Bundespolitik mit Wonne zerpflücken.

Ob Karl Lauterbachs Warnungen hilfreich sind, die nächste Welle zu brechen? Man darf es bezweifeln.

Lösungen für den Pflegenotstand? (Teil 4)

Vorlaufzeit ist übrigens ein gutes Stichwort. Alle Jahre wieder steht Weihnachten als dienstfreie Zeit ganz oben auf der Wunschliste der Mitarbeiter im Schichtbetrieb. Auch wenn deren Bezug zur Kirche schwinden mag: Im Abendland reißt man sich nicht darum, ausgerechnet die Weihnachtsschichten zu übernehmen.

Ironie am Rande: Auch die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeworbenen mexikanischen Kollegen sind in diesem Punkt keine große Hilfe. Denn sie wurden ja gerade wegen ihrer kulturellen Nähe (gemeint ist die Tatsache, dass Mexikaner in der Regel katholisch sind) für das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem gewonnen.

Verschiedene Feiertage können die Kollegialität fördern

Wie schön, wenn sich da einer der neuen, muslimischen Kollegen zum Diensttausch anbietet, weil ihm Heiligabend schnuppe ist. Vielleicht denken seine neuen Kollegen an ihn, wenn sie bei ihren Familien unterm Weihnachtsbaum sitzen. Oder beschenken ihn zum Dank mit Selbstgebackenem. Für manche zwischenmenschlichen Dinge erübrigt sich der Integrationskurs nämlich.

Doch wie steht es um die Kollegialität, wenn besagter Kollege zum Ende des Ramadan seinerseits um einen Diensttausch bittet, um mit seiner Familie und seinen Freunden das Fest des Fastenbrechens zu feiern? Und besagte Schicht mit dem Fernsehabend der Abendländer kollidiert? Leider beißt sich die Toleranz bisweilen an deren Bequemlichkeit die Zähne aus.

Respekt baut Brücken

Gerade das Gesundheits- und Pflegewesen kann aber ohne Mitarbeiter aus dem Ausland nicht mehr aufrechterhalten werden. Dennoch bleiben langjährige und neue Kollegen einander fremd, scheinen für viele Menschen sprachliche, religiöse und kulturelle Unterschiede oft allzu groß zu sein. Und der Fernsehabend zu verlockend.

Im allgemeinen Konsens baut das Respektieren von fremden Religionen und Lebensweisen Brücken zwischen Menschen. Das Berücksichtigen ihrer Gebräuche stellt daher gerade für neue Mitarbeiter aus fernen Ländern und Kulturkreisen einen Bezug zu ihren neuen Kollegen, ihrem Arbeitgeber und dem Land dar, in dem sie künftig zu leben und zu arbeiten beabsichtigen.

Offen für Neues

Keinem Verantwortlichen käme in den Sinn, Weihnachten bei der Erstellung des Dienstplans wie einen normalen Arbeitstag zu behandeln, nur weil er persönlich nicht gläubig ist und dieses Fest nicht begeht. Warum also nicht auch das Zuckerfest mit einplanen, das die türkischstämmige Kollegin gerne im Kreis ihrer Familie verbringen möchte? Wenn sie doch ein gleichberechtigtes Mitglied des Personalstabs ist, sollten nicht nur der Planer, sondern auch die Mitarbeiter daran mitwirken, ihr diesen kleinen Gefallen zu erweisen.

Und bevor nun jemand den Abendländer in sich entdeckt und reklamiert, dass wir uns immer noch in Deutschland befinden, wo deutsche Feste gefeiert werden und so weiter: Erstens sind deutsche Feiertage oftmals gar nicht so urchristlich wie man gemeinhin denkt. (Allerheiligen zum Beispiel basiert auf einem heidnischen Fest.) Und zweitens ist soziales Miteinander – gerade im Kollegenkreis – nirgendwo in Stein gemeißelt. Ein wenig ideologische Flexibilität schadet nicht.

Wer definiert eigentlich einen Männerberuf?

Als Frauen begannen, sich auch in zuvor verpönten oder gar verbotenen Männerberufen auszubilden, pochten ihre männlichen Kollegen auf der „abendländischen Tradition“, Nackte-Frauen-Kalender aufzuhängen und ihr „kleines Geschäft“ weiterhin im Stehen zu verrichten.

Die Kalenderblätter sind weitgehend verschwunden – unter anderem, weil sie bisweilen von frivol abgebildeten Kalenderblatt-Männern unterwandert wurden, welche die neuen Kolleginnen im Sinne der Gleichberechtigung aufhängten. Auch die Toilettenbrille wurde von vielen Männern als neues Feature goutiert. Man stelle sich vor: es gibt sogar eigene Frauentoiletten!

Verändern Frauen in Männerberufen ihr Umfeld?

Die befürchteten Auswirkungen sind ausgeblieben. Es wurde kein Fall bekannt, wonach Männer nach dem Bau von Damentoiletten plötzlich in Frauenkleidung zur Arbeit erschienen. Und erstaunlich wenige Mitarbeiter laufen wegen des neuen Kollegen aus Surinam, dem wir so skeptisch gegenüberstehen,  zum Hinduismus über.

Veränderung und neue Eindrücke sind nämlich eigentlich gar nicht so übel. Charmante und tatkräftige Kolleginnen auch nicht. Oder welche aus dem Ausland und aus einem fremden Kulturkreis. Wenn alle Beteiligten sich nicht nur um Toleranz, sondern auch kulturellen Austausch bemühen, – wer weiß? -, können sich sogar neue Horizonte öffnen. Wie erwähnt, ist Offenheit dabei keine Einbahnstraße.

 

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Das Schweizer Modell

Es ist Krieg. In Europa. Nicht im Nahen oder Fernen Osten. Kein Bürgerkrieg in Afrika. Kein Konflikt mit separatistischen Bewegungen. Ein echter Angriffskrieg. Bei unseren Nachbarn.

Gibt es Neutralität in einem kontinentalen Krieg?

Vor einiger Zeit habe ich mich mit der Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Und mich gefragt, wie sich der gemeine Schweizer wohl gefühlt haben mag in seinem Kokon der „Neutralität“, während ringsum ganze Länder okkupiert wurden und Millionen von Menschen ihre Existenz und ihr Leben verloren.

Sicherlich hätte die Schweiz bei einer militärischen Auseinandersetzung nicht einmal einen nennenswerten Stolperstein für das deutsche Heer dargestellt. Auch ist es niemandem zu verdenken, wenn er im Krieg zunächst ans eigene Überleben denkt. Und doch muss es sich beschämend anfühlen, – auch heute noch -, nicht einmal einen Versuch unternommen zu haben, den europäischen Nachbarn zu Hilfe geeilt zu sein.

Das Geschäft mit dem Krieg

Die Schweiz steht heute auch deshalb wirtschaftlich so gut da, weil sie sich eben nicht bloß rausgehalten hatte aus jenem Krieg, der als der grausamste in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Man hatte mit dem Dritten Reich kooperiert, viel Geld und geraubte Kunstschätze eingelagert. Niemand weiß genau, welche Reichtümer einst angehäuft und nach dem Krieg ausbezahlt wurden – und welche noch immer verwahrt werden.

Nein, neutral war die Schweiz nie. Sie hat sich sogar am Krieg gesundgestoßen und vom Elend und dem Tod anderer Völker profitiert. Natürlich nicht jeder Schweizer persönlich. Eine echte Aufarbeitung der Schande fand allerdings auch nie statt. Welcher Millionenerbe hinterfragt schon, woher der hinterlassene Reichtum stammt? Besser Augen zu und durch. Oder, besser noch: Augen in die Zukunft richten.

Nachkriegszeit

Dort nämlich wurde die Schweiz zu einer Oase derjenigen Menschen, die Gelder vor dem heimischen Fiskus oder der legalen Welt zu verstecken suchten. Und so taten die Schweizer Banken, was sie offenbar besonders gut können: Illegal erworbene Reichtümer anonym verwalten. Keine Spur von Reue, keine Spur von Einsicht.

Derzeit steht Europa und mit ihm Deutschland als einer der führenden Staaten im Kreuzfeuer der Kritik. Vielen Menschen geht das Verurteilen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine nicht weit genug. Verständlich, denn unser Bauchgefühl sagt uns, dass einem Despoten hier Einhalt geboten werden müsste.

Taktik ist gefragt

Wir möchten uns nicht wie Schweizer fühlen. Unseren Wohlstand genießen und einfach wegschauen. Dieser Impuls ist ebenso richtig wie das Taktieren der Bundesregierung. Das hat auch nichts mit der Stärke oder Schwäche von Kanzler Olaf Scholz zu tun. Auch eine Kanzlerin Merkel würde vermutlich keine scharfen Sanktionen vorschlagen und müsste ohnmächtig zusehen, wie die Ukraine von russischen Truppen eingenommen wird.

So bitter es klingt: Ohne eine gemeinsame Strategie im Zusammenschluss mit anderen Staaten ist eine Sanktionierung aus vielen Gründen nicht möglich. Das Abschneiden Russlands vom SWIFT-Zahlungsverkehr beispielsweise würde nicht nur den russischen Machtapparat, sondern auch viele Menschen und Organisationen treffen, die keine Zuwendungen aus dem Ausland mehr erhalten könnten.

Guter Rat ist teuer. Frieden auch.

Es rächt sich, dass Deutschland sich bei der Energieversorgung von Russland teilweise abhängig gemacht und das Vorantreiben alternativer Energien vernachlässigt hat. Ohne eigene, natürliche Ressourcen ist eine Abhängigkeit nicht zu vermeiden, egal, ob zu Russland, Norwegen oder China. Außenpolitik ist also auch immer mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft.

Die noch junge deutsche Ampelkoalition sieht sich vielen Problemen ausgesetzt. Und noch ist nicht abzusehen, wo deren Lösung liegen könnte. Eines aber ist klar: Einfach wird sie nicht sein. Es wird keinen Gegenangriff und keine Absetzung der Regierung Putin geben. Sondern Verhandlungen, Zugeständnisse, faule Kompromisse.

Das ist unschön und wird sich wie eine Niederlage anfühlen. Vielleicht werden wir unseren ukrainischen Nachbarn nie wieder in die Augen sehen können, weil wir uns mitschuldig fühlen an ihrem erlebten Leid. Vielleicht aber werden wir wie einst die Schweiz dieses blöde Gefühl abschütteln – und im Zuge der anstehenden Corona-Lockerungen wieder zum Feiern nach Ibiza fliegen.

 

Lösungen für den Pflegenotstand? (Teil 3)

Jedes Kind freut sich, wenn es beim Schulwechsel ein bekanntes Gesicht unter den Mitschülern entdeckt. Die Vertrautheit sorgt für Sicherheit in dieser ungewohnten Situation. Ebenso ist es für ausländische Mitarbeiter tröstlich, sich nach der Arbeit, möglicherweise aber auch währenddessen in ihrer Heimatsprache austauschen zu können.

Engagiert beispielsweise ein Klinikum gleich mehrere neue Mitarbeiter aus demselben Ursprungsland, werden diese sich vermutlich gerade in der Anfangszeit in Deutschland weniger fremd und verloren fühlen. Ein entscheidender Wohlfühlfaktor für Menschen, deren Familie in der Heimat zurückbleiben musste und die auf einen Neuanfang in Deutschland hoffen.

Teambildung ist wichtig

Das Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt sich leider manchmal in die falsche Richtung. Besteht die halbe Station über Nacht aus bulgarischen, indischen oder eben mexikanischen Hilfskräften, die untereinander ausschließlich in ihrer Landessprache kommunizieren, entsteht beim Stammpersonal ein Gefühl der Überfremdung. Auch dies ist Alltag im Pflegebereich und eine Herausforderung für den Personalverantwortlichen.

Teamzugehörigkeit und ein gutes Betriebsklima sind wichtige Faktoren, wenn es um die Motivation von Mitarbeitern geht. Empfinden diese ihre Tätigkeit als sinnvoll, werden sie von Kollegen und Vorgesetzten wertgeschätzt, erleichtert dies nicht nur das tägliche Miteinander, sondern auch die Organisation des Ausfallmanagements.

Bürokratische Hürden

Doch was, wenn dieses Problem umschifft wurde und der Ausländerbehörde auffällt, dass diese Gruppe ausländischer Mitarbeiter eines Klinikums ihren offiziellen Integrationskurs  noch absolvieren muss?

Dann werden schon mal kurzfristig für alle gleichzeitig Kurstermine angesetzt und den Mitarbeitern Sanktionen bei Nichterscheinen angekündigt. Der Dienstplan wird bei diesem Vorgang ebenso wenig berücksichtigt wie der Urlaub der Betroffenen.

Natürlich ist das Erlernen der Landessprache und –kunde ein fester Bestandteil der Integration. Niemand wird dies ernsthaft bestreiten. Und es ist normal, dass ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde keine Ahnung von der Komplexität einer Dienst- bzw. Schichtplanung im Pflegebereich hat. Ein wenig Vorlaufzeit und Handlungsspielraum – auch für die Personalplaner – wäre allerdings an dieser Stelle wünschenswert.

 

– Bieten unterschiedliche Nationalitäten und Religionen unter KollegInnen nur Zündstoff oder auch Chancen? Der 4. und letzte Teil dieses Artikels rundet das Thema ab. –


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Definitiv unentschlossen

Blickt noch jemand durch?

Ausscheren im Föderalismus

Wo steckt die Regierung?

Parallelwelten und Weiße Häuser

Liest man quer über die Tagesnachrichten, gewinnt man oft den Eindruck, die Gesellschaft bewege sich in Parallelwelten. Links ein Artikel über prominente Virologen, die vor verfrühten Lockerungen warnen, rechts konservative Politiker, die frühe Lockerungen fordern. Oben Lauterbach, der Pflegekräfte  auffordert, es beim Impfen ihren PatientInnen gleichzutun, unten Söder, der in Bayern die selbst mitbeschlossene Impfpflicht für Pflegekräfte aussetzt.

Hier die neue Impfkampagne der Bundesregierung, dort die wöchentliche Querdenker-Demo. Und so weiter. Von den mittlerweile irren Schutzregeln ganz zu schweigen. 20.000 immunisierte Menschen im Stadion sind ebenso okay wie 1.000 in Veranstaltungshallen. Zu Omas Geburtstagsfeier darf man aber nur 9 Gäste einladen.

Eine ganz eigene Logik

Verstärkt wird wieder auf Abstandsregeln hingewiesen, während unsere Kinder reihenweise in den Schulen verheizt werden, wo sich die Corona-Fälle trotz Lüftens mehren und sich die Reihen lichten, weil sich viele Schüler in Quarantäne begeben müssen. Womit dann wiederum Ansteckungen im privaten Bereich vorprogrammiert sind. Die man aber ja dank der kurzen Gästeliste zu Omas Geburtstag klein hält. Ah ja.

Es verwundert bei solchem Wirrwarr nicht, dass mittlerweile auch durchgeimpfte, vorsichtige Bürger eine Entscheidung fordern – und sei es die komplette Aufhebung der ohnehin nur noch halbherzigen Schutzmaßnahmen. Denn dass diese uns nicht vor einer Durchseuchung (allein das Wort ist schon menschenverachtend) zu schützen vermögen, ist inzwischen jedem klar.

Sind die Schutzmaßnahmen unser Weißes Haus?

Dann lieber den Reset-Knopf drücken und das Land neu hochfahren? Corona bestrafen, indem wir ihm alle Türen öffnen? Jeden Bürger mit ihm infizieren und abwarten, ob das gut geht? Eine gewagte Strategie, die bildhaft gesprochen an den Sturm auf das Weiße Haus in Washington vor einem Jahr erinnert.

Damals ließ man den nach Präsident Trumps Abwahl aufgebrachten, republikanischen Mob widerstandslos das Allerheiligste der amerikanischen Legislative besetzen. In der Hoffnung, dass ihm bald langweilig würde und er ohne Schaden anzurichten wieder gehen möge. Doch die Eindringlinge verhielten sich nicht friedlich. Es gab Tote und Verletzte, viele Menschen bangten um ihr Leben und wurden nachhaltig traumatisiert.

Der Riss

Noch immer sind die Langzeitfolgen nicht einschätzbar, doch sie sind schon jetzt gewaltig. Denn der Sturm aufs Weiße Haus hat einen Riss in der amerikanischen Gesellschaft hinterlassen. Wenn man seinen Mitmenschen nicht mehr trauen kann, – seinem Bruder, seiner Lehrerin, seinem Nachbarn -, muss man lernen, mit der Unsicherheit zu leben.

Auch in Deutschland klafft bereits ein Graben zwischen den Menschen und ihren Ansichten darüber, was jeder Einzelne der Gesellschaft oder der eigenen Freiheit schuldig ist. Viele Mitmenschen sind uns fremd geworden oder – schlimmer noch – rufen den Verdacht hervor, sie nie richtig gekannt zu haben. Der Lack ist ab. Nun sehen wir einander bestätigt oder mit anderen Augen.

Lösungen für den Pflegenotstand? (Teil 2)

Das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland stellt ein weiteres Beispiel für vorausschauende Personalplanung dar. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnet diese Möglichkeit sogar als „unverzichtbar“ bei der Aufgabe, dem steigenden Bedarf an Pflegefachkräften zu begegnen. Und Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reiste bis ins Kosovo und nach Mexiko, um dort Fachkräfte im Pflegebereich zu umwerben.

Hilfe aus dem Ausland

Der Arbeitgeber-Service der Arbeitsagentur kooperiert bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern aus dem Ausland mit dem Internationalen Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). Personalplaner gehen da direkter vor und knüpfen direkte Kontakte über Netzwerke, arbeiten mit Projektpartnern in den Heimatländern der Interessenten – oder werben diese kurzerhand gleich vor Ort an.

Die Kandidat:innen stammen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern. Osteuropa erfreut sich besonderer Beliebtheit, da sich unter den Bewerber:innen viele Fachkräfte mit Studienabschlüssen finden. Kandidat:innen aus Serbien, dem Kosovo und Albanien, aber auch Ungarn und Rumänien stehen auf der Wunschliste der Recruiter ganz oben.

Anerkennungsverfahren und Arbeitserlaubnis: Ein deutsches Problem

Die Projektpartner vor Ort fungieren als Dienstleister, Ausbilder und Vermittler. In vielen Fällen organisieren sie noch vor dem Wechsel nach Deutschland Sprachkurse und schulen die Fachkräfte, damit diese ihre Fachkenntnisprüfung in Deutschland ablegen können, bevor sie ihre Arbeit im Gesundheits-/Pflegebereich antreten. Die Regel ist dies jedoch nicht.

Allerdings werfen die Zugangsvoraussetzungen der neuen Mitarbeiter:innen so oder so große Probleme auf. Die Anerkennungsverfahren der Ausbildungsabschlüsse dauern zu lange und auch die Erteilung von Arbeitserlaubnissen wird oft durch allzu viel Bürokratie verkompliziert.

Gute Vorbereitung sorgt für schnelle Integration ins Team

Sind diese Hürden erst genommen und haben die neuen Mitarbeiter:innen noch keine vorbereitenden Kurse durch Projektpartner absolviert, beginnt die Anlernphase durch teilweise ohnehin schon überlastetes Personal im Vollzeitmodus.

Vorausschauende Personalentwickler entwickeln bereits im Vorfeld einen Integrationsleitfaden und reden mit dem Stammpersonal überToleranz und Nachsicht. Hier und da hilft auch ein Integrationsbeauftragter bei der Eingliederung ins deutsche Arbeitsleben.

Mehr Hilfe als nötig? Ansichtssache.

Auch organisierte Sprachkurse für die ausländischen Mitarbeiter:innen helfen dabei,  sie in die bestehenden Teams und Arbeitsabläufe zu integrieren. Kein einfaches Unterfangen, welches aber dank der Bemühungen beider Seiten meist gelingt.

Manche Arbeitgeber gehen noch einen Schritt weiter. Sie fühlen sich auch außerhalb des Dienstalltags verantwortlich für ihre neuen Mitarbeiter:innen aus dem Ausland und helfen aktiv. Zum Beispiel, indem sie ihnen beim Eröffnen eines Girokontos oder bei der Wohnungssuche helfen. Gelegentlich mieten Unternehmen sogar Wohnungen an und vermieten diese weiter, weil ihnen bekannt ist, dass viele Wohnungseigentümer vor ausländischen Mietern zurückschrecken.

 

– Viele Menschen haben Angst vor „Überfremdung“, also einem zu hohen Anteil an ausländischen Mitbürgern. Ist dies in der Pflege zu befürchten? Das lesen Sie in Teil 3 dieses Artikels. –


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Lösungen für den Pflegenotstand? (Teil 1)

Es klingt wie ein schlechter Witz: Das deutsche Gesundheitswesen krankt. Laut einer Erhebung der Gewerkschaft ver.di fehlen an deutschen Kliniken insgesamt etwa 80.000 Pflegefachkräfte. Grund genug für Personalplaner, sich proaktiv um neue Mitarbeiter zu bemühen und mit Anreizen zu locken.

Neben der Bindung von Mitarbeitern ist deren Gewinnung zu einem wichtigen und permanenten Thema bei den Verantwortlichen avanciert, dem viel Zeit und Mühe gewidmet wird. Ressourcen, die eigentlich anderen Aufgaben wie der Dienstplanung zukommen sollten. Doch die Pflegekräfte sind knapp und der Wettbewerb hart.

Ein beinharter Wettbewerb

Zuweilen treibt die Personalnot traurige Blüten. Da parkt dann schon mal ein Transporter vorm Klinikausgang, auf dessen Flanken Stellenangebote im Konkurrenzklinikum offeriert werden. Oder man animiert Mitarbeiter zum Scouten von Talenten und zahlt „Kopfprämien“ für das Abwerben von Pflegekräften.

Aber warum eigentlich? Für viele Pflegebereiche sind personelle Untergrenzen in der Besetzungsplanung definiert. Im klinischen Bereich regelt beispielsweise die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV), wie viele Patienten maximal auf eine Pflegekraft entfallen dürfen. Da Kliniken und Pflegeheime eine Vollbelegung im lukrativen Pflegebereich anstreben, sind sie also auf einen gewissen Personalbestand angewiesen, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

Natürlich existieren auch weniger kontroverse Methoden zur Mitarbeitergewinnung. Vereinzelt bieten Krankenhausträger ihren Mitarbeitern den Erwerb akademischer Pflegequalifikationen an, um deren Wunsch nach beruflicher Weiterbildung zu entsprechen und ihre Motivation zu steigern.

Nachwuchs im Gesundheitswesen ist wichtig

Präsenz auf Jobmessen zu zeigen reicht auch bei der Nachwuchsförderung nicht mehr aus. Kreativität ist gefragt. So laden beispielsweise Bewerberbusse in Fußgängerzonen zu einem unverbindlichen Informationsgespräch zwischen potentiellen Azubis und Mitarbeitern der entsprechenden Klinik ein.

Ein überraschend simples und erfolgreiches Modell: Nicht wenige Interessenten verlassen den Bus mit einem Ausbildungsvertrag in der Tasche. Auch Praktikanten werden über solche Wege für das Unternehmen gewonnen.

 

– Aber genügt das denn? Und woher sollen zusätzliche Pflegekräfte kommen?  Der zweite Teil dieses Beitrags klärt auf. –


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Semper Fidelis

Nun also wieder neue Regeln. FFP2-Masken im Einzelhandel zwingend für alle, dafür keine Impfung mehr erforderlich. Wie war das mit den falschen Signalen, die man aussendet? Ein großer Elektronikkonzern umwirbt völlig ungeniert die Impfverweigerer: „Nur noch 2G, ihr könnt wieder bei uns einkaufen!“ Und kommt sich beim Umreißen der Zielgruppe anscheinend gar nicht blöd vor.

Ich bin doch nicht blöd! Oder vielleicht doch?

Geboosterte Menschen müssen nicht mehr in Quarantäne, auch wenn sie Kontakt zu corona-positiven Menschen hatten. Aha. War da nicht was? Ach ja.. das Hauptargument fürs Impfen: Du schützt damit deine Mitmenschen. Wie geht das zusammen mit: Du hast dich womöglich angesteckt, merkst aber nichts davon, weil du bereits Antikörper gegen das Virus entwickelt hast?

Infiziert kann man also ruhig sein, solange man keine Symptome entwickelt. Und muss brav zur Arbeit erscheinen. Darf dieser nicht fernbleiben. Ist ja schließlich kein Schnupfen, bei dem man mal einen Tag zu Hause bleibt, weil man KollegInnen anstecken könnte. Sondern bloß Corona. War das nicht kürzlich noch hochinfektiös? Eine Pandemie gar, die neuesten Schätzungen zufolge bislang bis zu 5 Millionen Todesopfer forderte?

Corona? Welches Corona?

Man muss sich dieser Tage fragen, ob es zwei Sorten von Corona gibt: Das tödliche Virus und die harmlose Variante, wegen derer man nicht gleich übertreiben sollte. Nimm ein paar Vitamine und huste in die Armbeuge. Und besuch mal wieder deine Oma, sie hat schon wieder nach dir gefragt.

In den Schulen haben nur noch infizierte Schüler das Recht, zu Hause zu bleiben. Ach nee, ist ja (immer noch) ne Verpflichtung, Quarantäne und so. Der Nebenmann bleibt bitte in der Bank sitzen, bis er selbst positiv getestet wurde. Und so weiter. Ist ja die relativ harmlose Omikron-Variante.

Heute haben wir im Unterricht Stalingrad nachgespielt

Schüler, die von ihren Eltern nicht in eine Klasse voller Corona-Fälle geschickt werden, erhalten eine Ermahnung und werden von Lehrern und Mitschülern geächtet. Feiglinge. Schwächlinge. Sie schwächen die Truppe, die sich selbst zum Durchhalten verdonnert hat. Ewige Treue zur Schulleitung, bis zum letzten Mann, äh, Kind.

Schließlich drohen ja übelste psychische Schäden, wenn wir diesem Virus eine Existenz zusprechen. Keine Handbreit nachgeben, einfach ignorieren. Wir sind stärker. Wir halten zusammen. Wenn wir krank werden, dann zusammen. Wenn wir sterben, dann zus-.. ach was, wir sterben nicht. Unsere Kinder sind jung und robust.

Vielleicht haben sie später Long Covid, mag sein. Oder Opa ist hopps gegangen, pardon, ich vergaß.. das darf man den Kindern ja nicht sagen. Also, liebe Kinder, der Opa ist jetzt im Himmel. Da passt er auf euch auf und sorgt dafür, dass ihr bald wieder ganz gesund werdet. Wollen wir für Opa beten? War ein guter Mann und hat sich brav impfen lassen.

Hat trotzdem nicht gereicht.

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New Work (Teil 5)

Zur Zeit der geistigen Geburt von New Work in den 1970ern sah die Arbeitswelt noch ganz anders aus. Doch auch heute, da einzelne Unternehmen aus freien Stücken die 4-Tage-Woche einführen oder Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen, tut sich die Politik schwer damit, die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für bessere New Work zu schaffen. Zum Thema (Neue) Arbeit äußern sich nahezu alle deutschen Volksparteien gleichermaßen reserviert.

Wie steht die Politik zur New Work?

So propagiert die CDU einen Rechtsanspruch auf Teilzeit, die SPD möchte diesen für Home Office verankern. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versucht, mit seinem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ Stellenabbau zu vermeiden und die Kurzarbeit in Kombination mit Weiterqualifizierungen zu fördern – ein ähnlicher, wenn auch nicht so weit gefasster Ansatz wie in den 1970ern  bei General Motors in Flint.

Die Grünen stellen in Aussicht, nach der Elternzeit früher als bisher wieder in den Beruf zurückzukehren zu können, und die Linke hat immerhin das Thema Crowdworking (freiberufliche Auftragsarbeit, z.B. Texterstellung) für sich entdeckt und möchte Selbstständige sozialrechtlich absichern. So oder so: Die Fokussierung auf Home Office allein genügt nicht.

Pro und contra: Home Office

Apropos Home Office. Einer der wenigen Kritikpunkte an New Work bezieht sich auf den fließenden Übergang zwischen Berufs- und Privatleben. Da eine klare Abgrenzung fehle, häuften Mitarbeiter im Home Office viele Überstunden an, für die sie überdies nicht entlohnt würden. Andere Kritiker argumentieren, Unternehmen seien nicht dem Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter, sondern dem ihrer Kunden verpflichtet. Glückliche Mitarbeiter rechtfertigten keine möglichen Auftragsverluste.

Nun liegt es New Workern fern, ihrem Unternehmen Umsatzeinbußen zu bescheren, schließlich verstehen sie sich als Teil desselben. Und es obliegt jedem Unternehmen, die Regeln der New Work zu umreißen. Home Office beispielsweise ist nicht per se an eine Rufbereitschaft rund um die Uhr gekoppelt. Umgekehrt greifen Mitarbeiter aber gerne auch mal im heimischen Büro zum Hörer, wenn nach dem beruflichen Telefonat im Garten die Wasserschlacht mit dem Nachwuchs wartet.

Ja, Arbeit darf nämlich durchaus Spaß machen. Auch wenn Frithjof Bergmann dieses Wort im Zusammenhang mit New Work so gar nicht gefällt.

 

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New Work (Teil 4)

In vielen Unternehmen sind solche Modelle längst etabliert. Oftmals nicht ganz freiwillig, denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt verlangt nach Veränderung. Ob im IT- oder Pflegebereich, in der Beratung oder im Handwerk: Der Fachkräftemangel zwingt viele Unternehmen und Organisationen dazu, die Arbeitsbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten.

Der Pflegenotstand und die New Work

Nun ist es nicht jeder Branche vergönnt, mit Gewinnbeteiligungen um künftige Angestellte zu buhlen. Mitarbeitern im Pflegebereich erscheinen zuweilen selbst milde Formen von New Work wie flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zur beruflichen Fortbildung oder flache Hierarchien wie gewagte Zukunftsutopien. Berufliche Perspektivlosigkeit und geringes Einkommen sind hingegen Realität und für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen mitverantwortlich.

Der Mangel an Pflege(fach)kräften wurde in den letzten Jahren zum Dauerthema . Obwohl sie seit Jahren am Limit arbeiten und durch die Corona-Pandemie teilweise dauerüberlastet sind, ist keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Sicht. Jede dritte Pflegekraft denkt mittlerweile über einen Jobwechsel nach.

Berufung statt Beruf: Der Grundsatz der New Work

Dabei sind sich Pflegekräfte im Gegensatz zu manch anderen Arbeitnehmern der Tatsache bewusst, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Dieses Wissen reicht zur Mitarbeitergewinnung und –bindung allerdings nicht aus. Entscheidende Faktoren sind der Austausch mit Vorgesetzten und Kollegen, die Anerkennung der eigenen Arbeit und die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Identifikation durch Integration. Oder, anders ausgedrückt: Echte Teilhabe an der Gemeinschaft.

Selbstbestimmtheit ist wichtig, Supervisionen oder die Aussicht auf den Erwerb akademischer Qualifikationen motivieren zusätzlich. Denn auch lebenslanges Lernen zählt zu den Grundprinzipien von New Work. Sie erinnern sich:  Arbeit, die du wirklich, wirklich willst. Die eigenen Qualifikationen optimiert man als Mitarbeiter schon aus eigenem Interesse.

Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende

Die in ihren strengen Strukturen erstarrte Erwerbsarbeit der 1970er Jahre, welche Frithjof Bergmann mit einer leichten Erkältung verglich, die man noch bis Freitag aushalte, sollte zum Wohle der Mitarbeiter, aber auch des Unternehmens der Vergangenheit angehören.

Produktivität und Wachstum, jene Schlagworte der Industrialisierung, sind noch immer aktuell. Allerdings werden sie heute mit Motivation und Identifikation in direkten kausalen Zusammenhang gesetzt.

Moderne Unternehmen und Organisationen bauen auf Mitarbeiter, die nicht gezwungenermaßen, sondern gerne zur Arbeit erscheinen. Weil sich ihr Arbeitsumfeld stetig verbessert und die Teamarbeit gefördert wird. Weil sie sich nicht als kleine Rädchen in Getrieben, sondern als mitspracheberechtigten Teil der Unternehmensgemeinschaft empfinden. Und weil ihnen mehr Einfluss auf ihre Tätigkeit sowie Zeit für Familie und Hobbys gewährt wird.

 

– Wie steht eigentlich die deutsche Politik zur New Work?  Der 5. und letzte Teil dieses Beitrags vergleicht die Aussagen der verschiedenen Parteien. –


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Impfpflicht für Pflegekräfte?

Seit Monaten war sie im Gespräch, nun wurde sie beschlossen: Die Impfpflicht für Pflegekräfte.

In der Vergangenheit hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer wieder beteuert, eine Impfpflicht schließe er kategorisch aus. War er wirklich davon überzeugt, dass sie keine Wirkung zeigen würde? Oder handelte es sich um eine von vielen wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen, die im Wahljahr 2021 vom Kalkül um Wählerstimmen bestimmt wurden?

Nun also doch die Impfpflicht. Nicht für jeden, nein. Wäre ja auch zu einfach und übersichtlich. Die Pflege- und andere Kräfte im Gesundheitswesen sollen es richten. Als nächstes wären dann auch andere Berufszweige dran, deren Angehörige mit vielen Menschen in Kontakt kommen. Lehrer zum Beispiel. Doch die sind ohnehin fast durchgängig geimpft. Blöde Sache. Dann vielleicht ErzieherInnen?

Wisst ihr mehr als wir?

Um es vorweg zu nehmen: Eine Impfpflicht nur für bestimmte Berufe halte ich persönlich für das falsche Signal. Entweder hilft die Impfpflicht beim Kampf gegen Corona, – dann sollten alle mitmachen -, oder sie tut es nicht. Apropos Signale: wenn wir pflegebedürftige Senioren und geschwächte Patienten impfen, sich Pflegekräfte und Ärzte aber zieren, fragt man sich natürlich, welches Mehrwissen sie als Fachleute im Gesundheitswesen haben mögen.

Der Großteil der Bevölkerung versucht seit fast 2 Jahren, den Pflegekräften den Rücken frei zu halten, indem er sich und andere schützt – unter anderem mit einer Impfung. Dass ausgerechnet diese Pflegekräfte in Kauf nehmen, selbst zum Intensivpatienten zu werden und die ohnehin knappen personellen Ressourcen in Anspruch zu nehmen, ist ein merkwürdiges Signal.

Alternativen und Prioritäten

Natürlich ist mir bewusst, dass Pflegekräfte auch nur Menschen sind und den nicht in Langzeitstudien getesteten Impfstoffen skeptisch gegenüberstehen. Das tun die meisten von uns. Aber was ist die derzeitige Alternative? Nach 2 Jahren des Herumprobierens mit Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Masken, Tests…?

Als (gesellschafts-)kritischer Autor setze ich mich gerne für Pflegekräfte ein und erinnere an die (eigentlich längst bekannten) Missstände in ihrer Branche. Aber wenn nun Pflegekräfte kündigen, weil sie sich zu etwas gezwungen sehen, was viele in der Gesellschaft als selbstverständlich betrachten, – auch um sie zu entlasten -, muss ich mich schon fragen, ob sie ihre Prioritäten richtig setzen.

Wenn schon Nein, dann zu den richtigen Fragen

Es gibt sicher viele Gründe, seinen Pflegeberuf an den Nagel zu hängen: Die Arbeitszeiten, Stress, schlechte Bezahlung, ein mieser Dienstplan und so weiter. Und es gibt viele Pflegekräfte, die sich neben ihrer anstrengenden Arbeit bemühen, darauf aufmerksam zu machen und für Abhilfe zu kämpfen.

Die Gesellschaft interessiert das! Aber sie versteht nicht, wieso wir selbst unsere Kinder impfen lassen, wenn auf der anderen Seite Pflegekräfte sagen: „Nö, macht das mal alleine!“

New Work (Teil 3)

Flexibel denkende und agil handelnde Mitarbeiter stehen bei vielen Unternehmen hoch im Kurs. Auch engagierte Quereinsteiger und –denker sind gefragter denn je. Menschen, welche nicht nur ihre Arbeitszeit ableisten, sondern auch ihre individuellen Fähigkeiten in den Job einbringen. Die mit viel Empathie auf Kunden und spezielle Problemstellungen eingehen und auch mal unorthodoxe Ideen entwickeln, wenn ausgefallene Lösungen notwendig sind.

New Work lässt unkonventionelle Ideen zu

New Work in der Arbeitswelt 4.0 beinhaltet noch immer Frithjof Bergmanns Werte Selbstständigkeit, persönliche Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die aktuelle Interpretation seiner Sozialutopie diskreditiert diese Werte also keineswegs, sondern setzt sie innerhalb der heutigen Möglichkeiten einzelner Unternehmen und Branchen in die Praxis um.

Revolutionäre Ideen lassen sich oftmals nur im Rahmen von Kompromissen realisieren. Dies trifft auf neue Techniken und Ideologien ebenso zu wie auf Visionen. Nicht immer sind deren Erfinder mit dem Ergebnis zufrieden, siehe Karl Marx. Und doch rücken auch Kompromisse die Welt meist ein Stück weit in die von ihnen angedachte Richtung.

Ansätze für New Work: Der erste Schritt

Zunächst ist nicht entscheidend, wie konsequent das eigene Unternehmen die Philosophie von New Work umsetzt. Allein das Wahrnehmen der Mitarbeiter als Individuum mit Familie, Zielen, Engagement, Wünschen, Talenten und Ideen durch den Vorgesetzten bedeutet vielerorts bereits einen bedeutenden Schritt nach vorn.

Allerdings sollten auch die Mitarbeiter selbst an einer Verbesserung ihres Arbeitsumfelds und der Integration ihrer persönlichen Fähigkeiten interessiert sein. Und natürlich motiviert, sich in diesen Prozess proaktiv einzubringen – egal, ob man ihn New Work nennt oder nicht. Gerade in bislang streng hierarchisch geführten Organisationen ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Freiheit, Teilhabe und Selbstständigkeit: Die Werte von New Work

Den  Arbeitnehmern wurde mit Einführung der Vertrauensarbeitszeit eine gewisse Selbstbestimmtheit gewährt. Schließtag in der Kita? In Ordnung, dann mache ich heute halt Home Office. Oma zum Arzt fahren? Dank gleitender Arbeitszeit kein Problem.

Das Vertrauen des Arbeitgebers ersetzte die Kontrolle und das Einräumen von Freiheiten führte zu erhöhter Selbstständigkeit bei den Mitarbeitern.

Deren Eigenverantwortung kann weiter gesteigert werden, indem sie beispielsweise ihre Budgets selbst verwalten oder in wichtige unternehmerische Prozesse miteinbezogen werden.

So sind die Mitarbeiter mancher Unternehmen bei Entscheidungen stimmberechtigt, können eigene Leistungsziele selbst festlegen oder werden am Unternehmenserfolg beteiligt. Im Idealfall fühlt ihre Arbeit sich an wie die am eigenen Start-Up. Work-Life-Fusion statt nur –Balance.

 

– Geht das denn auch in Branchen wie beispielsweise der Pflege?  In Teil 4 dieses Beitrags zeigen wir Möglichkeiten auf . –


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Das Nein zum falschen Thema

Nun ist es beschlossene Sache: Mitarbeitende im Gesundheitswesen – betroffen sind vor allem diejenigen in Kliniken und Pflegeheimen – müssen ab März 2022 einen vollständigen Impfschutz oder eine Gesung nachweisen. 571 der 689 Abgeordneten des Bundestages stimmten für das Gesetz der Ampel-Koalition, nur 80 dagegen.

In vielen Foren wird bereits seit Wochen über das Thema diskutiert, meist sehr emotionsgeladen. Auch ich habe mich daran beteiligt, allerdings ohne große Hoffnung, dass sich hier ein Kompromiss erzielen lässt. Wie überall in Deutschland, sind die Lager auch und gerade im Gesundheitsbereich extrem gespalten, wenn es ums Impfen geht.

Die Einen sind längst geimpft und sehen in impfkritischen Pflegekräften eine – wenn nicht die – Ursache für hohe Infektionszahlen und verschärfte Corona-Regeln. Die Anderen sehen sich bevormundet, beharren auf ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit und schieben als Grund ihrer ablehnenden Haltung die Skepsis vor den nicht ausreichend getesteten Impfstoffen vor.

Impfverweigerung als Form des Protests?

In Wahrheit geht es noch um etwas ganz Anderes: Pflegekräfte durchleiden seit Jahren eine Durststrecke. Der deutsche Pflegenotstand ist bereits legendär wie das Ozonloch und erscheint folgerichtig mit zunehmender Dauer und Ignoranz seitens aller gängigen politischen Parteien unlösbarer als sein Bruder, der Klimanotstand.

Mitarbeitende im Gesundheitswesen haben es satt, von der Politik und der Gesellschaft mit immer neuen Forderungen belegt zu werden, ohne für deren Erfüllung eine Gegenleistung zu erhalten. Höhere Löhne etwa oder mehr Planstellen, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und einiges mehr, was in den letzten Jahrzehnten immer wieder aufgeschoben wurde.

Lange schon warten sie auf ein Zeichen der Anerkennung und des Umbruchs. Die seitens der Politik auf den Weg gebrachte Impfpflicht für Mitarbeitende im Gesundheitswesen untermauert das Dilemma: Einerseits achtet man sie für ihre wertvolle, stressige und obendrein schlechtbezahlte Arbeit, andererseits würde eine Linderung ihres Elends halt Geld kosten. Viel Geld.

Nein zum Nein

Und so sagen viele Pflegekräfte nun mal Nein. Ob aus Überzeugung oder Trotz: Dieses Nein kommt zur falschen Zeit und zum falschen Thema. Große Teile der Gesellschaft würden sie sogar bei einem Arbeitskampf unterstützen, der einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen dient. Aber nicht beim Thema Impfung.

Diesmal wird Ihnen die Gesellschaft ihre Sympathien vorenthalten. Zu unverständlich erscheint es einem geboosterten Senioren, dass sein Pfleger sich einer Erstimpfung verweigert. Während seine Kinder und Enkelkinder ihn in Zukunft womöglich nur noch vollständig geimpft besuchen dürfen und deren Impfstatus von ebenjenem Pfleger kontrolliert wird.

Die beschlossene Impfpflicht wird etwas bewirken, so oder so. Viele Pflegekräfte drohen mit Kündigung. Nicht wegen der schwierigen Arbeitsverhältnisse oder der Weigerung aller Volksparteien, etwas an diesen zu ändern, zumindest mittelfristig. Nein. Den Stress und den Schichtbetrieb können sie inzwischen ertragen. Eine Impfpflicht nicht.

 

 

New Work (Teil 2)

Der arbeitende Mensch der Gegenwart strebt vermehrt nach Selbstverwirklichung und dem Integrieren seiner Talente in seine berufliche Tätigkeit. Dieser durchaus egoistische Wunsch wurde in früheren Zeiten arbeitgeberseitig eher als Hemmnis empfunden. Konformität war das Gebot der Stunde, Individualisierung jeglicher Art war verpönt. Schließlich musste auch der Vorgesetzte Punkt 8:00 Uhr am Schreibtisch sitzen, statt seiner Verantwortung vom Frühstückstisch aus nachzugehen.

Arbeit und Freizeit sind kein Widerspruch

Längst haben wir jedoch den Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungs- und digitalen Zeitalter vollzogen. In vielen Unternehmen haben sich mehr oder weniger innovative Ansätze bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds bereits durchgesetzt. Eigenverantwortung, gesundheitspräventive Maßnahmen und das Berücksichtigen von privaten Rahmenbedingungen sollen Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, nicht mehr Untergebene, sondern geschätzte Ruderer im selben Boot zu sein.

Arbeitszeiten und –orte sind immer öfter flexibel, Beruf und Familie vereinbar und Hierarchien flacher. Teilzeitarbeit und Transparenz zählen längst zu den festen Bestandteilen des Arbeitslebens, und auch Home Office und Entspannungsseminare sollen zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance beitragen. Doch ist dies tatsächlich New Work?

Spaß allein reicht nicht

Nein! sagt Frithjof Bergmann, dem diese Ansätze nicht weit genug gehen. Auch deshalb nicht, weil seine Vision einen anderen Ansatz verfolgt als das bloße Versüßen des Arbeitsalltags und den daraus resultierenden Spaß bei der Arbeit. In seiner ursprünglichen Vision der New Work sollten die Menschen ihre individuellen Talente suchen und in selbstständiger Weise zu ihrem wie auch zum Wohl der Gemeinschaft anwenden. Arbeit, die du wirklich, wirklich willst, so das New-Work-Credo.

Das klingt tatsächlich nicht nach Tischkicker und Team-Yoga. Diese sind bestenfalls das i-Tüpfelchen auf einer gelungenen New Work-Strategie. Kein Mensch arbeitet wegen der Tischtennispausen bei hippen Global Playern. Sondern weil die Arbeit dort seinen individuellen Neigungen entspricht und das Einbringen seiner Persönlichkeit geschätzt wird.

Ein echter New Worker arbeitet nicht für ein Unternehmen. Er empfindet sich als Teil des Unternehmens.

 

– Aber wie setzt man das um?  Teil 3 dieses Beitrags gibt Auskunft darüber . –


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New Work (Teil 1)

Nehmen wir an, Karl Marx sei noch am Leben und hätte miterlebt, auf welch unterschiedliche Weise seine Idee des Kommunismus im Lauf der Jahre interpretiert wurde. Sicherlich wäre er von totalitären politischen Systemen, deren Weltbild und Massenverbrechen wie der maoistischen Kulturrevolution oder dem Großen Terror unter Stalin nicht begeistert gewesen und er hätte sich deutlich von diesen distanziert.

Prof. Dr. Frithjof Bergmann ergeht es mit New Work ähnlich. Der austro-amerikanische Philosoph, der in deutschsprachigen Vorträgen auch den Begriff Neue Arbeit benutzt, entwickelte Ende der 1970er Jahre eine unerhört revolutionäre Sozialutopie. Diese sah nicht nur eine Teilung des starr getakteten 8-Stunden-Arbeitsalltags vor, sondern auch eine Sinnsuche und -findung der einzelnen Arbeitnehmer in ihren Tätigkeiten. Berufung statt Beruf. Die aktuelle Interpretation der New Work-Idee reicht ihm nicht weit genug.

Die kreative Kraft

Bergmann ist kein Hippie-Philosoph. Er hatte einen Lehrstuhl an der University of Michigan inne und führte Lehraufträge an der Stanford-Universität, der University of Chicago und der University of Berkeley aus. Daneben beriet er Regierungen, Firmen, Gewerkschaften und Kommunen in Fragen der Zukunft der Arbeit und der Innovationsfreudigkeit. Und er ärgert sich darüber, dass heutzutage bereits ein bisschen mehr Eigenverantwortung im Job gleich als New Work gilt.

Wie Karl Marx, setzte sich auch Frithjof Bergmann intensiv mit dem vorherrschenden Modell des Kapitalismus auseinander. In seinem Hauptwerk Das Kapital charakterisiert Karl Marx das Wesen der menschlichen Existenz als „Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt schöpferisch und frei zu gestalten“. Diese kreative Kraft ist laut Bergmann auch der Schlüssel zur New Work, welche das durch unflexible Arbeitsmodelle ausgebremste Potential der Arbeiter nutzen wollte.

Das New Work der 1970er

New Work sah vor, die Lohnarbeitszeit zu verringern und um die Sparten Selbstversorgung und selbstständige Tätigkeiten zu erweitern, die den individuellen Fähigkeiten des Einzelnen eher entsprechen als beispielsweise seine Arbeit am Fließband. Bei der Suche nach einer für ihn geeigneten Nebentätigkeit solle der Mitarbeiter kräftig unterstützt werden – und zwar vom Arbeitgeber!

Das klingt weltfremd? Nicht, wenn man den Kontext betrachtet, in dem New Work geboren wurde. Bergmann arbeitete in den 1970er Jahren bei General Motors in Flint/Michigan, wo sich die Werksarbeiter bedingt durch Rezession und den Einsatz moderner Fertigungstechniken mit drohenden Massenentlassungen konfrontiert sahen. Diese sollten durch Kurzarbeit verhindert und zugleich den Arbeitern werksseitig dabei geholfen werden, in der freigestellten Zeit ihre Talente für andere Tätigkeiten zu finden.

So gesehen, war New Work zunächst eine Form des Krisenmanagements. Dass Bergmanns Idee nach vielen Jahren eine Renaissance und Neuinterpretation erlebt, verdankt sie weitaus größeren, strukturellen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt als seinerzeit in Michigan. Was die Frage aufwirft, ob man New Work angesichts der veränderten Umstände neu interpretieren darf oder gar muss.

Was hat sich geändert?

Der arbeitende Mensch der Gegenwart strebt vermehrt nach Selbstverwirklichung und dem Integrieren seiner Talente in seine berufliche Tätigkeit. Dieser durchaus egoistische Wunsch wurde in früheren Zeiten arbeitgeberseitig eher als Hemmnis empfunden. Konformität war das Gebot der Stunde, Individualisierung jeglicher Art war verpönt. Schließlich musste auch der Vorgesetzte Punkt 8:00 Uhr am Schreibtisch sitzen, statt seiner Verantwortung vom Frühstückstisch aus nachzugehen.

Arbeit und Freizeit sind kein Widerspruch

Längst haben wir jedoch den Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungs- und digitalen Zeitalter vollzogen. In vielen Unternehmen haben sich mehr oder weniger innovative Ansätze bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds bereits durchgesetzt. Eigenverantwortung, gesundheitspräventive Maßnahmen und das Berücksichtigen von privaten Rahmenbedingungen sollen Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, nicht mehr Untergebene, sondern geschätzte Ruderer im selben Boot zu sein.

Arbeitszeiten und –orte sind immer öfter flexibel, Beruf und Familie vereinbar und Hierarchien flacher. Teilzeitarbeit und Transparenz zählen längst zu den festen Bestandteilen des Arbeitslebens, und auch Home Office und Entspannungsseminare sollen zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance beitragen. Doch ist dies tatsächlich New Work?

Spaß allein reicht nicht

Nein! sagt Frithjof Bergmann, dem diese Ansätze nicht weit genug gehen. Auch deshalb nicht, weil seine Vision einen anderen Ansatz verfolgt als das bloße Versüßen des Arbeitsalltags und den daraus resultierenden Spaß bei der Arbeit. In seiner ursprünglichen Vision der New Work sollten die Menschen ihre individuellen Talente suchen und in selbstständiger Weise zu ihrem wie auch zum Wohl der Gemeinschaft anwenden. Arbeit, die du wirklich, wirklich willst, so das New-Work-Credo.

Das klingt tatsächlich nicht nach Tischkicker und Team-Yoga. Diese sind bestenfalls das i-Tüpfelchen auf einer gelungenen New Work-Strategie. Kein Mensch arbeitet wegen der Tischtennispausen bei hippen Global Playern. Sondern weil die Arbeit dort seinen individuellen Neigungen entspricht und das Einbringen seiner Persönlichkeit geschätzt wird.

Individuelle Stärken fügen sich ineinander

Ein echter New Worker arbeitet nicht für ein Unternehmen. Er empfindet sich als Teil des Unternehmens.

New Work 4.0

Flexibel denkende und agil handelnde Mitarbeiter stehen bei vielen Unternehmen hoch im Kurs. Auch engagierte Quereinsteiger und –denker sind gefragter denn je. Menschen, welche nicht nur ihre Arbeitszeit ableisten, sondern auch ihre individuellen Fähigkeiten in den Job einbringen. Die mit viel Empathie auf Kunden und spezielle Problemstellungen eingehen und auch mal unorthodoxe Ideen entwickeln, wenn ausgefallene Lösungen notwendig sind.

New Work lässt unkonventionelle Ideen zu

New Work in der Arbeitswelt 4.0 beinhaltet noch immer Frithjof Bergmanns Werte Selbstständigkeit, persönliche Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die aktuelle Interpretation seiner Sozialutopie diskreditiert diese Werte also keineswegs, sondern setzt sie innerhalb der heutigen Möglichkeiten einzelner Unternehmen und Branchen in die Praxis um.

Revolutionäre Ideen lassen sich oftmals nur im Rahmen von Kompromissen realisieren. Dies trifft auf neue Techniken und Ideologien ebenso zu wie auf Visionen. Nicht immer sind deren Erfinder mit dem Ergebnis zufrieden, siehe Karl Marx. Und doch rücken auch Kompromisse die Welt meist ein Stück weit in die von ihnen angedachte Richtung.

Ansätze für New Work: Der erste Schritt

Zunächst ist nicht entscheidend, wie konsequent das eigene Unternehmen die Philosophie von New Work umsetzt. Allein das Wahrnehmen der Mitarbeiter als Individuum mit Familie, Zielen, Engagement, Wünschen, Talenten und Ideen durch den Vorgesetzten bedeutet vielerorts bereits einen bedeutenden Schritt nach vorn.

Allerdings sollten auch die Mitarbeiter selbst an einer Verbesserung ihres Arbeitsumfelds und der Integration ihrer persönlichen Fähigkeiten interessiert sein. Und natürlich motiviert, sich in diesen Prozess proaktiv einzubringen – egal, ob man ihn New Work nennt oder nicht. Gerade in bislang streng hierarchisch geführten Organisationen ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Das Indiviuum in der New Work

Freiheit, Teilhabe und Selbstständigkeit: Die Werte von New Work

Das New Work-Feeling

Den  Arbeitnehmern wurde mit Einführung der Vertrauensarbeitszeit eine gewisse Selbstbestimmtheit gewährt. Schließtag in der Kita? In Ordnung, dann mache ich heute halt Home Office. Oma zum Arzt fahren? Dank gleitender Arbeitszeit kein Problem.

Das Vertrauen des Arbeitgebers ersetzte die Kontrolle und das Einräumen von Freiheiten führte zu erhöhter Selbstständigkeit bei den Mitarbeitern.

Deren Eigenverantwortung kann weiter gesteigert werden, indem sie beispielsweise ihre Budgets selbst verwalten oder in wichtige unternehmerische Prozesse miteinbezogen werden.

So sind die Mitarbeiter mancher Unternehmen bei Entscheidungen stimmberechtigt, können eigene Leistungsziele selbst festlegen oder werden am Unternehmenserfolg beteiligt. Im Idealfall fühlt ihre Arbeit sich an wie die am eigenen Start-Up. Work-Life-Fusion statt nur –Balance.

In vielen Unternehmen sind solche Modelle längst etabliert. Oftmals nicht ganz freiwillig, denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt verlangt nach Veränderung. Ob im IT- oder Pflegebereich, in der Beratung oder im Handwerk: Der Fachkräftemangel zwingt viele Unternehmen und Organisationen dazu, die Arbeitsbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten.

Hausmittel gegen Fachkräftemangel

Nun ist es nicht jeder Branche vergönnt, mit Gewinnbeteiligungen um künftige Angestellte zu buhlen. Mitarbeitern im Pflegebereich erscheinen zuweilen selbst milde Formen von New Work wie flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zur beruflichen Fortbildung oder flache Hierarchien wie gewagte Zukunftsutopien. Berufliche Perspektivlosigkeit und geringes Einkommen sind hingegen Realität und für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen mitverantwortlich.

Pflegenotstand 2021

Der Mangel an Pflege(fach)kräften wurde in den letzten Jahren zum Dauerthema . Obwohl sie seit Jahren am Limit arbeiten und durch die Corona-Pandemie teilweise dauerüberlastet sind, ist keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Sicht. Jede dritte Pflegekraft denkt mittlerweile über einen Jobwechsel nach.

Dabei sind sich Pflegekräfte im Gegensatz zu manch anderen Arbeitnehmern der Tatsache bewusst, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Dieses Wissen reicht zur Mitarbeitergewinnung und –bindung allerdings nicht aus. Entscheidende Faktoren sind der Austausch mit Vorgesetzten und Kollegen, die Anerkennung der eigenen Arbeit und die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Identifikation durch Integration. Oder, anders ausgedrückt: Echte Teilhabe an der Gemeinschaft.

Selbstbestimmtheit ist wichtig, Supervisionen oder die Aussicht auf den Erwerb akademischer Qualifikationen motivieren zusätzlich. Denn auch lebenslanges Lernen zählt zu den Grundprinzipien von New Work. Sie erinnern sich:  Arbeit, die du wirklich, wirklich willst. Die eigenen Qualifikationen optimiert man als Mitarbeiter schon aus eigenem Interesse.

New Work in Pflegebranchen

Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende

Die in ihren strengen Strukturen erstarrte Erwerbsarbeit der 1970er Jahre, welche Frithjof Bergmann mit einer leichten Erkältung verglich, die man noch bis Freitag aushalte, sollte zum Wohle der Mitarbeiter, aber auch des Unternehmens der Vergangenheit angehören.

Motivierte Mitarbeiter an 7 Tagen die Woche

Produktivität und Wachstum, jene Schlagworte der Industrialisierung, sind noch immer aktuell. Allerdings werden sie heute mit Motivation und Identifikation in direkten kausalen Zusammenhang gesetzt.

Moderne Unternehmen und Organisationen bauen auf Mitarbeiter, die nicht gezwungenermaßen, sondern gerne zur Arbeit erscheinen. Weil sich ihr Arbeitsumfeld stetig verbessert und die Teamarbeit gefördert wird. Weil sie sich nicht als kleine Rädchen in Getrieben, sondern als mitspracheberechtigten Teil der Unternehmensgemeinschaft empfinden. Und weil ihnen mehr Einfluss auf ihre Tätigkeit sowie Zeit für Familie und Hobbys gewährt wird.

Die Politik und New Work

Zur Zeit der geistigen Geburt von New Work in den 1970ern sah die Arbeitswelt noch ganz anders aus. Doch auch heute, da einzelne Unternehmen aus freien Stücken die 4-Tage-Woche einführen oder Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen, tut sich die Politik schwer damit, die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für bessere New Work zu schaffen. Zum Thema (Neue) Arbeit äußern sich nahezu alle deutschen Volksparteien gleichermaßen reserviert.

So propagiert die CDU einen Rechtsanspruch auf Teilzeit, die SPD möchte diesen für Home Office verankern. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versucht, mit seinem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ Stellenabbau zu vermeiden und die Kurzarbeit in Kombination mit Weiterqualifizierungen zu fördern – ein ähnlicher, wenn auch nicht so weit gefasster Ansatz wie in den 1970ern  bei General Motors in Flint.

Die Grünen stellen in Aussicht, nach der Elternzeit früher als bisher wieder in den Beruf zurückzukehren zu können, und die Linke hat immerhin das Thema Crowdworking (freiberufliche Auftragsarbeit, z.B. Texterstellung) für sich entdeckt und möchte Selbstständige sozialrechtlich absichern. So oder so: Die Fokussierung auf Home Office allein genügt nicht.

Volksparteien tun sich schwer mit New Work

Pro und contra: Home Office

Mehr Lebensfreude durch angewandte New Work

Apropos Home Office. Einer der wenigen Kritikpunkte an New Work bezieht sich auf den fließenden Übergang zwischen Berufs- und Privatleben. Da eine klare Abgrenzung fehle, häuften Mitarbeiter im Home Office viele Überstunden an, für die sie überdies nicht entlohnt würden. Andere Kritiker argumentieren, Unternehmen seien nicht dem Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter, sondern dem ihrer Kunden verpflichtet. Glückliche Mitarbeiter rechtfertigten keine möglichen Auftragsverluste.

Nun liegt es New Workern fern, ihrem Unternehmen Umsatzeinbußen zu bescheren, schließlich verstehen sie sich als Teil desselben. Und es obliegt jedem Unternehmen, die Regeln der New Work zu umreißen. Home Office beispielsweise ist nicht per se an eine Rufbereitschaft rund um die Uhr gekoppelt. Umgekehrt greifen Mitarbeiter aber gerne auch mal im heimischen Büro zum Hörer, wenn nach dem beruflichen Telefonat im Garten die Wasserschlacht mit dem Nachwuchs wartet.

Ja, Arbeit darf nämlich durchaus Spaß machen. Auch wenn Frithjof Bergmann dieses Wort im Zusammenhang mit New Work so gar nicht gefällt.

 


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