Das Schweizer Modell

Es ist Krieg. In Europa. Nicht im Nahen oder Fernen Osten. Kein Bürgerkrieg in Afrika. Kein Konflikt mit separatistischen Bewegungen. Ein echter Angriffskrieg. Bei unseren Nachbarn.

Gibt es Neutralität in einem kontinentalen Krieg?

Vor einiger Zeit habe ich mich mit der Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Und mich gefragt, wie sich der gemeine Schweizer wohl gefühlt haben mag in seinem Kokon der „Neutralität“, während ringsum ganze Länder okkupiert wurden und Millionen von Menschen ihre Existenz und ihr Leben verloren.

Sicherlich hätte die Schweiz bei einer militärischen Auseinandersetzung nicht einmal einen nennenswerten Stolperstein für das deutsche Heer dargestellt. Auch ist es niemandem zu verdenken, wenn er im Krieg zunächst ans eigene Überleben denkt. Und doch muss es sich beschämend anfühlen, – auch heute noch -, nicht einmal einen Versuch unternommen zu haben, den europäischen Nachbarn zu Hilfe geeilt zu sein.

Das Geschäft mit dem Krieg

Die Schweiz steht heute auch deshalb wirtschaftlich so gut da, weil sie sich eben nicht bloß rausgehalten hatte aus jenem Krieg, der als der grausamste in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Man hatte mit dem Dritten Reich kooperiert, viel Geld und geraubte Kunstschätze eingelagert. Niemand weiß genau, welche Reichtümer einst angehäuft und nach dem Krieg ausbezahlt wurden – und welche noch immer verwahrt werden.

Nein, neutral war die Schweiz nie. Sie hat sich sogar am Krieg gesundgestoßen und vom Elend und dem Tod anderer Völker profitiert. Natürlich nicht jeder Schweizer persönlich. Eine echte Aufarbeitung der Schande fand allerdings auch nie statt. Welcher Millionenerbe hinterfragt schon, woher der hinterlassene Reichtum stammt? Besser Augen zu und durch. Oder, besser noch: Augen in die Zukunft richten.

Nachkriegszeit

Dort nämlich wurde die Schweiz zu einer Oase derjenigen Menschen, die Gelder vor dem heimischen Fiskus oder der legalen Welt zu verstecken suchten. Und so taten die Schweizer Banken, was sie offenbar besonders gut können: Illegal erworbene Reichtümer anonym verwalten. Keine Spur von Reue, keine Spur von Einsicht.

Derzeit steht Europa und mit ihm Deutschland als einer der führenden Staaten im Kreuzfeuer der Kritik. Vielen Menschen geht das Verurteilen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine nicht weit genug. Verständlich, denn unser Bauchgefühl sagt uns, dass einem Despoten hier Einhalt geboten werden müsste.

Taktik ist gefragt

Wir möchten uns nicht wie Schweizer fühlen. Unseren Wohlstand genießen und einfach wegschauen. Dieser Impuls ist ebenso richtig wie das Taktieren der Bundesregierung. Das hat auch nichts mit der Stärke oder Schwäche von Kanzler Olaf Scholz zu tun. Auch eine Kanzlerin Merkel würde vermutlich keine scharfen Sanktionen vorschlagen und müsste ohnmächtig zusehen, wie die Ukraine von russischen Truppen eingenommen wird.

So bitter es klingt: Ohne eine gemeinsame Strategie im Zusammenschluss mit anderen Staaten ist eine Sanktionierung aus vielen Gründen nicht möglich. Das Abschneiden Russlands vom SWIFT-Zahlungsverkehr beispielsweise würde nicht nur den russischen Machtapparat, sondern auch viele Menschen und Organisationen treffen, die keine Zuwendungen aus dem Ausland mehr erhalten könnten.

Guter Rat ist teuer. Frieden auch.

Es rächt sich, dass Deutschland sich bei der Energieversorgung von Russland teilweise abhängig gemacht und das Vorantreiben alternativer Energien vernachlässigt hat. Ohne eigene, natürliche Ressourcen ist eine Abhängigkeit nicht zu vermeiden, egal, ob zu Russland, Norwegen oder China. Außenpolitik ist also auch immer mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft.

Die noch junge deutsche Ampelkoalition sieht sich vielen Problemen ausgesetzt. Und noch ist nicht abzusehen, wo deren Lösung liegen könnte. Eines aber ist klar: Einfach wird sie nicht sein. Es wird keinen Gegenangriff und keine Absetzung der Regierung Putin geben. Sondern Verhandlungen, Zugeständnisse, faule Kompromisse.

Das ist unschön und wird sich wie eine Niederlage anfühlen. Vielleicht werden wir unseren ukrainischen Nachbarn nie wieder in die Augen sehen können, weil wir uns mitschuldig fühlen an ihrem erlebten Leid. Vielleicht aber werden wir wie einst die Schweiz dieses blöde Gefühl abschütteln – und im Zuge der anstehenden Corona-Lockerungen wieder zum Feiern nach Ibiza fliegen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert