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Der Rocket Män (Kinderbuch)

 

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Im Rahmen meiner Schulprojekte (siehe Menüpunkt Linoldruck-Workshops) lese ich regelmäßig aus meinen Kinderbüchern vor.

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*Kalif Storch

In Bagdad lebte einst ein Kalif namens Chasid. Er wohnte im Schloss seines Sultans und genoss den Luxus, den man ihm bot. Obwohl er nur wenig hochmütig geworden war und sich nur mit standesgemäßen Menschen anfreundete, so konnte er doch auch sehr aufmerksam sein und er sorgte gut für diese wenigen Freunde.

An einem heißen Tag lag er auf seinem Diwan, ließ sich von einem Diener Kaffee einschenken und rauchte dazu aus einer Pfeife aus feinstem Holz. Da trat sein Großwesir Mansor ein, der ihn jeden Nachmittag besuchte, um ein wenig zu plaudern. Da die Beiden Freunde geworden waren, begrüßten sie sich auf Männerart mit einer angedeuteten Umarmung und kräftigem Schulterklopfen.

Dann fragte der Kalif: „Ist dir nicht wohl, Mansor? Du siehst so sorgenvoll aus.“

Der Großwesir winkte ab. „Doch, doch. Mir geht es gut, Herr.“

„Aber du hast doch was“, beharrte Chasid.

„Nun ja“, verlegen zupfte Mansor an seinem Kaftan. Er wollte noch etwas sagen, schien es aber lieber nicht aussprechen zu wollen.

„Jaaa?“, fragte der Kalif ungeduldig.

„Es ist so“, Mansor blickte zu Boden, „draußen am Schlosstor steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen.“

Wieder entstand eine Pause.

„Und das ist alles? Draußen steht ein Krämer? Mit schönen Sachen?“ Der Kalif kratzte sich am Kopf. „Und jetzt?“

„Nun, Herr“, sagte Mansor, der Großwesir, „ich bin bloß etwas traurig, weil ich kein Geld übrig habe, um ihm etwas abkaufen zu können. Nicht so wichtig.“

Chasid sah den Großwesir aufmerksam an.

„Du bist traurig, weil du dir die Waren des Krämers nicht leisten kannst. Meinem Freund geht es nicht gut, und das soll nicht wichtig sein?“

Er ließ seinen Diener rufen und schickte ihn hinunter zum Tor mit dem Auftrag, den Krämer zu sich zu führen. Dieser war ein kleiner, dicker Mann mit einem mächtigen Schnurrbart. Alles an ihm wirkte ärmlich und er trug einen zerlumpten Kaftan. Doch in dem Kasten, den er mit sich führte, fanden sich wunderschöne Dinge, Schmuck und Stoffe und Gürtel mit versilberten Schnallen. Chasid der Kalif zögerte nicht lange. Er kaufte Gürtel für Mansor und sich selbst, dazu einen wunderschönen, handgeschnitzten Kamm für die Frau seines Großwesirs. Dieser freute sich sehr über die Großzügigkeit seines Freundes und er bedankte sich vielmals bei ihm.

Der Krämer verbeugte sich vor dem Kalifen und wandte sich zum Gehen. Da fiel eine Dose aus seinem Kasten und rollte bis vor die Füße Chasids. Er hob sie auf und betrachtete sie. Rätselhafte Zeichen waren darauf und eine sonderbare Inschrift.

„Was ist in dieser Dose?“, fragte er den Krämer.

„Offen gesagt, weiß ich das selbst nicht“, gab dieser zu. „Ein weiser Mann tauschte die Dose einst gegen eine Bartschere ein. Ich vermute, es ist ein Heilmittel. Aber sicher bin ich mir nicht.“

„Was soll sie kosten?“

„O nein, Herr. Sie ist nicht zu verkaufen“, der Krämer rang die Hände. „Ich kann euch doch nicht etwas verkaufen, von dem ich nicht weiß, was es bewirkt.“

„Das lass meine Sorge sein“, erwiderte der Kalif und gab ihm ein Goldstück für die Dose.

Nachdem der Krämer gegangen war, untersuchten Chasid und Mansor deren Inhalt. Ein schwarzes Pulver war darin, welches ohne Geruch und Geschmack war.

„Zum Würzen unserer Speisen taugt es schon mal nicht“, stellte Chasid fest.

„Seid vorsichtig damit, Herr.“ Der Großwesir war besorgt. „Wer weiß, welche Wirkung das Pulver entfaltet.“

„Das werden wir herausfinden.“ Chasid rief erneut nach seinem Diener. „Lauf zur großen Moschee“, trug er ihm auf, „und bitte Selim den Gelehrten ins Schloss. Wenn uns ein Mensch auf dieser Welt diese Schrift übersetzen kann, dann ist er es. Schon oft hat er dies mit den alten Manuskripten getan, die ich sammle.“

Bald war Selim geholt, ein würdevoller Mann mit einem langen, langen Bart und bedächtigen Bewegungen. Würdevoll verneigte er sich zum Gruße vor dem Kalifen.

„Selim“, sprach dieser und zog die geheimnisvolle Dose aus seinem Gewand, „du bist der größte Gelehrte von Bagdad. Kannst du mir sagen, was diese Schrift zu bedeuten hat?“

Selim nahm die Dose und betrachtete sie prüfend.

„Ja, Herr. Ich kann die Schriftzeichen entziffern. Es ist eine alte Sprache, die kaum noch gesprochen wird.“

„Das scheint mir auch so“, erwiderte Chasid ungehalten, „denn würde man sie sprechen, könntest du mir endlich sagen, was auf dieser Dose geschrieben steht.“

Der Gelehrte lächelte und sprach: „Mensch, der du in den Besitz dieses Schatzes gelangt bist: Preise Allah für seine Gnade.“

„Ein Schatz!“ rief Chasid aus und umarmte seinen Freund, den Großwesir.

Wer von dem Pulver aus dieser Dose schnupft, sich dreimal gen Osten neigt und dazu das Zauberwort mutabor spricht, verwandelt sich in jedes gewünschte Tier und versteht dessen Sprache. Doch hüte er sich zu lachen, sonst verstehe er sie auf immer.

„Das ist lustig“, rief der Kalif, „aber was ist mit dem Schatz?“

„Sonst steht hier nichts, Herr.“ Selim gab ihm die Dose zurück.

„Sonst nichts?“ Chasid war enttäuscht.

„Nein, Herr.“

„Es ist gut“, der Kalif gab dem Gelehrten Geld für ein neues Gewand, „du kannst gehen. Aber verrate niemandem etwas davon.“

„Jawohl, Herr.“

Als Selim gegangen war, rieb sich Chasid die Hände.

„Was für ein origineller Kauf, mein Freund. Es ist zwar nicht der ganz große Schatz geworden, aber wir beide werden schon morgen Mitglieder der Tierwelt sein und unsere gefiederten oder felligen Freunde belauschen können. Ich bin schon gespannt, was man sich so zu erzählen hat.“

So trafen Chasid und Mansor sich am nächsten Morgen nach dem Frühstück, um zu zweit ein wenig spazieren zu gehen. In den weitläufigen Gärten des Sultans hielten sie Ausschau nach einem Tier. Doch es war ein heißer Tag und es ließ sich nicht einmal eine Grille blicken.

„Dann lass uns an den Teich gehen“, schlug der Großwesir vor. „Dort gibt es Frösche und Störche.“

Chasid erklärte sich einverstanden. Am Teich angekommen, erblickten sie sogleich einen Storch, der auf und ab ging und nach einer Mittagsmahlzeit Ausschau hielt. Weiter oben am Himmel zog ein anderer Storch seine Kreise.

„Ich wette meinen Bart, dass diese beiden Störche ein nettes Gespräch führen werden“, sagte Mansor.

„Dann wollen wir eine Prise dieses Zauberpulvers schnupfen.“ Der Kalif nahm die Dose aus seinem Kaftan. „Doch zunächst noch einmal proben. Wie war das noch…? Schnupfen… dreimal gen Osten neigen…“

„…und mumamo  sagen“, ergänzte sein Freund, der Wesir.

„Mumamo? Nein, das war es nicht.“

„Mupalo?“

„Ich weiß!“ rief Chasid und senkte die Stimme. „Das Zauberwort heißt mutabor.“

Mutabor„, wiederholte der Großwesir andächtig.

„Aber nicht lachen!“

Beide Männer schnupften von dem Pulver, verbeugten sich und riefen wie aus einem Munde: „MUTABOR!“

Im selben Moment verwandelten sich ihre Arme in Flügel, Gefieder schoss aus allen Poren, ihr Hals zog sich in die Länge und ihr Körper schrumpfte,  und als sie einander ansahen, stießen sie mit ihren Schnäbeln aneinander.

„Einen hübschen Schnabel hast du, werter Großwesir“, sprach Chasid und betrachtete seinen Freund erstaunt.

„Besten Dank“, erwiderte Mansor und verneigte sich würdevoll, „doch mein Schnabel ist nichts gegen euer Federkleid. Ich bin geneigt zu behaupten, dass Ihr als Storch noch attraktiver seid denn als Kalif.“ Beide lachten herzlich.

„Komm mit“, sagte Chasid, „wir wollen unsere gefiederten Freunde begrüßen.“

Sie näherten sich dem ersten Storch, in dessen Nähe soeben der zweite landete. Der Kalif und sein Großwesir staunten nicht schlecht, als sie deren Stimmen vernahmen:

„Guten Morgen, Frau Langbein! So früh schon auf der Wiese?“

„Guten Morgen, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines Frühstück geholt. Darf ich Euch vielleicht ein Stückchen Eidechsenschwanz oder einen Froschschenkel anbieten?“

„Ich danke Euch, habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Denn ich soll heute vor den Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich mich im Stillen ein wenig üben.“

Dabei schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch das Feld. Das brachte Chasid und Mansor derart zum Lachen, dass sie nur so mit den Schnäbeln klapperten. Die beiden weiblichen Störche hoben sich empört in die Lüfte und flogen davon.

„Was für ein Spaß!“ rief der Kalif und schüttelte sich vor Vergnügen. Ihm fiel gar nicht auf, dass sein Wesir ganz still geworden war.

„Herr“, sprach er schließlich, „erinnert Ihr euch an den Spruch auf der Dose?“

„Aber natürlich! Mensch, der du in den Besitz dieses Schatzes gelangt bist: Preise Allah für seine Gnade.“

„Nicht das“, sagte Mansor ungeduldig. „Doch hüte er sich zu lachen, sonst verstehe er die Sprache der Tiere auf immer. Auf immer, versteht ihr?“

Nun begriff auch der Kalif. „Du meinst, wir müssen Störche bleiben – weil wir gelacht haben?“

Mansor nickte, wobei sein Schnabel auf und ab schwenkte.

„Das wäre ein schlechter Spaß“, sagte Chasid. „Lass uns schnell wieder zu Menschen werden.“

Sie verneigten sich dreimal Richtung Osten, doch das Zauberwort wollte ihnen nicht wieder einfallen.

„Mu – mu – mu“, setzte Chasid an.

„Mullalah?“, versuchte es sein Großwesir.

„Mu – wuwu?“

„Mulukaddado?“

Vergebens. Das richtige Zauberwort wollte ihnen nicht mehr einfallen.

„Musubusu?“

„Nein, das war es nicht.“

„Beeil dich mit dem Denken, Mansor. Wir müssen diese Federn wieder loswerden!“

„Mufiffi?“

„Na klar, Mufiffi!“ rief Chasid höhnisch, „warum bloß sind wir nicht gleich darauf gekommen? – Dein Gedächtnis ist ja noch schlechter als das meinige!“

„Das würde ich so nicht sagen, Herr. Immerhin erinnert Ihr euch ja auch nicht an das Wort.“

„Ich weiß es!“ Chasid breitete die Flügel aus und rief: „Musababba!“

Nichts passierte, außer dass Lachen zu hören war. Die beiden Freunde drehten sich um und sahen die beiden weiblichen Störche in der Nähe stehen.

„Musubusu!“ rief der erste Storch und kicherte.

„Mulukaddado?“der zweite Storch.

„Was gibt es da zu lachen?“ Chasid war wütend. „Hört auf damit oder ich lasse euch braten! Ich bin der Kalif dieser Stadt!“

„Du bist vor allem lustig.“ Die beiden weiblichen Störche flogen wieder davon. Man hörte sie noch von Weitem lachen.

„Was sollen wir bloß tun?“ jammerte Mansor, der Großwesir. Er dachte an seine Frau und seine Kinder, die zu Hause auf ihn warteten. Er konnte ihnen doch nie und nimmer als Storch entgegentreten. Und sie würden ihn nicht mehr erkennen und nicht verstehen. Denn er sprach ja keine menschliche Sprache mehr.

Tagelang irrten die beiden Freunde, die nun Störche waren, durch die Felder und entlang der kleinen Teiche, um sich etwas zu essen zu besorgen und über ihre missliche Lage nachzudenken. Doch fiel ihnen weder das Zauberwort noch eine andere Lösung ein.

Erst nach einer Woche beschlossen sie, nach Bagdad zu fliegen, um ihre Angehörigen wenigstens aus der Ferne einen Besuch abzustatten. Doch wie sie auf einem der Dächer des Palastes landeten, sahen sie unten in der Straße einen prächtigen Umzug. Trommeln und Pfeifen ertönten, und ein Mann ritt unter ihnen vorbei, gehüllt in einen goldbestickten, scharlachroten Mantel.

„Heil Mizra“, rief das Volk, welches links und rechts der Straße stand, „Heil Mizra, dem neuen Kalifen von Bagdad!“

Chasid sah Mansor an. „Mein Freund, ich bin nicht nur verzaubert – ich bin auch verflucht. Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des Zauberers Kaschnur.“

„Ihr habt nie von ihm erzählt“, sagte der Großwesir.

„Kaschnur hat mich einst betrogen. Daher ließ ich ihn in Ketten legen. Doch er schwor mir, dass er fliehen und Rache nehmen werde. Wie es ausschaut, hat er seinen Plan in die Tat umgesetzt.“

Ratlos flogen die beiden Störche weiter. Es schien keine Hoffnung für sie zu geben. Ihr Volk jubelte bereits einem anderen Kalifen zu, und auch ihre Liebsten würden sie mit der Zeit vergessen. Es war zum Verzweifeln.

Nach einigen Tagen des ziellosen Fliegens und Rastens und Nachdenkens und Verzweifelns erblickten sie unter sich eine Ruine, und sie beschlossen, dort die Nacht zu verbringen. Offenbar war dies einstmals ein Schloss gewesen. Wundervolle Säulen zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses, das in Teilen noch erhalten war. Der Kalif und sein Begleiter gingen staunend durch die Gänge und sahen sich um. Plötzlich glaubten sie ein leises Scharren zu hören, und Chasid, der ein tapferes Herz besaß, stieß mit dem Schnabel die Tür zu einem verfallenen Gemach auf.

Mitten im Raum saß eine Nachteule am Boden und schnitzte mit dem Schnabel Muster in eine hölzerne Platte. Unsicher und verlegen lachte sie, als sie die beiden Freunde erblickte.

„Willkommen, ihr Störche!“ rief sie. „Wie lange habe ich auf euch gewartet.“

„Gewartet?“, fragte Mansor zweifelnd.

„So ist es. Gewartet. Mir ist prophezeit worden, dass mir mit dem Eintreffen der Störche ein großes Glück widerfahren wird. Und da seid ihr.“

„Das muss ein Missverständnis sein“, sagte Chasid. „So sehr ich mich geehrt fühle – wir können in unserer Lage wohl kaum das Glück eines Anderen sein. Du wirst unsere Hilflosigkeit erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.“

Die Nachteule lauschte aufmerksam der Erzählungen Chasids und Mansors. Die beiden Freunde erwarteten Erstaunen und Mitleid angesichts ihrer misslichen Lage. Doch die Eule verdrehte bloß die Augen, seufzte und sagte: „Ihr seid nicht alleine mit eurem Zauber. Hört euch auch meine Geschichte an, dann werdet ihr sehen, dass uns mehr verbindet als das Federkleid.“

„So sprich“, klapperte der Kalif Storch und trat von einem Bein aufs andere.

„Mein Name ist Lusa. Ich bin die Tochter des Königs von Indien. Der Zauberer Kaschnur, der euch vermutlich verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. Er kam eines Tages zu meinem Vater und bat um meine Hand für seinen Sohn Mizra. Mein Vater verweigerte ihm diesen Wunsch, lud ihn aber dennoch ein, unser Gast für diese Nacht zu sein. Kaschnur blieb. Er verkleidete sich als Diener und fragte mich alle paar Minuten, ob ich bei der herrschenden Hitze nicht durstig sei. Schließlich ließ ich mir einen erfrischenden Trank von ihm reichen, der mich in diese abscheuliche Gestalt verwandelte.“

„Ich finde, du siehst nicht abscheulich, sondern sehr hübsch aus“, entfuhr es dem Kalif Storch, der sich erschrocken mit dem Flügel den Schnabel zuhielt.

„Ich war vor Schreck wie gelähmt“, sprach die Eule weiter, ohne darauf einzugehen, „hatte ich doch Flügel statt meiner Hände und Krallen statt meiner hübschen Fingernägel. So konnte der Zauberer mich mühelos fangen und hierher bringen. Mit schrecklicher Stimme schrie er: ‚Da sollst du bleiben, hässlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis ein Mensch aus freiem Willen dich, selbst in dieser Gestalt, zur Frau nehmen möchte. So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.‘ Ist das nicht schrecklich?“

„Ja, das ist es“, pflichtete der Großwesir Storch bei. „Für immer als Eule leben, das ist schrecklich.“

„Ach das“, Lusa schüttelte den Kopf und betrachtete ihre Krallen. „An das Eulensein gewöhnt man sich. Es gibt hier viele Mäuse und mit der Zeit schmecken sie richtig gut.“

„Aber… Ihr sagtet, es sei schrecklich?“, fragte Mansor.

„Ja, schrecklich. Ich meinte meine Fingernägel. Mir fehlt meine Maniküre sehr.“

Der Großwesir und der Kalif wechselten einen Blick miteinander und hatten Schwierigkeiten, wieder zum Ausgangspunkt ihres Gespräches zurückzukehren.

„So sind wir drei also vom selben Zauberer verflucht, bis ans Ende unserer Tage als Federvieh umherzulaufen“, stellte Chasid fest.

„Und fliegen“, ergänzte Mansor, der für diese Bemerkung einen scharfen Blick seines Freundes erntete.

„Nun“, vernahmen die Beiden da die Stimme der Eule, „ich wüsste da eine Möglichkeit, uns alle zu retten.“

„Uns alle?“, fragte der Kalif. „Du meinst, es gibt eine Rettung für Mansor und mich?“

„Und mich selbst.“ Lusa streckte sich und hob verärgert die Flügel. „Sonst hätte ich ja gesagt, dass ich eine Möglichkeit weiß, EUCH zu retten.“

„Und wie sieht diese Möglichkeit aus?“, wollte Chasid wissen.

„Ich weiß, wo sich Mizra mit seinen Zaubererfreunden zu treffen pflegt. Es ist nicht weit von hier, ich habe den Ort zufällig vor einem Jahr entdeckt. Jeden Monat kommen die Zauberer dort zusammen, um sich auszutauschen. Heute Nacht ist es wieder so weit.“

„Und worin siehst du hier eine Möglichkeit zu unser aller Rettung?“

Die Eule trat näher und meinte dann in einem frechen Ton, als spräche sie zu einem kleinen Kind: „Wäre es vielleicht möglich, dass Kaschnur der Gesellschaft eure Geschichte erzählt und dabei auch das Zauberwort nennt, welches euch wieder in Menschen verwandelt?“

Die Augen des Kalifen leuchteten. „Beim Laich der Kröte, äh, beim Barte des Propheten, du hast Recht. Vielleicht befreit Kaschnur selbst uns von diesem gefiederten Fluch. Sag, Lusa, wo ist dieser Ort, an welchem sich die Zauberer versammeln?“

„Gerne will ich euch hinführen“, die Prinzessin von Indien drehte den Eulenkopf einmal komplett nach hinten und wieder nach vorne, als fürchte sie, belauscht zu werden. „Doch muss ich diese Gefälligkeit an eine Bedingung knüpfen.“

„Jede, die du willst!“ rief Chasid, besann sich dann aber und meinte kleinlaut: „Und was wäre das für eine Bedingung?“

„Das liegt doch auf der Hand“, sagte Mansor. „Ihr müsst sie heiraten!“

Du musst ist ein ganz schlechter Satzanfang“, der Kalif Storch schüttelte sich. „Und wen meinst du? Doch nicht etwa die Eule?“

„Aber ja doch!“ Der Großwesir klapperte mit dem Schnabel. „Lusa sagte doch bereits, dass sie nur dann wieder Menschengestalt annehmen kann, wenn jemand sie als Eule heiraten möchte.“

Chasid schaute über die Schulter hinüber zu Lusa.

„Warum will sie überhaupt wieder zu einem Menschen werden?“, fragte er. „Ich finde, das Eulengefieder steht ihr gut. Und überhaupt, wieso soll ausgerechnet ICH sie heiraten? DU bist mein Großwesir. Ich befehle dir, sie zu heiraten.“

„Aber Herr, das geht doch nicht. Ich bin bereits verheiratet.“

„Was soll’s“, sagte der Kalif. „Dann hast du halt eine zweite Frau. Meinen Segen hast du.“

„Aber nein, Herr“, der Wesir klang kläglich, „das geht wirklich nicht. Meine Frau… die Kinder… ich kann nicht, bitte seht es ein.“

„Aber ich, meinst du? Ich, Chasid, Kalif von Bagdad, soll eine staubige Eule heiraten?“

„Kalif Storch“, sprach Lusa, „du bist dir wohl bewusst, dass ich jedes deiner Worte hören kann?“

„Sei’s drum“, sagte Chasid. „So, wie ich das sehe, kannst du froh sein, wenn dich irgendwer heiratet.“

„O nein“, die Eule legte den Kopf schief. „So, wie es aussieht, seid IHR diejenigen, die froh wären, wenn sie ihre Menschengestalt wiedererlangten. Ich dagegen habe mich bereits an ein Leben mit Flügeln und Federn und das Verspeisen von Mäusen gewöhnt. Die sind übrigens nicht halal. Denkt einmal darüber nach-„

„Aber-„, setzte der Kalif an.

„-und überleg wohl, was du tun und was du sagen willst. Und wen du da gerade beleidigst. Es könnte nämlich nicht nur eine Prinzessin, sondern auch deine künftige Gemahlin sein.“

Der Kalif schluckte. „Also willst du mich heiraten?“, brachte er schließlich hervor.

„Ich habe wohl keine Wahl“, sagte die Prinzessin und seufzte. „Ich wünschte, es wäre anders. Aber ich muss wohl nehmen, was ich kriegen kann.“

„Moment mal“, protestierte Chasid, „ich bin der Kalif von Bagdad und ich sehe fabelhaft aus. Ich kann jede Frau in dieser Stadt heiraten.“

„Ich fürchte, du musst von dieser Idee Abstand nehmen“, Lusa lächelte ihr schönstes Eulenlächeln. „Selbst die tierliebsten Frauen Bagdads würden wohl kaum einen Storch heiraten. Vor allem keinen eitlen!“

„Eitel? Ich?“

„Ja.“ Die Eule sah dem Storch tief in die Augen. „Eitel. DU.“

Der Großwesir räusperte sich. „Herr, ich falle euch als Storchenbruder ungern in den Rücken, aber die Eule hat Recht. Ihr seid eitel und wir beide werden Federvieh bleiben, wenn Ihr sie nicht heiratet.“

„Na gut“, der Kalif winkte mit dem Flügel ab. „Dann heirate ich dich eben.“

„So nicht“, sagte die Eule.

„Wie, so nicht?“

„Etwas mehr Romantik, bitte“, Lusa legte wieder den Kopf schief, „und auf die Knie könntest du auch gehen.“

„Ich bitte euch. Wir Störche können nicht auf die Knie gehen. Das widerspricht unseren Beinen.“

„Dann leg dich halt auf den Bauch.“ Die Prinzessin klang trotzig. „Ist mir doch egal, ob man dir X-Beine verliehen hat.“

Also legte sich der Kalif ungeschickt auf den Bauch und sprach mit dem Schnabel im Staub: „Liebste Lusa, nimmst du mich zum Manne?“

„Bitte“, zischte Mansor.

„Bitte“, wiederholte Chasid.

„Na schön“, Lusa wedelte mit dem Flügel, „aber nur, wenn ich es mir noch überlegen kann. Schließlich weiß ich noch gar nicht, wie du als Mensch aussiehst. Deine charakterlichen Qualitäten lassen jedenfalls zu wünschen übrig.“

„Aber du MUSST mich heiraten“, sagte der Kalif. „Sonst bleibst du auf immer eine Eule.“

„Nicht die schlechteste Alternative“, bemerkte die Prinzessin. „Aber der Fluch wird bereits aufgehoben, wenn MICH jemand heiraten will. Außerdem ist DU MUSST ein ganz schlechter Satzanfang.“

Chasid wollte etwas erwidern. Doch stattdessen klappte er bloß seinen Schnabel staunend auf und zu – und lächelte schließlich.

„Schön, Prinzessin Lusa“, meinte er schließlich und schenkte ihr einen langen Blick, „aber wie kommt es, dass du dich noch nicht zurückverwandelt hast? Immerhin habe ich dir die Ehe versprochen.“

„Aber Herr, habt ihr nicht aufgepasst?“, fragte Mansor ihn. „Sie verwandelt sich, wenn ein MENSCH sie heiraten möchte. Ihr seid ein Storch!“

„Ich verstehe.“ Der Kalif nickte. „Nun, Lusa, da wir uns einig sind, solltest du uns nun zu dem Treffpunkt der Zauberer führen.“

„Das ist einfach“, sprach da die Eule, „seht, da kommen sie schon.“

Unten im Tal tanzten Lichter umher. Sie kamen rasch näher und entpuppten sich als Kerzen, die auf den Turbanen der vielen Zauberer saßen, welche kurz darauf im Hof der Ruine eintrafen und durch ein halb verfallenes Portal ins Innere strömten.

„Sie treffen sich hier?“, klapperte der Kalif Storch.

„Aber ja“, sagte die Eule gelassen.

„Direkt unter uns!“ Chasid stöhnte. „Und für diese Info habe ich einer Eule die Ehe versprochen!“

Doch Mansor bemerkte, dass er dabei lächelte. Und die Eule tat dies auch.

„Also gut, meine gefiederten Freunde“, sagte der Kalif. „Lasst uns diese Zauberer belauschen!“

Sie schlichen durch die Gänge der Ruine und gelangten schließlich zu einem großen Raum, in dem eine Menge alter Sessel und Sofas standen. Auf ihnen ruhten wiederum eine Menge alter Zauberer und Hexen, deren Besen in der Ecke lehnten.

„Da!“ hauchte Chasid. „Der Mann auf dem roten Sofa… erkennst du ihn?“

„Beim Laich der – beim Barte des Propheten!“ Mansor klapperte leise mit dem Schnabel. „Das ist der Krämer, bei dem wir das Pulver gekauft haben!“

„Und der Mann daneben… das ist Kaschnur.“

„Euer Erzfeind? Dessen Sohn nun Kalif ist?“

„Ja, Mansor. Genau der. Lass uns hören, was die Beiden besprechen.“

Die Störche schlichen so nah an den Raum heran, wie sie konnten. Sie hatten Glück. Gerade hob Kaschnur zu reden an.

„Liebe Freunde, Zauberer, Magier, Hexen, Diebe und Trickbetrüger! Ich freue mich, euch heute so zahlreich begrüßen zu dürfen, um euch an meinem Triumph teilhaben zu lassen. Mein Sohn ist nun Kalif von Bagdad, und schon bald wird er den Sultan ablösen. Und nächstes Jahr schon gehört uns das ganze Land, wenn mein Plan aufgeht.“

„Wie lautet Euer Plan, Kaschnur? Und wie habt ihr erreicht, dass Euer Sohn Kalif wurde?“, fragten die Zauberer.

„Beides hängt miteinander zusammen.“ Kaschnur legte die Hand auf die Schulter des Krämers neben sich. „Dieser Dieb hier war mir dabei behilflich, den Kalifen in eine Falle zu locken und in ein Tier zu verwandeln. Und das wird er ohne das schwierige Zauberwort auch bleiben, welches er sich in seiner Überheblichkeit ganz sicher nicht merken konnte.“ Er lachte, und alle anderen im Raum lachten ebenfalls.

„Sag, was ist das für ein Wort, welches man so leicht vergisst?“, wollte einer wissen.

Mutabor„, sagte Kaschnur. „Und dieses Wort wird uns den Weg ebnen. Wir werden als nächstes den Sultan und danach alle in Tiere verwandeln, die sich uns entgegen stellen. Es wird bald nur noch Zauberer, Kamele, Frösche und Störche in diesem Land geben!“

Bei diesen Worten mussten alle Anwesenden so laut lachen, dass die beiden Störche und die Eule sich ohne Mühe entfernen konnten. Wieder im Freien, suchte der Kalif Storch in seinem Gefieder nach der Dose. Schnell schnupften er und sein Freund Mansor eine Prise, ehe sie sich dreimal verbeugten und „Mutabor!“ riefen.

Im selben Augenblick verwandelten sie sich wieder in ihre Menschengestalt. Überglücklich tastete Mansor nach seinen Haaren und zählte seine Finger ab. Chasid hingegen stand bloß da – und sah mit offenem Mund die wunderschöne Frau an, die sich wenige Meter entfernt den Staub aus den Kleidern klopfte. Sie warf ihm einen Blick zu.

„Offen gestanden, möchte ich mir das mit der Hochzeit noch überlegen. Du machst in Menschengestalt nicht gerade einen intelligenten Eindruck.“

„Chhhrr“, sagte der Kalif, der sich in eine scharfzüngige Eule verliebt hatte und nun seine Braut zum ersten Mal in Menschengestalt sah.

„Macht ja nichts.“ Lusa zuckte die Schultern und wandte sich zum Gehen. „Vielleicht kannst du ja dafür gut kochen. Was ist, wollen wir zurück nach Bagdad und dich wieder als Kalifen einsetzen lassen? Oder wollt ihr noch ein wenig Storch spielen?“

Da sie leider nicht das Zauberwort für die Hexenbesen kannten, mussten sie zu Fuß zum nächsten Dorf laufen und sich dort Kamele leihen. Der Kalif, sein Großwesir und die Prinzessin ritten die ganze Nacht durch, bis ihnen der Hintern weh tat und sie das Schloss des Sultans erreichten.

Schnell war die Intrige aufgedeckt und Mizra verhaftet. Auch sein ahnungsloser Vater Kaschnur und der falsche Krämer gingen den Wärtern des Sultans in die Fänge. Um der Todesstrafe zu entgehen, mussten sie selbst von dem Pulver aus der Dose schnupfen und sich – Mutabor! – in Störche verwandeln. Diese sperrte der Kalif in einen Käfig und verstreute das restliche Pulver in alle Winde.

Bald schon heirateten er und die schöne Prinzessin Lusa. Das war gar nicht so einfach, denn als Prinzessin von Indien war sie keine Muslima, sondern Hindu. Doch der Sultan selbst erklärte sie zu Mann und Frau, nahm ihnen aber das Versprechen ab, sich nie wegen ihrer Religion zu streiten. Daran hielten sie sich, und wenn sie beteten, – Lusa zu Shiva und Vishnu und Chasid zu Allah -, ging es laut zu in ihrem Wohnraum.

Oft besuchte der Großwesir Mansor die Beiden und sie lachten über ihre gemeinsamen Erlebnisse. Dann spielten sie mit ihm und ihren Kindern Storch und Eule, flatterten mit den Armen und riefen Mu-Mu-Mu. Oder Musubusu. Oder Mufiffi. Denn genauso hießen ihre drei Kinder – in Gedenken an ihre Zeit als Federvieh und das Glück, auf diese außergewöhnliche Weise zueinander gefunden zu haben.

* * *