Von Couchhelden und Sofapazifisten

In einem Zeitalter, in dem der Großteil der Menschheit via WhatsApp kommuniziert, sorgt ein Brief für nostalgische Gefühle. Dass ein offener Brief auch Unbehagen hervorzurufen vermag, liegt an diesen besonderen Zeiten, den Absendern, den Lesern und einer weltpolitischen Situation, in der es kein Richtig oder Falsch mehr zu geben scheint.

Die Publizistin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser, der Journalist Ranga Yogeshwar, der Musiker Reinhard Mey und andere Kulturschaffende haben sich also in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt mit dem Appell, keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine zu liefern.

The German Angst

Als Grund benennen die Unterzeichner ihre Angst vor der Ausweitung des Krieges auf Deutschland, dem dadurch entstehenden Bündnisfall der NATO-Mitgliedsstaaten – und infolgedessen einem Dritten Weltkrieg. Schließlich, so die Argumentation, begebe sich Deutschland mit der Lieferung schwerer Waffen auf dünnes Eis und riskiere, von Russland als Kriegspartei angesehen und attackiert zu werden.

Ein Szenario, das angesichts eines unberechenbar gewordenen russischen Staatspräsidenten gar nicht mal unwahrscheinlich ist. Die Menschen in Polen und anderen Anrainerstaaten der Ukraine müssen bereits fürchten, in den jenseits der Grenze tobenden Krieg integriert zu werden. Auch viele Deutsche haben Angst.

Die Deutschen und der Kriegskitsch

Und doch gefällt sich ein großer Teil unserer Mitbürger in der Rolle des Couchheldens. Verfolgt Abend für Abend die Nachrichten, empört sich, gibt Putin vorm Fernseher eins auf die Nase, fordert den sofortigen Abbruch sämtlicher wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland. Gas? Brauchen wir im Moment nicht, wir kochen mit Induktion. Und bei sommerlichen Temperaturen benötigen wir auch kein Gas für die Heizung.

Auch die Straßenkämpfe der ukrainischen Soldaten gegen die russische Armee werden zum heldenhaften Widerstand romantisiert. Man trägt blaugelbe T-Shirts, malt sich das Peace-Zeichen ins Gesicht – und bejubelt den Krieg und das Sterben in einem fernen Land. Ist ja für eine gute Sache.

Dass die meisten der Ukrainer gezwungenermaßen kämpfen und viele von ihnen lieber mit ihren Frauen und Kindern geflüchtet wären: Eine Lappalie. Schwamm drüber. Ihre Lieben kommen sicher bei netten Gastfamilien unter und finden irgendwann einen neuen Mann bzw. Vater. Der Patriotismus und die Verteidigung der Freiheit gehen vor.

Couchhelden 2.0

Moment mal.. woran erinnert das? Ach ja.. Corona. Da schauten viele Deutsche Abend für Abend Nachrichten und empfanden sich als Helden, weil sie ihre Kontakte mieden, die Couch nicht verließen und somit ihre Mitmenschen vor einer eventuellen Infektion schützten.

Dieselben Couchhelden gefallen sich nun in ihrer neuen Rolle als Groupies der ukrainischen Armee. Fanschal an, Vuvuzela raus, anfeuern. Und morgen den alten Schlafsack spenden. Das ist dann ein bisschen so, als sei man selbst mittendrin.

Buuuh!

Und die Verfasser dieses offenen Briefes? Die werden geschmäht. Als Sofapazifisten, die sich erdreisten, den Ukrainern Ratschläge über das richtige Verhalten im Kriegsfall zu erteilen. Weil sie, auch das sei erwähnt, der Meinung sind, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem anhaltenden Widerstand und der Forderung nach schweren Waffen das Leid seines Volkes verlängere.

Man kann das feige finden oder besorgt. In dieser Situation ist es unmöglich vorherzusagen, welche Tat oder Unterlassung zum Frieden oder zu einer Ausweitung dieses Krieges führen mag. Und dennoch gibt es glühende Verfechter dieser oder jener extremen Einstellung.

Die Welt braucht eindeutig mehr offene Briefe

Inzwischen existiert ein weiterer offener Brief. Auch er unterschrieben von  Politikern, Publizisten, Kabarettisten. In ihm wird Kanzler Scholz ausdrücklich zur Lieferung schwerer Waffen aufgefordert, um dem Putin-Regime Einhalt zu gebieten. Auch er verströmt Besorgnis, wenn auch die darin angedachte Lösung des Konflikts in eine ganz andere Richtung weist.

Olaf Scholz kann einem leid tun. Egal, was er unternimmt oder unterlässt: Es wird für einen Teil der intellektuellen Elite das Falsche sein. Und erst im Rückblick wird sich zeigen, wohin uns seine Entscheidung gebracht und welche Seite Recht behalten hat.

Eins jedenfalls ist klar: Auf Schriftsteller und Publizisten sollte der Kanzler bei seiner Entscheidungsfindung nicht hören.

Eine Antwort auf „Von Couchhelden und Sofapazifisten“

  1. Wenn man angegriffen wird, ist man im Recht. Zurückschlagen ist das einzig Richtige. Den Russen ist der Krieg anscheinend egal oder sie billigen ihn. Eigentlich würde man ihnen wünschen dass die Ukraine die Angreifer nicht nur zurückdrängt sondern auch russisches Terrain erobert. Auf jeden Fall sollten sich die deutschen Pazifisten mal fragen wie sie selbst handeln würden wenn die Russen hier einfallen.

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