Wie man es dreht und wendet: Von einem überstürzten Reagieren auf das EuGH-Urteil von 2019 kann jedenfalls nicht die Rede sein. Das politische Aussitzen hat seinerzeit lediglich einen Aufschub bei der Umsetzung von dessen Vorgaben gebracht.
Faustdick überraschen sollten das BAG-Urteil und dessen Schlussfolgerungen deshalb niemanden mehr, es sei denn, man hatte überhaupt nicht mehr mit einer Umsetzung gerechnet.
Reiz(wort)überflutung: Das „Stechuhr-Urteil“
So wie möglicherweise die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), die schon nach dem EuGH-Urteil 2019 kommentierte: „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert.“ – und die das BAG-Urteil drei Jahre später für „überstürzt“ hält. Unangenehm wäre hier das passende Adjektiv gewesen.
Die Stechuhr ist in der gegenwärtigen Debatte zum Reizwort geworden. Sogar das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wurde mit dem Wort „Stechuhr-Urteil“ belegt, obwohl das Wort nirgendwo in der gesamten Urteilsbegründung auftaucht. Das anachronistisch anmutende Bild einer Lochkarten-Stechuhr der Wirtschaftswunderjahre sollte ein in den Augen der Wortschöpfer aus der Zeit gefallenes Urteil symbolisieren – wie auch das BAG-Urteil, dem ironischerweise ja die Frage zugrunde lag, wer für die „Einführung einer elektronischen Zeiterfassung“ zuständig sei.
Schreckensvision Stechuhr: Kehrt das Grauen zurück?
Die „Rückkehr zur Stechuhr“ ist ohnehin die am häufigsten verwendete Schreckensvision der von den Urteilen 2019 wie auch 2022 überrumpelt wirkenden Fachleute. Aber unabhängig davon, ob EuGH und BAG bei ihrer Urteilsfindung jemals an Lochkarten-Uhren dachten: Ist die Einführung einer solchen Stechuhr denn wirklich realistisch?
Aber nein. Schließlich gibt es inzwischen zeitgemäße Praktiken zur Zeiterfassung. Wer noch immer die Schreckensvision Stechuhr aufrecht erhält, ist entweder ein technischer Nostalgiker – oder er hat sich aus anderen Gründen noch nicht in ausreichendem Maße mit modernen Alternativen befasst.
Wie erwähnt, schweben auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausdrücklich elektronische Methoden zur Zeiterfassung vor.
Keine Angst vor der Stechuhr!
Auf diesem Sektor existieren bereits zahlreiche Lösungen, die weit mehr bieten als das Stempeln von Arbeitszeiten. Mit Hilfe digitaler Zeiterfassung haben Mitarbeiter dank intelligenter Technologie auch ihre Überstunden, Pausen, Urlaubstage und vieles mehr im Blick.
Und zwar überall. Ob im Büro, mobil oder im Homeoffice, mit festgelegten oder Vertrauensarbeitszeiten. Ganz selbstverständlich und ohne Stechuhr, dramatischen Paukenschlag oder faustdicke Überraschungen.
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Habe ich das richtig verstanden? Die letzte Regierung hat das Urteil einfach ignoriert? Und das hatte keine Konsequenzen?