Keine Angst vorm EuGH

Für manche ist sie im Lauf der Jahre zum Freund geworden, andere fremdeln noch heute mit ihr: Die Vertrauensarbeitszeit. Seit 2019 sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) für Wirbel und die Wiedereinführung der generellen Arbeitszeiterfassung – wenn auch unter veränderten Vorzeichen.

Stein des Anstoßes: Der Europäische Gerichtshof definierte, dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet seien, eine Rechtsgrundlage zur generellen Arbeitszeiterfassung zu schaffen. So ist es beispielsweise in Deutschland nicht zwingend notwendig, geleistete Arbeitszeit zu erfassen. Lediglich Überstunden – also Zeit, die über die täglich übliche Arbeitszeit hinausgeht – müssen dokumentiert werden.

Wie weise ich Überstunden nach?

In der Urteilsbegründung des EuGH wurde die Frage aufgeworfen, wie man eigentlich Überstunden berechnen wolle, wenn die Arbeitszeit generell nicht erfasst oder definiert werde. Kurzum: Wer seine geleisteten Stunden nicht notiere, könne auch nicht nachweisen, dass er Überstunden geleistet hat. So weit, so schlüssig.

Vieles wurde nach dem so genannten „Stechuhr-Urteil“ geschrieben. Der nachfolgende Beitrag informiert Sie nochmals über den dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsstreit, den Ist- und Soll-Zustand der Vertrauensarbeitszeit sowie die Auswirkungen des Urteils für die EU-Staaten.

Das EuGH-Urteil im Jahr 2023: Ein Gespenst geht um

Zwei Punkte vorweg: Panik ist nicht angebracht. Es liegt zwar in der Natur juristischer Entscheidungen, dass diese je nach Standpunkt polarisiert, interpretiert und kommentiert werden. Ohne Meinungsverschiedenheiten käme es schließlich gar nicht erst zu den Streitigkeiten, welche ein richterliches Urteil erfordern. Bei aller Interpretationsfreiheit ist die von einigen empfundene Angst vor einer Reaktivierung der veralteten und im Keller verstaubenden Stechuhren jedoch unangebracht.

Das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Auch bedeutet das EuGH-Urteil keine generelle Abkehr von der Vertrauensarbeitszeit. Vielmehr offenbart es, wie unterschiedlich das ihr zugrunde liegende Konzept bislang aufgefasst wurde. Denn das Vertrauen  eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter, Aufgaben innerhalb seiner Arbeitszeit mit Elan und Sorgfalt nachzugehen, wird durch deren Dokumentation ja nicht diskreditiert. Und niemand wird dem Arbeitgeber später vorschreiben, diese Aufzeichnung einzusehen. Das Vertrauen bleibt also. Wenn es denn vorhanden war.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Solche und ähnliche Argumente von Kritikern begleiteten seinerzeit die Einführung der Vertrauensarbeitszeit und den Abschied von antiquierten Stechkartensystemen. Dabei erwies sich die Befürchtung mancher als unbegründet, die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten würden unterschritten, sobald sie nicht mehr dokumentiert werden. Im Gegenteil: Die Zahl der geleisteten Mehrarbeitsstunden stieg nach Abschaffung starrer Arbeitszeiten sogar an. Deutschlandweit lag sie im vergangenen Jahr laut Auskunft der Bundesregierung bei über 2 Milliarden Stunden.

Die Ursprünge

Ursprünglich hatte die Vertrauensarbeitszeit neben einer Senkung der Personalkosten zum Ziel, den Anforderungen einer modernen Welt Rechnung zu tragen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert. Die Flexibilität sollte erhöht, die Eigenverantwortung – und damit die Motivation – der Arbeitnehmer gesteigert werden.

Deren Arbeitgeber schenkten ihnen das Vertrauen, ihre vertraglich vereinbarten Arbeits- und Ruhezeiten auch ohne kontrollierende Instanzen einzuhalten und sich im Rahmen dieser Vorgaben selbst zu organisieren. Mehrarbeit sollte nicht mehr für Extra-Urlaubstage angehäuft, sondern in kleinem Umfang mit einem Zeitausgleich kompensiert werden.

In Deutschland musste bislang denn auch nur die Arbeitszeit dokumentiert werden, welche über die Regelarbeitszeit von 8 Stunden täglich hinaus geleistet wurde. Diese Praxis ist laut des Urteils des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) jedoch unwirksam. Wie, so die Ausgangsfrage des Urteils, soll man Mehrarbeit erfassen, wenn weder die reguläre Arbeitszeit von maximal 48 Stunden pro Woche noch Ruhezeiten von täglich mindestens 11 Stunden dokumentiert werden? Es sei daher erforderlich, Arbeitszeiten innerhalb der EU künftig exakt zu erfassen.

Er war’s! Sie war’s!

Grundlage des Urteils war ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einer spanischen Tochterniederlassung der Deutschen Bank.

Der Arbeitnehmer berief sich auf die EU-Richtlinie 2003/88 EG, welche nicht nur unter anderem Ruhe- und Pausenzeiten, sondern auch die Einhaltung der damit verbundenen Schutzvorschriften regelt. Ursprünglich vor der Audiencia Nacional verhandelt (dem Nationalen Spanischen Gerichtshof), wurde die Streitsache von dieser schließlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Gegen die Selbstausbeutung

In dessen Urteilsbegründung taucht nirgendwo das Wort „Stechuhr“ auf. Es wird auch kein anderes Instrument zur Arbeitszeiterfassung benannt. Das liegt daran, dass das EuGH solche Vorgaben überhaupt nicht machen wollte. Beim Urteil ging es lediglich um die Frage, wie der Arbeitgeber eigentlich dafür sorgen könne, den Mitarbeiter vor Überlastung und Selbstausbeutung zu schützen, wenn er ihm keine Möglichkeit eröffne, seine Arbeitszeit zu dokumentieren und sein Stundenkonto im Auge zu behalten.

Noch hat das Urteil keine konkreten Auswirkungen für Unternehmen. Denn der Europäische Gerichtshof stellt es jedem EU-Staat frei, wie er dieses national umsetzt. Unabhängig davon sei die Einhaltung und Dokumentation von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten jedoch ein Grundrecht von Arbeitnehmern innerhalb der EU, welches es zu wahren gilt.

Aha. Und wie sieht das in der Praxis aus?

Für die EU-Mitgliedsstaaten bedeutet dies nicht nur, nationale Gesetzesentwürfe für die Erfassung von Arbeitszeiten diverser Branchen vorzulegen, sondern auch Ausnahmeregelungen (z.B. für Kleinstbetriebe) zu schaffen und Berufe zu berücksichtigen, deren Arbeitszeit generell schwer zu dokumentieren ist. Auch Home-Office wird besondere Berücksichtigung finden.

Jeder Arbeitsschritt wird zeitlich erfasst

Selbst für die mit künftigen Gesetzesvorlagen konfrontierten Politiker beginnt der Arbeitstag bereits vorm Frühstück mit E-Mails und der Lektüre diverser Tageszeitungen. Journalisten sind zu jeder Zeit auf der Suche nach Stories, und vielen kreativen Freiberuflern, Beratern oder Dozenten sind geregelte Arbeitszeiten ohnehin fremd. Dem EuGH-Urteil zufolge müsste künftig jede Recherche, jedes Telefonat und das Checken von beruflichen E-Mails im Zug zeitlich erfasst werden.

Was sagt die Politik dazu?

Apropos Politiker. Die deutsche Regierungskoalition zeigte sich schon damals in ihrer Meinung über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gespalten.

Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine umfassende Arbeitszeiterfassung als notwendig begrüßte, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern, wollte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zunächst noch ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um die Frage nach einem konkreten Umsetzungsbedarf zu klären. Je nach Ergebnis des Rechtsgutachtens sollte ein Vorlageverfahren angestrengt werden. Das Ergebnis des Gutachtens liegt leider noch immer nicht vor.

Ja oder Nein

Übrigens ist die Arbeitszeiterfassung in vielen Branchen längst üblich. So würden beispielsweise Krankenhäuser oder Rettungsdienste ohne eine exakte Regelung der Dienstzeiten nicht funktionieren. Ferner bestehen umfängliche Aufzeichnungspflichten im Gaststätten- und Hotel-, Bau-, Speditions- und Transportgewerbe sowie in vom gesetzlichen Mindestlohn betroffenen Betrieben.

Darüber hinaus können nach derzeitiger Rechtslage deutsche Aufsichtsbehörden auch ohne EuGH-Beschlüsse bereits eine so genannte „Total-Aufzeichnung“ in Betrieben anordnen, welche die arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen nicht oder nur unzureichend einhalten.

Die Rückkehr der Stechuhr?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) äußert Kritik an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes. „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, heißt es in einer Stellungnahme. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Vereinzelt macht gar der Begriff „Rückfall in die Steinzeit“ die Runde.

Das Ende der Flatrate

Dem gegenüber begrüßt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das EuGH-Urteil als Grundlage für eine faire Dokumentation auch jener Tätigkeiten, welche bislang nebenbei in der Freizeit erledigt und somit nicht als Arbeitszeit bewusst wahrgenommen wurden. So werde der „Flatrate-Arbeit“ ein Riegel vorgeschoben, wie Annelie Buntenbach, Mitglied im Bundesvorstand des DGB, betonte: „Statt mit der Stechuhr könnte man heutzutage schließlich per Smartphone und App die Arbeitszeit dokumentieren.“

Wie machen das andere Länder mit der Zeiterfassung?

Werfen wir doch mal einen Blick hinüber zu unseren EU-Nachbarn. In Italien oder Österreich ist eine generelle Arbeitszeiterfassung verpflichtend. Der französische Gesetzgeber schreibt diese zumindest für jene Arbeitsverhältnisse vor, die keinem horaire collectif (=kollektiver Schichtplan) unterliegen.

Es bedarf jedoch keiner Stechuhr, um in der Arbeitswelt 4.0 die Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Im österreichischen Arbeitszeitgesetz (AZG) heißt es: „Der Arbeitgeber hat zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen.“

Stechuhr? Pustekuchen!

Um diese Anforderung zu erfüllen, erfassen die Mitarbeiter Ihre Arbeitszeiten selbst mit Hilfe von Apps oder Tools. So haben Sie ihre Zeiten im Blick und für den Fall eines Rechtsstreits oder einer Überprüfung durch Aufsichtsbehörden jederzeit parat. Darunter leidet aber weder ihre Selbstorganisation noch das Vertrauensverhältnis zu ihren Arbeitgebern. Auch dies ist Arbeitswelt 4.0.

Doch was bedeutet das EuGH-Urteil nun für deutsche Betriebe? „Mach’s gut, Vertrauen?“

Nein. Denn die Erfassung geleisteter Arbeitszeiten kollidiert nicht mit dem der Vertrauensarbeitszeit zugrunde liegenden Gedanken der Eigenverantwortung und Flexibilität. Durch Dokumentierung ihrer Arbeitszeiten geben die Arbeitnehmer ihre Souveränität ja keineswegs preis. Möglicherweise steigert der bessere Überblick über ihre tatsächlich geleisteten Zeiten sogar ihre Lebensqualität durch weniger Mehrarbeitsstunden. Und somit die von Arbeitgebern gewünschte Motivation.

Vertrauen und Wertschätzung

Das Vertrauen eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter hängt nicht von europäischen oder nationalen Urteilen ab, sondern von der Wertschätzung, mit der beide einander begegnen. Diese wird wie erwähnt nicht dadurch untergraben, dass die bislang „gemerkten“ Arbeitszeiten künftig genau erfasst werden. Vielmehr schafft man mit diesem Instrument eine für beide Seiten verlässliche Rechtssicherheit.

Eine positive Einstellung

Insofern kommt der Abgesang auf die Vertrauensarbeitszeit also verfrüht. Sicher, das Dokumentieren von Arbeitszeiten bringt Kosten und Verwaltungsaufwand mit sich. Doch dank moderner Zeiterfassungssysteme dürfte sich beides in Grenzen halten. Und vielleicht in Zukunft teure Rechtsstreits wie denjenigen vermeiden, welcher dem EuGH-Urteil zugrunde lag.

So bedeutet das Urteil aus Luxemburg also keine Diskreditierung, sondern je nach Sichtweise sogar eine Aufwertung der Vertrauensarbeitszeit. Demnach sollte es nicht heißen: „Mach’s gut!“ Sondern vielmehr: „Machen wir’s künftig besser.“

Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 6)

Wie man es dreht und wendet: Von einem überstürzten Reagieren auf das EuGH-Urteil von 2019 kann jedenfalls nicht die Rede sein. Das politische Aussitzen hat seinerzeit lediglich einen Aufschub bei der Umsetzung von dessen Vorgaben gebracht.

Faustdick überraschen sollten das BAG-Urteil und dessen Schlussfolgerungen deshalb niemanden mehr, es sei denn, man hatte überhaupt nicht mehr mit einer Umsetzung gerechnet.

Reiz(wort)überflutung: Das „Stechuhr-Urteil“

So wie möglicherweise die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), die schon nach dem EuGH-Urteil 2019 kommentierte: „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert.“ – und die das BAG-Urteil drei Jahre später für „überstürzt“ hält. Unangenehm wäre hier das passende Adjektiv gewesen.

Die Stechuhr ist in der gegenwärtigen Debatte zum Reizwort geworden. Sogar das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wurde mit dem Wort „Stechuhr-Urteil“ belegt, obwohl das Wort nirgendwo in der gesamten Urteilsbegründung auftaucht. Das anachronistisch anmutende Bild einer Lochkarten-Stechuhr der Wirtschaftswunderjahre sollte ein in den Augen der Wortschöpfer aus der Zeit gefallenes Urteil symbolisieren – wie auch das BAG-Urteil, dem ironischerweise ja die Frage zugrunde lag, wer für die „Einführung einer elektronischen Zeiterfassung“ zuständig sei.

Schreckensvision Stechuhr: Kehrt das Grauen zurück?

Die „Rückkehr zur Stechuhr“ ist ohnehin die am häufigsten verwendete Schreckensvision der von den Urteilen 2019 wie auch 2022 überrumpelt wirkenden Fachleute. Aber unabhängig davon, ob EuGH und BAG bei ihrer Urteilsfindung jemals an Lochkarten-Uhren dachten: Ist die Einführung einer solchen Stechuhr denn wirklich realistisch?

Aber nein. Schließlich gibt es inzwischen zeitgemäße Praktiken zur Zeiterfassung. Wer noch immer die Schreckensvision Stechuhr aufrecht erhält, ist entweder ein technischer Nostalgiker – oder er hat sich aus anderen Gründen noch nicht in ausreichendem Maße mit modernen Alternativen befasst.

Wie erwähnt, schweben auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausdrücklich elektronische Methoden zur Zeiterfassung vor.

Keine Angst vor der Stechuhr!

Auf diesem Sektor existieren bereits zahlreiche Lösungen, die weit mehr bieten als das Stempeln von Arbeitszeiten. Mit Hilfe digitaler Zeiterfassung haben Mitarbeiter dank intelligenter Technologie auch ihre Überstunden, Pausen, Urlaubstage und vieles mehr im Blick.

Und zwar überall. Ob im Büro, mobil oder im Homeoffice, mit festgelegten oder Vertrauensarbeitszeiten. Ganz selbstverständlich und ohne Stechuhr, dramatischen Paukenschlag oder faustdicke Überraschungen.

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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 5)

In einer ersten Stellungnahme formuliert das BAG recht eindeutig, Arbeitgeber seien „gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen“. Das EuGH-Urteil von 2019 lasse Deutschland lediglich Gestaltungsspielraum „über das Wie, nicht das Ob der Arbeitszeiterfassung“, ergänzte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner.

Wo ein Gesetz ist, ist auch eine Sanktion

Sollte das Arbeitszeitgesetz die erwartete Anpassung um die generelle Zeiterfassung erfahren, sind laut Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender des Arbeits- und Sozialausschusses im Bundestag, weitere Schritte notwendig: „Wenn die Arbeitszeiterfassung Pflicht ist, dann muss es für Verstöße auch Sanktionen geben.“

In der Vergangenheit seien beispielsweise Manipulationen bei der Protokollierung der Arbeitszeiten von Mindestlöhnern allzu leicht möglich gewesen. Ihnen sollte durch strengere gesetzliche Vorgaben begegnet werden.

Die Jahre zwischen EuGH- und BAG-Urteil

Nicht nur auf die Politik wartet noch viel Arbeit. Arbeitnehmer werden sich in vielerlei Hinsicht umstellen und Arbeitgeber zum Teil hohe Mehrkosten in Kauf nehmen müssen. Für viele dürfte dies angesichts der zum 1. Oktober 2022 erfolgten Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro und der gegenwärtig in beunruhigendem Maße steigenden Energiekosten eine erhebliche Mehrbelastung darstellen.

Vieles hat sich seit dem EuGH-Urteil 2019 geändert. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Jahre ist noch immer nicht gänzlich abzusehen und aktuell treiben die Begleitumstände des Krieges in der Ukraine die Energie- und Produktionskosten der Unternehmen in die Höhe.

Jammern vor allem auf hohem Niveau

Interessanterweise klagen aber nicht die ohnehin in ihrer Existenz bedrohten Kleinunternehmer, sondern vor allem die Großkonzerne über eine „aufdiktierte“ Arbeitszeiterfassung. Dabei wird die Anschaffung von Zeiterfassungssystemen bei ihnen finanziell weitaus weniger ins Gewicht fallen.

Dennoch: Die angezählte Wirtschaft benötigt dringend positive Impulse, zumal sich viele Menschen noch immer in Kurzarbeit befinden – alles andere als ein günstiger Zeitpunkt für die Einführung einer generellen Arbeitszeiterfassung.

Oder genau der richtige angesichts immer mehr Niedriglohn-Jobs auf Stundenbasis?

 

***Wie aber kann dem EuGH-Urteil von 2019 entsprochen werden? Ist eine Wiedereinführung von Stechuhren realistisch, wie manche befürchten? Der sechste und letzte Teil dieses Blog-Artikels rundet das Thema (vorläufig) ab.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 4)

Homeoffice, Remote Work + Vertrauensarbeitszeit

Während der Corona-Pandemie wurden vielerorts alternative Arbeitszeitmodelle wie beispielsweise Homeoffice etabliert. Der Gesetzentwurf der Koalition versucht auch sie zu berücksichtigen.

Dort heißt es: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“

Der erste Vorstoß

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte schon Anfang des Jahres einen „Gesetzesentwurf zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ für bestimmte Branchen vorgelegt.

Betroffen von dem Entwurf wären etwa das Baugewerbe, Gebäudereiniger oder Dachdecker gewesen. Sie sollten ab dem 4. Quartal 2022 – also ab Oktober – die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter „unmittelbar und manipulationssicher“ elektronisch erfassen.

Inzwischen ist dieser Gesetzentwurf jedoch auf Drängen des Koalitionspartners FDP vom Tisch, der – welch Überraschung – die notwendigen, arbeitgeberseitigen Investitionen als zu hohe finanzielle Belastung einstufte.

Die Diskussion um eine generelle Arbeitszeiterfassung geht nun in die nächste Runde. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts müssen die politisch Verantwortlichen nach praktikablen und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen suchen und das Arbeitszeitgesetz gemäß der EuGH-Vorgaben einer Überarbeitung unterziehen.

Wieder mal: abwarten und Tee trinken

Zunächst jedoch möchte die Bundesregierung die detaillierte Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. Denn noch ist beispielsweise unklar, ob Arbeitgeber künftig zwingend die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter aufzeichnen oder lediglich die Systeme zur systematischen Arbeitszeiterfassung bereitstellen müssen.

 

***Wie jetzt, abwarten? Ist die Aussage des Bundesarbeitsgerichts denn nicht eindeutig? Teil 5 erläutert, weshalb die Regierung noch zögert und welche Auswirkungen die genaue Urteilsbegründung hätte.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 3)

EuGH-Urteil: Bloß eine Empfehlung?

Mit der Folge, dass das zur Zeit des EuGH-Urteils 2019 regierende schwarz-rote Kabinett „Merkel IV“ eine Entscheidung für Deutschland erstmal vertagte – sehr zur Erleichterung der Arbeitgeber, für die eine generelle Arbeitszeiterfassung mit höherem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden wäre.

Unbestreitbar ist etwa die Tatsache, dass sich Systeme zur Arbeitszeiterfassung in vielen Unternehmen nicht so einfach von einem auf den anderen Tag umsetzen lassen. Dieser Umstand wurde allerdings selten thematisiert. Stattdessen verstiegen sich die Arbeitgebervertreter bereits 2019 zu empörten und übertriebenen Schmährufen und sprachen im Zusammenhang mit einer generellen Arbeitszeiterfassung gar von einem „Rückfall in die Steinzeit“.

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) interpretierte das EuGH-Urteil lediglich als Empfehlung, weshalb er anregte, zunächst die Frage nach einem konkreten Umsetzungsbedarf zu klären. Eine offizielle Stellungnahme erfolgte übrigens vor dem Regierungswechsel im Jahr 2021 nicht mehr.

Abgewatscht

Mit seinem Grundsatzurteil vom 13. September 2022 (Aktenzeichen BAG 1 ABR 22/21) stellt das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klar, dass die EuGH-Vorgaben von 2019 keineswegs eine Empfehlung, sondern eine rechtlich verbindliche Regelung darstellen.

Laut Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, bestehe daher längst die gesetzliche Verpflichtung von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten, wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz nach dem EuGH-Urteil auslege.

Die Ampel und das Arbeitszeitgesetz

Wobei Zeiterfassung in vielen Branchen ohnehin üblich ist. Mitarbeiter in Krankenhäusern und bei Rettungsdiensten beispielsweise dokumentieren ihre Arbeitszeiten schon seit langem. Andere EU-Länder wie Spanien, Österreich und Italien haben sie bereits generell zur Pflicht gemacht.

Auch die Ampelregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) möchte nachziehen und hat im Koalitionsvertrag den Entwurf für eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgesehen.

 

***Bedeutet dies das Ende der Vertrauensarbeitszeit, wie von der Arbeitgeberseite postuliert? Teil 4 dieses Beitrags geht in die Tiefe.***


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Potzblitz, eine generelle Zeiterfassung?!? (Teil 2)

Nur keine Panik!

Es ist nicht das Urteil, sondern dieser Passus am Rande, der nun bundesweit für Diskussionen, Entrüstung und Unverständnis, ja, bisweilen sogar für Panik sorgt. Denn er besagt, dass nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) längst eine gesetzliche Vorgabe zur Einführung einer generellen Erfassung geleisteter Arbeitszeiten besteht.


Zwischeninfo: Die Zeiterfassung im Arbeitszeitgesetz

Entscheidend ist hier das Wort „generell“. Denn partiell besteht bereits eine gesetzliche Pflicht zur Erfassung bestimmter geleisteter Arbeitsstunden. Das deutsche Arbeitszeitgesetz (§16 ArbZG) sieht bislang allerdings nur vor, dass Überstunden aufgezeichnet werden müssen, „die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer“ hinausgehen. Allerdings steht seit Jahren die Frage im Raum, wie man Überstunden dokumentieren soll, wenn die geleisteten Arbeitszeiten selbst nicht festgehalten werden.


Zur Erklärung der BAG-Einschätzung muss man ein wenig ausholen und ins Jahr 2019 zurückblicken. Am 14.05.2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber zur Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ zur Erfassung der geleisteten täglichen Arbeitszeit verpflichten müssen.


In diesem Blog: Das EuGH-Urteil von 2019

Über das EuGH-Urteil hatte ich bereits in einem Blog-Beitrag berichtet. In ihm können Sie die Hintergründe des damaligen Urteils sowie die Reaktionen hierauf nachlesen.


Keine Frist – keine Entscheidung

Ein rechtskräftiges, aber zunächst folgenloses Urteil. Der Europäische Gerichtshof manifestierte damit zwar das Grundrecht von Arbeitnehmern auf Einhaltung und Dokumentation von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten. Und befand, dass hierzu die Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems notwendig sei.

Gleichzeitig stellte der EuGH jedoch den EU-Mitgliedsstaaten das Wie in der nationalen Umsetzung frei, sprich: die Änderung von rechtlichen Regelungen wie dem Arbeitszeit- oder dem Arbeitsschutzgesetz. Auch wurde keine Frist für die Umsetzung benannt.

 

***Das klingt doch recht verbindlich. Sicher hatte sich die Regierung um Kanzlerin Angela Merkel bereits Gedanken darüber gemacht, wie und bis wann das EuGH-Urteil umzusetzen sei, oder? Teil 3 dieses Artikels klärt Sie auf.***


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New Work (Teil 4)

In vielen Unternehmen sind solche Modelle längst etabliert. Oftmals nicht ganz freiwillig, denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt verlangt nach Veränderung. Ob im IT- oder Pflegebereich, in der Beratung oder im Handwerk: Der Fachkräftemangel zwingt viele Unternehmen und Organisationen dazu, die Arbeitsbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten.

Der Pflegenotstand und die New Work

Nun ist es nicht jeder Branche vergönnt, mit Gewinnbeteiligungen um künftige Angestellte zu buhlen. Mitarbeitern im Pflegebereich erscheinen zuweilen selbst milde Formen von New Work wie flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zur beruflichen Fortbildung oder flache Hierarchien wie gewagte Zukunftsutopien. Berufliche Perspektivlosigkeit und geringes Einkommen sind hingegen Realität und für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen mitverantwortlich.

Der Mangel an Pflege(fach)kräften wurde in den letzten Jahren zum Dauerthema . Obwohl sie seit Jahren am Limit arbeiten und durch die Corona-Pandemie teilweise dauerüberlastet sind, ist keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Sicht. Jede dritte Pflegekraft denkt mittlerweile über einen Jobwechsel nach.

Berufung statt Beruf: Der Grundsatz der New Work

Dabei sind sich Pflegekräfte im Gegensatz zu manch anderen Arbeitnehmern der Tatsache bewusst, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Dieses Wissen reicht zur Mitarbeitergewinnung und –bindung allerdings nicht aus. Entscheidende Faktoren sind der Austausch mit Vorgesetzten und Kollegen, die Anerkennung der eigenen Arbeit und die Möglichkeit, diese mitzugestalten. Identifikation durch Integration. Oder, anders ausgedrückt: Echte Teilhabe an der Gemeinschaft.

Selbstbestimmtheit ist wichtig, Supervisionen oder die Aussicht auf den Erwerb akademischer Qualifikationen motivieren zusätzlich. Denn auch lebenslanges Lernen zählt zu den Grundprinzipien von New Work. Sie erinnern sich:  Arbeit, die du wirklich, wirklich willst. Die eigenen Qualifikationen optimiert man als Mitarbeiter schon aus eigenem Interesse.

Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende

Die in ihren strengen Strukturen erstarrte Erwerbsarbeit der 1970er Jahre, welche Frithjof Bergmann mit einer leichten Erkältung verglich, die man noch bis Freitag aushalte, sollte zum Wohle der Mitarbeiter, aber auch des Unternehmens der Vergangenheit angehören.

Produktivität und Wachstum, jene Schlagworte der Industrialisierung, sind noch immer aktuell. Allerdings werden sie heute mit Motivation und Identifikation in direkten kausalen Zusammenhang gesetzt.

Moderne Unternehmen und Organisationen bauen auf Mitarbeiter, die nicht gezwungenermaßen, sondern gerne zur Arbeit erscheinen. Weil sich ihr Arbeitsumfeld stetig verbessert und die Teamarbeit gefördert wird. Weil sie sich nicht als kleine Rädchen in Getrieben, sondern als mitspracheberechtigten Teil der Unternehmensgemeinschaft empfinden. Und weil ihnen mehr Einfluss auf ihre Tätigkeit sowie Zeit für Familie und Hobbys gewährt wird.

 

– Wie steht eigentlich die deutsche Politik zur New Work?  Der 5. und letzte Teil dieses Beitrags vergleicht die Aussagen der verschiedenen Parteien. –


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Arbeitszeiterfassung: Das EuGH-Urteil von 2019 (Teil 4)

Aber was bedeutet das EuGH-Urteil nun für deutsche Betriebe? „Mach’s gut, Vertrauen?“

Nein. Die Erfassung geleisteter Arbeitszeiten kollidiert nicht mit dem der Vertrauensarbeitszeit zugrunde liegenden Gedanken der Eigenverantwortung und Flexibilität. Durch Dokumentierung ihrer Arbeitszeiten geben die Arbeitnehmer ihre Souveränität ja keineswegs preis. Möglicherweise steigert der bessere Überblick über ihre tatsächlich geleisteten Zeiten sogar ihre Lebensqualität durch weniger Mehrarbeitsstunden. Und damit die von Arbeitgebern gewünschte Motivation.

Das Vertrauen eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter hängt ja nicht von europäischen oder nationalen Urteilen ab. Vielmehr von der Wertschätzung, mit der beide einander begegnen. Diese wird wie erwähnt nicht dadurch untergraben, dass die bislang im Kopf notierten Arbeitszeiten in Zukunft genau erfasst werden. Aber man schafft mit diesem Instrument eine für beide Seiten verlässliche Rechtssicherheit.

Daher kommt der Abgesang auf die Vertrauensarbeitszeit verfrüht. Natürlich bringt das Dokumentieren von Arbeitszeiten Kosten und Verwaltungsaufwand mit sich. Aber dank moderner Zeiterfassungssysteme dürfte sich beides in Grenzen halten. Und möglicherweise in Zukunft teure Rechtsstreits wie denjenigen vermeiden, welcher dem EuGH-Urteil zugrunde lag.

So bedeutet das Urteil aus Luxemburg also keine Diskreditierung, sondern je nach Sichtweise sogar eine Aufwertung der Vertrauensarbeitszeit. Demnach sollte es nicht heißen: „Mach’s gut!“ Sondern vielmehr: „Machen wir’s künftig besser.“

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Arbeitszeiterfassung: Das EuGH-Urteil von 2019 (Teil 3)

Die Arbeitszeiterfassung ist in vielen Branchen längst üblich. Ohne eine exakte Regelung der Dienstzeiten  würden beispielsweise Krankenhäuser oder Rettungsdienste nicht funktionieren. Außerdem bestehen umfängliche Aufzeichnungspflichten im Gaststätten-, Hotel-, Bau-, Speditions- und Transportgewerbe sowie in vom gesetzlichen Mindestlohn betroffenen Betrieben.

Nach derzeitiger Rechtslage können deutsche Aufsichtsbehörden auch ohne EuGH-Beschlüsse bereits eine so genannte „Total-Aufzeichnung“ in Betrieben anordnen, welche die arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen nicht oder nur unzureichend einhalten.

Die Rückkehr der Stechuhr?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) äußert Kritik an dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes. „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, heißt es da in einer Stellungnahme. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Vereinzelt macht gar der Begriff „Rückfall in die Steinzeit“ die Runde.

Dem gegenüber begrüßt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das EuGH-Urteil als Grundlage für eine faire Dokumentation auch solcher Tätigkeiten, die bislang nebenbei in der Freizeit erledigt und somit nicht als Arbeitszeit bewusst wahrgenommen wurden. Der „Flatrate-Arbeit“ werde damit ein Riegel vorgeschoben, wie Annelie Buntenbach, Mitglied im Bundesvorstand des DGB, betonte: „Statt mit der Stechuhr könnte man heutzutage schließlich per Smartphone und App die Arbeitszeit dokumentieren.“

Ein Blick hinüber zu unseren EU-Nachbarn fördert Überraschendes zutage. In Italien oder Österreich ist beispielsweise eine generelle Arbeitszeiterfassung verpflichtend. Der französische Gesetzgeber schreibt sie zumindest für solche Arbeitsverhältnisse vor, die keinem horaire collectif (=kollektiver Schichtplan) unterliegen.

Man braucht jedoch keine Stechuhr, um in der Arbeitswelt 4.0 die Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen gewährleisten zu können. Im österreichischen Arbeitszeitgesetz (AZG) heißt es: „Der Arbeitgeber hat zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen.“

Um diese Anforderung zu erfüllen, verzeichnen die Mitarbeiter Ihre Arbeitszeiten selbst mit Hilfe von Apps oder Tools. Ihre Zeiten haben sie immer im Blick und parat – für den Fall eines Rechtsstreits oder einer Überprüfung durch Aufsichtsbehörden. Darunter leidet aber weder ihre Selbstorganisation noch das Vertrauensverhältnis zu ihren Arbeitgebern. Auch dies ist Arbeitswelt 4.0.

 

– Aber was bedeutet das EuGH-Urteil nun für deutsche Betriebe? Geht nun das Vertrauen in die Mitarbeiter verloren?  Teil 4 dieses Beitrags gibt Ihnen Auskunft darüber. –


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Arbeitszeiterfassung: Das EuGH-Urteil von 2019 (Teil 2)

Ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einer spanischen Tochterniederlassung der Deutschen Bank bildete die Grundlage dieses Urteils.

Der Arbeitnehmer berief sich auf die EU-Richtlinie 2003/88 EG, die nicht nur unter anderem Ruhe- und Pausenzeiten, sondern auch die Einhaltung der damit verbundenen Schutzvorschriften regelt. Ursprünglich vor der Audiencia Nacional verhandelt (dem Nationalen Spanischen Gerichtshof), wurde die Streitsache von dieser schließlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Derzeit hat das Urteil noch keine konkreten Auswirkungen für Unternehmen. Denn der Europäische Gerichtshof stellt es jedem EU-Staat frei, wie er dieses national umsetzt. Unabhängig davon sei die Einhaltung und Dokumentation von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten jedoch ein Grundrecht von Arbeitnehmern innerhalb der EU, welches es zu wahren gelte.

Aha. Und wie sieht das in der Praxis aus?

Für die EU-Mitgliedsstaaten bedeutet dies nicht nur, nationale Gesetzesentwürfe für die Erfassung von Arbeitszeiten verschiedener Branchen vorzulegen, sondern auch Ausnahmeregelungen (z.B. für Kleinstbetriebe) zu schaffen und Berufe zu berücksichtigen, deren Arbeitszeit generell schwer zu dokumentieren ist. Auch Home-Office wird besondere Berücksichtigung finden.

Selbst für die mit künftigen Gesetzesvorlagen konfrontierten Politiker beginnt der Arbeitstag bereits vorm Frühstück mit E-Mails und der Lektüre vieler Tageszeitungen. Journalisten sind zu jeder Zeit auf der Suche nach Stories, und vielen kreativen Freiberuflern, Beratern oder Dozenten sind geregelte Arbeitszeiten ohnehin fremd. Dem EuGH-Urteil zufolge müsste künftig jede Recherche, jedes Telefonat und das Checken von beruflichen E-Mails im Zug zeitlich erfasst werden.

Apropos Politiker. Die deutsche Regierungskoalition aus CDU und SPD zeigte sich in ihrer Meinung über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes seinerzeit gespalten.

Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine umfassende Arbeitszeiterfassung als notwendig begrüßte, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern, mochte der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zunächst noch ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, um die Frage nach einem konkreten Umsetzungsbedarf zu klären. Je nach Ergebnis des Rechtsgutachtens sollte ein Vorlageverfahren angestrengt werden.

Vorläufig ist das Thema aufgeschoben. Die designierte neue Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wird jedoch in absehbarer Zeit zum EuGH-Urteil Stellung beziehen müssen.

 

– Aber gibt es Arbeitszeiterfassung nicht bereits? Und würde ein Akzeptieren des EuGH-Urteils die Rückkehr der Stechuhr bedeuten? Das können Sie in Teil 3 dieses Beitrags nachlesen. –


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Arbeitszeiterfassung: Das EuGH-Urteil von 2019 (Teil 1)

Für manche ist sie im Lauf der Jahre zum Freund geworden, andere fremdeln noch heute mit ihr: Die Vertrauensarbeitszeit. Seit Monaten sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) für Wirbel und die Wiedereinführung der generellen Arbeitszeiterfassung – wenn auch unter veränderten Vorzeichen.

Wir informieren Sie in dem nachfolgenden Beitrag nochmals über den dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsstreit, den Ist- und Soll-Zustand der Vertrauensarbeitszeit sowie die Auswirkungen des Urteils für die EU-Staaten.

Ein Gespenst geht um

Zwei Punkte vorweg: Panik ist nicht angebracht. Es liegt zwar in der Natur juristischer Entscheidungen, dass diese je nach Standpunkt polarisiert, interpretiert und kommentiert werden. Ohne Meinungsverschiedenheiten käme es schließlich gar nicht erst zu den Streitigkeiten, welche ein richterliches Urteil erfordern. Bei aller Interpretationsfreiheit ist die von einigen empfundene Angst vor einer Reaktivierung der veralteten und im Keller verstaubenden Stechuhren jedoch unangebracht.

Auch bedeutet das EuGH-Urteil keine generelle Abkehr von der Vertrauensarbeitszeit. Vielmehr offenbart es, wie unterschiedlich das ihr zugrunde liegende Konzept bislang aufgefasst wurde. Denn das Vertrauen  eines Arbeitgebers in seinen Mitarbeiter, Aufgaben innerhalb seiner Arbeitszeit mit Elan und Sorgfalt nachzugehen, wird durch deren Dokumentation ja nicht diskreditiert. Und niemand wird dem Arbeitgeber später vorschreiben, diese Aufzeichnung einzusehen. Das Vertrauen bleibt also. Wenn es denn vorhanden war.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

Solche und ähnliche Argumente von Kritikern begleiteten seinerzeit die Einführung der Vertrauensarbeitszeit und den Abschied von antiquierten Stechkartensystemen. Dabei erwies sich die Befürchtung mancher als unbegründet, die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten würden unterschritten, sobald sie nicht mehr dokumentiert werden. Im Gegenteil: Die Zahl der geleisteten Mehrarbeitsstunden stieg nach Abschaffung starrer Arbeitszeiten sogar an. Deutschlandweit lag sie im vergangenen Jahr laut Auskunft der Bundesregierung bei über 2 Milliarden Stunden.

Ursprünglich hatte die Vertrauensarbeitszeit neben einer Senkung der Personalkosten zum Ziel, den Anforderungen einer modernen Welt Rechnung zu tragen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert. Die Flexibilität sollte erhöht, die Eigenverantwortung – und damit die Motivation – der Arbeitnehmer gesteigert werden.

Ist- und Sollzustand der Zeiterfassung

Deren Arbeitgeber schenkten ihnen das Vertrauen, ihre vertraglich vereinbarten Arbeits- und Ruhezeiten auch ohne kontrollierende Instanzen einzuhalten und sich im Rahmen dieser Vorgaben selbst zu organisieren. Mehrarbeit sollte nicht mehr für Extra-Urlaubstage angehäuft, sondern in kleinem Umfang mit einem Zeitausgleich kompensiert werden.

In Deutschland musste bislang denn auch nur die Arbeitszeit dokumentiert werden, welche über die Regelarbeitszeit von 8 Stunden täglich hinaus geleistet wurde. Diese Praxis ist laut des Urteils des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EuGH) jedoch unwirksam. Wie, so die Ausgangsfrage des Urteils, soll man Mehrarbeit erfassen, wenn weder die reguläre Arbeitszeit von maximal 48 Stunden pro Woche noch Ruhezeiten von täglich mindestens 11 Stunden dokumentiert werden? Es sei daher erforderlich, Arbeitszeiten innerhalb der EU künftig exakt zu erfassen.

 

 

– Aber warum das Ganze überhaupt? Das können Sie in Teil 2 dieses Beitrags nachlesen. –


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