Helden von nebenan
Wenn Kinder in Grundschulen und Kindergärten nach ihrem Berufswunsch befragt werden, rufen noch immer einige: „Na, Feuerwehrmann!“ (Mehr zu den Geschlechterrollen später im Artikel.) Schließlich verlangen dessen Tätigkeiten neben dem Einsatzwillen fürs Gemeinwohl und einer gewissen Umsicht auch ein gehöriges Maß an Unerschrockenheit. Heldeneigenschaften.
Vorstellung vs. Realität
In der Realität wird dieses „Heldentum“ allerdings oftmals von Vorschriften bestimmt. Von Gefahren, deren Ausmaß Außenstehende kaum erfassen. Von bürokratischem Gerangel mit Versicherungen, die bestimmte Einsätze im Nachhinein für überflüssig befinden. Von schrecklichen Bildern an Unfallstellen oder Brandorten, die man im Kopf mit nach Hause nimmt.
Helfen für lau
Und das alles oft ohne Bezahlung. Wie sich das für Helden geziemt. Denn die meisten Feuerwehrleute üben ihren „Beruf“ ehrenamtlich aus. Und müssen überdies oft damit leben, von der Berufsfeuerwehr als „minderwertige Hilfskräfte“ angesehen zu werden. Das ist nicht nur beleidigend, sondern auch gefährlich. Denn ohne Freiwillige wären vielerorts die Berufsfeuerwehren gar nicht mehr handlungsfähig.
Ehrenamt Feuerwehr
Tatsächlich sind reine Berufsfeuerwehren nur in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern üblich. Zwar sind auch in kleineren Städten und Gemeinden hauptberufliche Feuerwehrleute beschäftigt. Sie werden dort allerdings oftmals für Hintergrundarbeiten eingesetzt, bereiten Lehrgänge vor oder prüfen die technischen Gerätschaften. Zwei Drittel aller Einsätze werden jedoch bundesweit von Freiwilligen durchgeführt. Statistiken des Deutschen Feuerwehrverbandes zufolge standen im Jahr 2018 bundesweit einer Million ehrenamtlicher lediglich 33.000 Berufsfeuerwehrleute zur Seite.
Zeiten ändern sich
Dieses Prinzip funktioniert seit Jahrhunderten – und das erstaunlich gut. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die erwachsenen Männer eines Ortes zum Feuerlöschdienst verpflichtet. Aus dieser Pflichtfeuerwehr formierten sich später Freiwillige Feuerwehren. Neben dem Engagement für die Gemeinschaft mag manchen Freiwilligen auch die Sorge bewegt haben, das eigene Haus könne eines Tages in Flammen aufgehen.
Früher fiel Löschdienst unter Nachbarschaftshilfe
Doch die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Gesellschaft. Traten Freiwillige früher hauptsächlich der Kameradschaft wegen in die Feuerwehr ein, bieten sich heute zum Knüpfen sozialer Kontakte auch viele alternative und weniger verpflichtende Freizeitmöglichkeiten an. Ist ein solches Ehrenamt darüber hinaus mit gesundheitlichen Gefahren und psychischen Belastungen verbunden, schwindet die Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren.
Kollision von Ehrenamt und Lebensplan
Die Freiwillige Feuerwehr passt in der modernen Gesellschaft oft nicht mehr in den eigenen Lebensplan. Junge Menschen ziehen nach der Schulzeit häufig vom Land in die Stadt und bilden sich auch nach Feierabend weiter. Die langfristige Bindung an eine ehrenamtliche Aufgabe und eine Organisation stößt sowohl bei der Karriere- als auch der Familienplanung auf Widerstand, bisweilen auch auf Unverständnis.
Der Aktionsradius wächst
Abseits dieser Hürden besteht jedoch noch ein weitaus größeres Problem. Stützte sich das ortsgebundene, vorindustrielle System der Freiwilligen Feuerwehren noch auf einzelne Dörfer, sind weite Teile Deutschlands inzwischen urban strukturiert. Aus den einstmaligen Dörfern wurden Vorstädte, Kommunen oder Landkreise mit Industriegebieten und Wohnvierteln im Grünen.
Zeit- und anderer Druck
Freiwillige Feuerwehrleute arbeiten heute im Hauptberuf nicht mehr als Hufschmied vor Ort, sondern viele Kilometer entfernt in Großunternehmen, im Handel oder der Industrie. Meist benötigen sie viel Zeit, um ihre heimischen Feuerwachen im Fall eines Notrufs zu erreichen. Mehr Zeit jedenfalls als die zehn Minuten, innerhalb derer das erste Löschfahrzeug am Einsatzort sein sollte.
Ehrenamt und Job vertragen sich nicht immer
Und auch das funktioniert nur, wenn die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter für Einsätze und Ausbildungen von der Arbeit freistellen. Gesetzlich sind sie hierzu zwar verpflichtet und erhalten von der Gemeinde eine Entschädigung in Form eines Kostenersatzes. Dennoch üben viele Arbeitgeber Druck auf diejenigen Mitarbeiter aus, die sich auch während ihrer Arbeitszeit ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagieren, weil ihnen dies ein Bedürfnis ist.
Die aktive Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr ist daher nicht selten mit Angst vor Repressalien bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes verbunden.
Kooperationen bieten Vor- und Nachteile
In vielen örtlichen Feuerwachen kann die Tagesalarmsicherheit kaum noch gewährleistet werden, weil die für einen Einsatz erforderliche, personelle Mindestbesetzung nicht mehr in der vorgeschriebenen Zeit vor Ort sein kann.
Ungeliebte Fusionen
Kooperationen benachbarter Feuerwehren und Ausrückegemeinschaften sorgen nur teilweise für Abhilfe. Vielerorts müssen Wachen geschlossen werden, sind Umstrukturierungen und Fusionen unumgänglich. Sie bündeln nicht nur vorhandene Kräfte, sondern vereinfachen auch die verwaltungstechnischen Prozesse durch Zentralisierung.
Durch zu große Entfernungen ist die Tagesalarmsicherheit gefährdet
Reduziert man die Anzahl der Ortsfeuerwehren, verlängert man jedoch abermals die Anfahrtswege und gefährdet obendrein den Nachwuchs. Zwar erfreuen sich die Jugendfeuerwehren noch immer eines gewissen Zuspruchs. Die Eltern der jungen Feuerwehrleute legen jedoch schon mal ihr Veto ein, wenn der Anfahrtsweg zum Verteiler mit dem Fahrrad zu riskant erscheint oder der Standort 20 km entfernt liegt und die ganze Familie zu Fahrdiensten herangezogen wird.
Im Alter durchs Feuer gehen?
Um dem Mitgliederschwund etwas entgegenzusetzen, wurde die Altersgrenze für ehrenamtliche Feuerwehrangehörige in einzelnen Bundesländern von 63 Jahren bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres angehoben. Auch versucht man Einwohner, die beispielsweise nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung zurück in ihre Heimatorte zogen und über eine feuerwehrspezifische Ausbildung verfügen, dazu zu überreden, wieder in die Wehr einzutreten.
Aufbruch in die Moderne
Längst ist den Planungsverantwortlichen klar, dass das örtliche Feuerwehrfest oder der Tag der Offenen Tür nicht mehr ausreichen, um neue Kameraden zu gewinnen. Oder eben Kameradinnen, denn der Frauenanteil bei der Freiwilligen Feuerwehr liegt allen männlichen Vorbehalten zum Trotz mittlerweile bei rund 10 % – Tendenz steigend. Eine erfreuliche Entwicklung auch deshalb, weil Feuerwehr lange Zeit ausschließlich mit Männern assoziiert wurde.
Erfreulich: Immer mehr Kameradinnen engagieren sich in der Feuerwehr
Zwar werden die Kameradinnen mancherorts noch immer öfter im Servicebereich oder der Jugendarbeit als in vorderster Linie in den so genannten Angriffstrupps eingesetzt. Aber ihre Akzeptanz unter den männlichen Kollegen wächst und auch Führungspositionen werden inzwischen oft von Frauen bekleidet.
Die Vorbildfunktion wirkt: Viele Jugendfeuerwehren verzeichnen bereits einen Mädchenanteil von 20 %. Frischer Wind für die Zukunft der Feuerwehren – auch wenn viele Aktive diesem Wandel noch skeptisch gegenüberstehen. Doch auch sie sehen ein, dass sich mit alleiniger Unterstützung durch Senioren weder die Tages- noch die Nachtalarmsicherheit dauerhaft gewährleisten lässt.
Wenn aus Fremden Retter werden
Jüngste Zielgruppe der Mitgliederwerbung sind Migranten. Mit einem Anteil von 1 % noch stark unterrepräsentiert und lange Zeit ignoriert, entwickeln sie sich innerhalb unserer Gesellschaft zum Hoffnungsträger. In vielen Bereichen der Grundversorgung sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte bereits unentbehrlich geworden. Vielleicht auch bald in der Feuerwehr?
Wem geholfen wurde, der hilft auch gerne mal
Viele Migranten sind gut ausgebildet und verfügen – leider auch aufgrund nicht anerkannter Berufsabschlüsse, ohne die die Aufnahme einer Werktätigkeit erschwert wird – über zeitliche Ressourcen, an Einsätzen teilzunehmen. Oftmals wurde ihnen auf ihrem Weg nach und in Deutschland Hilfe zuteil, die sie gerne erwidern würden. Zum Beispiel durch ehrenamtliches Engagement bei der Feuerwehr.
Back to the roots
Dies untergräbt übrigens keineswegs Traditionen. Ein großes Plus der Feuerwehren lag ja stets in deren Vielschichtigkeit. Ob Anwalt oder Automechaniker, Imker oder Ingenieur: Bei der Feuerwehr waren immer viele Gesellschaftsschichten und Berufe vertreten. Gerade in Notsituationen verschwimmen eben Klassenunterschiede zugunsten eines gemeinsamen Ziels. Und den zu rettenden Personen ist letztlich egal, wer sie aus dem Wrack ihres Fahrzeugs befreit oder die eigene Familie vor dem Feuer oder der Flut rettet.
Anreize: Nett sein hilft bei Mitgliedergewinnung und -erhalt
Grundsätzlich ist die Aufstellung einer Feuerwehr eine Pflichtaufgabe der Gemeinden. Daher werden die Stimmen derer lauter, die Anreize aus der Politik zur Gewinnung neuer Mitglieder fordern. So könnte die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Feuerwehr – ähnlich wie Erziehungszeit bei Eltern – bei der Rentenberechnung berücksichtigt oder eine kleine Zusatzrente aus öffentlichen Quellen finanziert werden.
Auch kleine Gesten zählen
Bereits Zeichen des guten Willens könnten Respekt und Interesse gegenüber der wichtigen, gefährlichen und oft ehrenamtlichen Arbeit der Feuerwehr bekunden. So könnten die Gemeinden ihren Feuerwehrleuten freien Eintritt ins örtliche Schwimmbad gewähren: Sympathisch, billiger als ein Präsentkorb und überdies ein Beitrag zur Erhaltung der Fitness und Einsatzfähigkeit.
In aller Bescheidenheit
Auch der Vorschlag einer kostenlosen Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs durch Mitglieder der Feuerwehr wäre eine nette und in den Augen der Ideengeber praktische Geste: So sei sichergestellt, dass die Kameraden zur Wache oder zum Übungsdienst gelangen. Ob Letzteres praktikabel ist, sei dahingestellt. Es spricht jedoch Bände, wenn solche Argumente als Verstärker des Wunsches nach Anerkennung für gemeinnützige Arbeit verwendet werden.
Freier Eintritt ins Freibad für Feuerwehrleute? Warum eigentlich nicht?
Für Lösungsansätze und den Dialog mit den Feuerwehren sollte die Politik – in diesem Fall die jeweilige Gemeinde – jedenfalls offener sein als in der Vergangenheit. Da wurden bedarfsplanerische Analysen in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse den Betroffenen nie mitgeteilt wurden. Oder Standorte zusammengelegt, ohne sie im Vorfeld miteinzubeziehen. Selbst altgediente Feuerwehrleute und Führungskräfte fühlen sich da schon mal übergangen und respektlos behandelt – und quittieren frustriert den Dienst. Guter Wille hat eben auch Grenzen.
Brände, Hochwasser und andere Katastrophen: Die täglichen Belastungen der Feuerwehr
Der Dienst fordert Feuerwehrleuten ohnehin einiges ab: Verfügbarkeit quasi rund um die Uhr und übers ganze Jahr neben Job und Familie. Körperliche und seelische Belastungen. Verantwortung für Opfer und Kameraden. Ein ganzer Gefahrenkatalog aus Bränden, Gefahrstoffen, einstürzenden Gebäuden, Sturm, Hochwasser und vielem mehr. Dazu Stress, Beschimpfungen und auch schon mal Gewalt.
Wir alle brauchen die Feuerwehren. Wenn die Gemeinden mit deren Aufstellung überfordert sind, müssen irgendwann Kreis- und Landesverwaltung als nächste Instanz entscheiden, wie es weitergeht. Die Zukunft könnte dann vielerorts in reinen Pflichtfeuerwehren bestehen. Ob diese die Organisation vereinfachen, bleibt offen. Günstiger als die ehrenamtliche Lösung sind sie jedenfalls nicht.