PeBeM 2023: Begriffe und Kennzahlen

Das Pflegestärkungsgesetz und die PeBeM

Ab dem 1. Juli 2023 gibt ein neues, bundeseinheitliches Verfahren die Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen vor: Die PeBeM.

Bislang wichen die Personalrichtwerte und Regelungen der Bundesländer voneinander ab, das einzige verbindende Element bestand in einer pauschalen Pflegefachkraftquote von 50 Prozent.

Das Pflegestärkungsgesetz II vom 1. Januar 2016 sah allerdings die „Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI“ vor.

Mit dieser Aufgabe wurde schließlich der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen betraut. Dankenswerterweise setzte sich frühzeitig die Kurzbezeichnung PeBeM durch.

Professor Rothgangs Team sammelte zunächst im Rahmen einer Studie Daten aus 62 Pflegeeinrichtungen. Auf Grundlage der folgenden Auswertungen wurde ein Algorithmus entwickelt, der die zur Betreuung innerhalb einer Einrichtung benötigten Pflegekräfte und deren erforderliche Qualifikation errechnet.

Ergebnisse der Rothgang-Studie

Die Ergebnisse der Studie und die daraus resultierenden Erkenntnisse und Maßnahmen haben wir für Sie im Zwillingsartikel PebeM: Neues zur Altenpflege zusammengefasst. Er nennt auch konkrete Zahlen zu dem anhand der Studienergebnisse errechneten, personellen Mehrbedarf in der (Alten-)Pflege.

Wie aber funktioniert die PeBeM?

Für die PeBeM wurden gesammelte Daten ausgewertet und daraufhin ein Algorithmus entwickelt.

Die PeBeM basiert auf je zwei quantitativen wie qualitativen Faktoren, die sich auf die Bewohner einerseits (Case-Mix) und die Pflegekräfte andererseits (Care-Mix) beziehen und aufeinander abgestimmt werden, um die Pflegezeiten und den Personalbedarf zu errechnen.

Auf diese Weise orientiert sich der Fachkräfteeinsatz stets am individuellen Pflegegradmix der Einrichtung. Bei einem hohen Anteil an Bewohnern mit Pflegegrad 4 oder 5 etwa – und dem damit verbundenen, hohen Pflegeaufwand – werden besonders viele Pflegefachkräfte garantiert.

Der Case-Mix

Der Case-Mix bezeichnet den Pflegebedarf der Bewohner. Er errechnet sich aus den Faktoren

  •     Anzahl der Bewohner und
  •     Pflegegrad der Bewohner der Einrichtung.

Dem Case-Mix werden die Qualifikationen und die Wochenarbeitsstunden der Pflegekräfte gegenübergestellt (Care-Mix).

Der Care-Mix

Der Care-Mix bezeichnet die zur Verfügung stehenden Pflegeressourcen. Er errechnet sich aus den Faktoren

  •     Vollzeitäquivalent und
  •     Qualifikationsstufe der Pflegekräfte.

Das Vollzeitäquivalent: Gradmesser für die Stundenzahl der Pflegekräfte

Ein Schlüsselbegriff beim Care-Mix ist das so genannte Vollzeitäquivalent. Diese Bezugsgröße entspricht der Wochenarbeitszeit einer Vollzeitpflegekraft und ist ungefähr das, was bei der Bruchrechnung der gemeinsame Nenner ist.

Da in stationären Einrichtungen oftmals viele Teilzeitkräfte mit verschiedensten Arbeitszeitmodellen beschäftigt sind, müssen deren Arbeitszeiten zunächst auf das entsprechende Vollzeitäquivalent umgerechnet werden.

Arbeitet eine Vollzeitkraft innerhalb einer Einrichtung zum Beispiel 40 Stunden pro Woche, entspricht dies einem Vollzeitäquivalent. Ein Mitarbeiter in 20%-Teilzeit und einer entsprechenden Wochenarbeitszeit von 8 Stunden kommt folglich auf ein Vollzeitäquivalent von 0,2.

Bliebe es bei diesen beiden Pflegekräften, hielte die Pflegeeinrichtung also 1,2 Vollzeitäquivalente zur Betreuung bereit.

Qualifikationsstufen: Ausbildungsgrad der Pflegekräfte

Zweite Bezugsgröße für den optimalen Care-Mix ist die Qualifikation der Pflegekräfte. Sie wird in vier Qualifikationsniveaus (QN) und drei Qualifikationsstufen unterteilt:

Qualifikationsstufe 1

QN 1: Personen ohne Ausbildung, nach 4 Monaten angeleiteter Tätigkeit

QN 2 (Pflege): Personen ohne Ausbildung mit einem 2-6monatigen Pflegebasiskurs und 1-jähriger angeleiteter Tätigkeit; QN 2 (Betreuung): Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI und § 53c SGB XI

Qualifikationsstufe 2

QN 3: Pflegeassistenzkräfte mit 1- oder 2-jähriger Ausbildung

Qualifikationsstufe 3

QN 4: Pflegefachpersonen/-kräfte mit 3-jähriger Ausbildung

PeBeM und Mindestpersonalvorgaben der Länder: Was gilt denn nun?

Mithilfe der PeBeM kann der individuelle Personalbedarf je Einrichtung rechnerisch exakt ermittelt werden. Wichtig: Die Personalschlüssel je Pflegegrad stellen künftig lediglich eine bundeseinheitliche Höchstgrenze dar, die durch die Pflegesatzvereinbarungen abgedeckt wird. Die Mindestpersonalaustattung in Einrichtungen wird weiterhin durch die Personalrichtwerte des jeweiligen Bundeslandes bestimmt.

Wie erfolgt die Zuordnung?

Die Vollzeitäquivalente und Qualifikationsstufen sind im Sozialgesetzbuch (SGB) unter § 113c SGB XI der „Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ den einzelnen Pflegegraden zugeordnet. So werden beispielsweise für einen Pflegebedürftigen des Pflegegrades 5 folgende Personalanhaltswerte vorgegeben (komplette Tabelle nachstehend):

  •     Hilfskraft ohne Ausbildung (Qualifikationsstufe 1): 0,1758 Vollzeitäquivalente
  •     Hilfskraft mit Helfer- oder Assistenzausbildung von mindestens einem Jahr(Qualifikationsstufe 1): 0,1102 Vollzeitäquivalente
  •     Fachkraft (Qualifikationsstufe 3): 0,3842 Vollzeitäquivalente

 

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,0770 –        Pflegegrad 1

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,1037 –  Pflegegrad 2

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,1551 – Pflegegrad 3

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,2463 – Pflegegrad 4

Qualifikation Pflegefachkraft (QS 3/QN 4) – Vollzeitäquivalent 0,3842 – Pflegegrad 5

 

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,0564 – Pflegegrad 1

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,0675 – Pflegegrad 2

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1074 – Pflegegrad 3

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1413 – Pflegegrad 4

Qualifikation Hilfskraft mit mindestens 1-jähriger Ausbildung (QS 2/QN3) – Vollzeitäquivalent 0,1102 – Pflegegrad 5

 

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,0872 – Pflegegrad 1

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1202 – Pflegegrad 2

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1449 – Pflegegrad 3

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1627 – Pflegegrad 4

Qualifikation Hilfskraft ohne Ausbildung (QS 1/QN 1+2) – Vollzeitäquivalent 0,1758 – Pflegegrad 5

 

Quelle: § 113c Sozialgesetzbuch (SGB XI)

 

Eine höhere personelle Ausstattung ist möglich, aber nur unter bestimmten Umständen wirtschaftlich sinnvoll. Zum Beispiel, wenn sie in der bestehenden Pflegesatzvereinbarung festgehalten wurde oder die Einrichtung ihr Ausfallmanagement über einen Personalpool reguliert.

So oder so müssen aber in der Altenpflege zunächst ausreichend Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen. Der Berufsstand benötigt ebenso eine Aufwertung wie die Ausbildungsbedingungen. Hierüber erfahren Sie mehr in meinem zweiten Blog-Beitrag zur PeBeM: Neues zur Altenpflege.

PeBeM: Neues zur Altenpflege

Ziel der Personalbemessung in der Pflege (PeBeM)

Ab 1. Juli 2023 trat die Vorgabe zur Personalbemessung in der Pflege (PeBeM) in Kraft. Ihr Ziel: Die knappen Ressourcen in der vollstationären Altenpflege sollen möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden. Deshalb definiert die PeBeM auch – anders als etwa die PpUGV in der Fachkrankenpflege – keine personellen Untergrenzen, sondern orientiert sich an den Pflegesatzvereinbarungen, deren Bemessungsgrundsätze im Sozialgesetzbuch festgehalten sind. Vorgaben zur Mindestpersonalausstattung gibt es aber auch – mehr dazu gleich im Anschluss.

Wen betrifft die PeBeM?

Die PeBeM betrifft lediglich vollstationäre Einrichtungen der Langzeitpflege. Hiervon ist besonders die Altenpflege betroffen, die den Großteil der stationären Einrichtungen ausmacht.

Im teilstationären Bereich müssen ein geringerer Anteil an Fachkraftaufgaben und Überschneidungen mit der ambulanten Pflege und dem betreuten Wohnen beachtet werden. Daher wurde von der Einführung der PeBeM als einheitliches Instrument zur Personalbemessung abgesehen.

Auch auf die ambulante Pflege ist die PeBeM nicht anwendbar, weil die durch Pflegebedürftige und deren Angehörige in Anspruch genommenen Hilfen nicht objektiv bewertet werden können.

Ermittlung des individuellen Pflegepersonalbedarfs

Die Pflegeeinrichtungen errechnen ihren individuellen Personalbedarf aufgrund der PeBeM-Kennzahlen und gleichen ihn mit den vorhandenen Ressourcen ab. Liegt eine qualitative oder quantitative Unterdeckung vor, – laut einschlägigen Studien ist die Wahrscheinlichkeit groß –, muss nachgebessert werden.

Da eine entsprechende Personalentwicklung viel Zeit in Anspruch nimmt, gilt für die tatsächliche Umsetzung der PeBeM in den Einrichtungen ein Übergangszeitraum bis 2025.

Eine bundeseinheitliche Regelung zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs existierte vor der PeBeM nicht. Stattdessen schrieb eine Fachkraftquote von 50% pauschal den Anteil der Pflegefachkräfte im Personalbestand fest.

In Altenheimen herrscht ein individueller Pflegepersonalbedarf

Außerdem definierten die einzelnen Bundesländer voneinander abweichende Personalrichtwerte, welche die Anzahl an Heimbewohnern und Pflegekräften ohne Berücksichtigung des Pflegeaufwands gegenüberstellten. Weitere landesbezogene Unterschiede erschwerten eine vereinheitlichende Regelung. Obwohl die landeseigenen Richtwerte zum Teil stark voneinander abweichen, bleiben Sie auch der vollstationären Pflege als Mindestpersonalausstattung erhalten.

Blog-Artikel PeBeM 2023: Wie geht sie eigentlich?

Wie aber werden diese Mindestpersonalausstattung und die optimale Personalausstattung gemäß PeBeM errechnet? Auf welchen Personalkennzahlen basiert letztere? Und wo liegt der Unterschied? Diese und weitere Fragen beantwortet Ihnen mein zweiter Blog-Beitrag PeBeM 2023: Begriffe und Kennzahlen.

Die Ursprünge der PeBeM

Zwar wurden in der Vergangenheit mehrere Versuche unternommen, ein Verfahren zur Vereinheitlichung einzusetzen. Bereits bei Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 stand die Personalbemessung von Pflegeheimen zur Debatte.

Allerdings scheiterten alle bisherigen Ansätze – auch deshalb, weil stets die Belastung der Pflegekräfte und die Pflegekosten im Mittelpunkt standen, nicht aber die Qualität der Pflege.

Das Pflegestärkungsgesetz II vom 1. Januar 2016 sollte Abhilfe schaffen. Es hat grundlegende Veränderungen und Verbesserungen im Pflegesystem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zum Inhalt.

Unter anderem schrieb es verbindlich die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Personalbemessung vor, das die knappen Personalressourcen optimal zu verteilen vermag. Nach einer europaweiten Ausschreibung wurde schließlich der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen mit dieser Aufgabe betraut.

Rückschau: Gescheiterte Modellverfahren zur Pflegebedarfsermittlung

Schon 1996 wurde das Standard-Pflegesatz-Modell (SPM) ersonnen. Aufgrund massiver Kritik wegen inhaltlicher Fehler – unter anderem bei der Berechnung der Stundensätze und Zuschläge – wurde das Modell ebenso wie das in Kanada entwickelte PLAISIR-Verfahren wieder verworfen. Allerdings lieferte das SPM wertvolle Erkenntnisse, die in die Entwicklung von Prof. Rothgangs Bemessungsverfahren einflossen. Unter anderem die, dass die Jahresnettoarbeitszeit nicht als fixe Größe, sondern als variabler Parameter eingebaut werden sollte.

Der Algorithmus und die Erkenntnisse der Rothgang-Studie

Sein Team wertete zunächst im Rahmen einer Studie große Mengen von Daten aus, die in 62 Pflegeeinrichtungen gesammelt worden waren, etwa die Anzahl der Bewohner und Betreuungspersonen sowie die erfolgten Interventionen (pflegerische Aktivitäten). Auf deren Grundlage wurde ein Algorithmus entwickelt, der anhand der Anzahl und des Pflegegrades der Heimbewohner exakt die zur Betreuung benötigten Pflegekräfte und deren erforderliche Qualifikation (QN) errechnet.

Diese Soll-Zahlen wurden innerhalb der Studie mit dem Ist-Zustand in den untersuchten Einrichtungen abgeglichen. Das ernüchternde, wenngleich kaum überraschende Ergebnis: Dort herrscht ein gewaltiger personeller Mehrbedarf. Um eine gute Versorgung gemäß PeBeM gewährleisten zu können, müssten die Einrichtungen ihr Personal um satte 36% aufstocken.

Der Personalbestand innerhalb der Einrichtungen wurde mit den Soll-Zahlen abgeglichen.

Die Nachtwache bleibt außen vor

Nicht nur die ambulante und teilstationäre Versorgung ist von der PeBeM ausgeklammert, sondern auch eine einheitliche Regelung zur Personalbesetzung im Nachtdienst. Diese ist nämlich ebenfalls Ländersache – mit „teils katastrophalen und gesundheitsgefährdenden Folgen“ (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest). Nur in vier Bundesländern existierten demnach konkrete Vorgaben für die Besetzung mit Pflegefachpersonen in den Nachtstunden.

Raritäten in der Altenpflege: Assistenzkräfte

Der personelle Ressourcenmangel machte sich während der durchgeführten Studie unter anderem dadurch bemerkbar, dass notwendige Interventionen oder Teilschritte wie das Desinfizieren der Hände aus Zeitmangel nicht durchgeführt wurden.

Besonders hoch ist mit 69% der Mehrbedarf bei den Pflegeassistenzkräften. Das hängt maßgeblich damit zusammen, dass sie ebenso wie ungelernte Hilfskräfte nicht zu den Fachkräften zählen und beispielsweise keine Medikamente ausgeben dürfen. Logischerweise wurden die vergleichsweise teure Assistenzkräfte in den letzten Jahren kaum eingestellt.

Die PeBeM bedenkt sie nun mit einer eigenen Qualifikationsstufe (QN 3) und wertet ihre Tätigkeit somit gegenüber den ungelernten Pflegehilfskräften auf.

Der Schlüssel zu einer verbesserten Pflege liege neben der reinen Personalmengensteigerung vor allem in der Organisations- und Personalentwicklung, so Rothgang. Da sich viele erfahrene, jedoch nur mit QN 1 eingestuften Pflegehilfskräfte aufgrund der genannten Problematik die Ausbildung zum einjährigen Pflegeassistenten (QN 3) erspart hatten, müssen die Pflegeeinrichtungen sie nun aktiv dazu anhalten, diese Qualifizierung doch noch zu durchlaufen.

Rollenspiel: Delegieren für Anfänger

Qualifizierte Fachkräfte wiederum wandten im Untersuchungszeitraum einen großen Teil ihrer sogenannten Fachkraftzeit für Interventionen im falschen QN auf, die auch geringer qualifizierte Helfer hätten ausführen können. Die Methode „Jeder macht alles“ müsse künftig – nicht nur in der Altenpflege – durch eine kompetenzorientierte Pflege ersetzt und die Rolle von Pflegefachkräften und deren Aufgaben wie Planung, Anleitung, Beaufsichtigung, Evaluation und Delegation klarer definiert werden.

Ein Umdenken ist erforderlich. Die Pflegefach- und Assistenzkräfte sollten nach Professor Rothgangs Meinung zunächst ihre neuen Rollen annehmen und manche Aufgaben an Hilfskräfte abgeben. Darüber hinaus müssten alle Pflegekräfte wieder lernen, ohne Hetze zu arbeiten. Ob das beim vorherrschenden Personalmangel – laut der Studie besteht in der Pflege ein Mehrbedarf von über 100.000 Vollzeitäquivalenten – ein machbares Ziel ist?

Um schrittweise zusätzliches Pflegepersonal gewinnen zu können, wurden seit Beginn 2021 durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einer ersten Personalausbaustufe 20.000 zusätzliche Stellen für Assistenzkräfte von der Pflegeversicherung finanziert. Ab Juli 2023 folgen Stufe 2 und ab 2025 mögliche weitere Ausbaustufen. Ein früheres Stellenprogramm mit 13.000 Stellen für Pflegefachpersonen läuft bereits seit Anfang 2019.

Das klingt nach einem Plan. Zumindest so lange, bis man den Soll-Zahlen den Istbestand gegenüberstellt. Denn bei den Pflegefachkräften wurden im Jahr 2019 lediglich rund 4.000 sogenannte Kopfstellen finanziert und damit 2.800 Vollzeitäquivalente geschaffen. Außerdem wurden 2021 nur etwa 4.400 Stellen für Pflegehilfskräfte bewilligt.

Verbesserung der Ausbildungsbedingungen

Neueinstellungen und organisatorische Änderungen sind immerhin ein Anfang. Allerdings sei aber auch die Schaffung adäquater Ausbildungsstrukturen eminent wichtig, so Rothgang weiter.

Bereits vor Jahren beklagte der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe e. V. (BLGS) einen deutlichen Lehrermangel in der Pflege und eine zunehmende Verschlechterung in der Qualität der Ausbildung. Er forderte daher einen „Hochschulpakt Pflegebildung“, der beispielsweise unbefristete Stellen für Lehrbeauftragte und dauerhaft ausfinanzierte Studienplätze beinhalten sollte.

Um die Einführung der neuen Pflegeausbildungen nach dem Pflegeberufegesetz zu unterstützen, starteten das Bundesfamilien-, das Bundesgesundheits- und das Bundesarbeitsministerium bereits 2019 die „Ausbildungsoffensive Pflege“.

Eines der Ziele: Werbung für eine Ausbildung in der Pflege. Außerdem sollten gut ausgebildete und engagierte Pflegefachkräfte qualifiziert und Pflegeschulen sowie ausbildende Einrichtungen bei der Umstellung auf die neuen Ausbildungen unterstützt werden.

Pflegekräfte: Viel Glück beim Ausbildungsbeginn!

Für die Zeitdauer der „Ausbildungsoffensive Pflege“ (2019-2023) war ein Zuwachs von 10% angedacht. Tatsächlich stiegen die Ausbildungszahlen für Pflegekräfte 2021 jedoch nur um 7% – viel zu wenig. Zumal laut „Ausbildungsreport Pflegeberufe 2021“ der Gewerkschaft ver.di gerade mal 43% der befragten Auszubildenden mit ihrer Ausbildung zufrieden sind. Zum Vergleich: Auszubildende in anderen Berufen erreichen im Schnitt Prozentwerte von über 70% Zufriedenheit.

Der Personalmangel und die chronische Unterbesetzung in der Pflege machen sich bereits in der Ausbildung bemerkbar: Fast zwei Drittel der Auszubildenden in der Altenpflege klagen über permanente und hohe Belastungen, Überstunden und darüber, dass ihre Praxisanleiter keine Zeit zum Anlernen haben. Schlechte Vorzeichen für den Berufseinstieg.

Wie so oft in den letzten Jahren, droht die Pflege auch diesen Wettlauf gegen den zunehmenden Bedarf zu verlieren. Denn unsere Gesellschaft altert rapide – und mit ihr die Pflegekräfte. In manchen Einrichtungen gehören mehr als ein Drittel der Pflegekräfte der Gruppe Ü50 an. Treten Sie ihre Rente an, dürften die nachrückenden Berufsabsolventen zahlenmäßig bei weitem nicht ausreichen, ihr Ausscheiden zu kompensieren.

Falls nicht bald eine Lösung zur Behebung des Pflegenotstands gefunden wird, werden sie sich auch im hohen Alter noch mit ihm konfrontiert sehen – dann aus Patientensicht.

Corona to go

Und wieder eine neue Idee im Kampf gegen Corona. Abschaffung der Quarantäne für Kontaktpersonen und deren Reduzierung auf fünf Tage für infizierte Personen. Freitesten? Ach was, kalter Kaffee. Genesende 2.0 haben es drauf, sich selbst zu diagnostizieren. Quarantäne > 5 Tage nur bei schweren, anhaltenden Symptomen. Alles klar?

Django testet heute nicht

Nicht wirklich. Was sind denn schwere Symptome und wo zieht man da eine Grenze? Bislang galten Husten, Niedergeschlagenheit, eine dauerhaft laufende Nase und ein rauer Hals als mögliche Corona-Symptome. Die aber empfindet ja jeder Mensch anders. Während Kollege A auch in der Zeit vor Corona schon beim kleinsten Krächzen zum Arzt lief, schleppt sich Kollegin B seit eh und je mit Grippe zur Arbeit und lästerte über Männerschnupfen.

So also wird es in Zukunft wieder sein. Vorbei die Zeiten, in denen man Corona eine größere Gefahr für die Gesundheit bescheinigte und damit eine größere Bedeutung beimaß als einer Erkältung oder Grippe. Merke: Bei einer Erkältung lässt man sich krank schreiben. Bei Corona geht man einfach wieder arbeiten, wenn man weitgehend symptomfrei bleibt. Schon deshalb, weil man sonst möglicherweise Ärger mit den Vorgesetzten bekommt.

Ein bisschen Spaß muss sein

Lebt euch aus und sorgt euch nicht länger, dies scheint uns die Regierung mit ihrem Radikalschwenk sagen zu wollen. Zumindest der Teil von ihr, der nicht als Minister im Gesundheitsministerium sitzt und weiterhin vor der nächsten Welle mahnt.

Nicht wenige Fachleute warnen vor diesen Wellen und Varianten. Im Herbst erwartet man einen Anstieg der Infektionen, Intensivpatienten und Sterbefälle. Aber bis dahin wird man ja wohl noch seinen Spaß haben dürfen, gerade in Zeiten wie diesen, in denen unklar ist, ob nicht doch noch ein Weltkrieg oder zumindest eine funktionslose Heizung droht.

Gesundheitspolitik? Welche Ges…?

Ist die Abkehr von Tests und Quarantäne die neue Normalität, von der so oft die Rede ist? Oder bloß eine Zwischenepisode im Trauerspiel Gesundheitspolitik, in dem man es innerhalb von 2 Jahren nicht nur versäumt hat, ein funktionierendes Konzept gegen Neuinfektionen zu entwickeln, sondern auch einen Plan B für weitere Lockdowns, die immerhin möglich sind.

Und es außerdem schaffte, einem Teil der ohnehin viel zu wenigen Pflegefachkräfte in Deutschland die letzte Motivation zu nehmen. Durch Hinhaltetaktik, falsch verteilte und eher symbolische Prämien, Ignoranz. Von bis zu 20% Berufsaussteigern ist die Rede, das wahre Ausmaß wird wohl erst mit der Zeit zum Vorschein kommen.

Wohl dem, dem Pflege erspart bleibt.

 

Finde den Fehler

Frage: Wie geht eine Anmache à la Lauterbach? Antwort: „Soll ich dir mal meine Absagen-Sammlung zeigen?“

So, nun ist also die nächste Impfpflicht gescheitert. Zuerst waren es die Deutschen, also gesamt. Lausige Impfquote, die sich totlief. Da halfen irgendwann auch Gratiswürstchen nichts mehr. Für impfverweigernde Senioren hätte man mindestens ein Viertel Schwarzwälder Kirsch und einen Eierlikör drauflegen müssen. Aber das Budget gab das nach den Spahn’schen Maskendeals nicht mehr her.

Dann eben die

Dann waren die Pflegekräfte dran. Die sind eh schlecht auf ihren Gesundheitsminister zu sprechen, da kann man noch eine Schippe drauflegen. Doch nicht sie, sondern ihre Arbeitgeber wehrten sich gegen eine Impfpflicht. Zu groß sei der Personalmangel schon heute, man könne es sich nicht leisten, die Pflegekräfte zu irgendwas zu zwingen. Am Ende machten die noch Ernst und setzten ihre langjährigen Drohungen um, den Job zu wechseln.

Nun also die Senioren. Nicht mal die darf man zwangsweise impfen, obwohl es doch zu ihrem eigenen Schutz wäre. Es ist ein Trauerspiel.

Lauterbach vs. Lauterbach

Man fragt sich, ob Professor Karl Lauterbach selbst noch an den Sinn seiner Hauruckaktionen glaubt. Überall lockert Deutschland seine Regeln, verbrennen Menschen ihre Masken wie seinerzeit die Feministinnen ihre BHs, feiern Discos den Freedom Day mit einem Countdown. Und fordert ein gewisser Minister Karl Lauterbach eine freiwillige Quarantäne, während ein gewisser Minister Karl Lauterbach eine Impfpflicht für irgendwen fordert.

Wer kommt als nächstes dran? Teenager? Raumpfleger? Kinder unter 6 Jahren? Kleintiere? Es ist traurig, dass die eigentlich von den meisten Deutschen als sinnvoll betrachtete Impfung durch immer neue, aussichtslose Vorstöße diskreditiert wird. Der Gesundheitsminister hat es versäumt, die Gefahr gegenwärtig zu halten, die vom Coronavirus ausgeht. Wer immer mehr Lockerungen zulässt und Quarantäne zur freiwilligen Angelegenheit erklärt, sollte niemandem mehr mit Impfpflicht daherkommen, um die Bevölkerung zu schützen.

Der stille Protest

Nein, der Zug ist abgefahren. Alle Chancen sind vertan, die Menschen als Solidargemeinschaft zusammenzuhalten. Viele sind enttäuscht und fühlen sich über den Tisch gezogen. 3-G-Menschen, die doppelt geimpft und geboostert sind, ihre Kontakte verloren haben und selbst mit den eigenen Enkeln mittlerweile nur noch per WhatsApp kommunizieren. Wofür das Ganze, wenn einen künftig Corona-positive Menschen ganz offiziell anhusten und anstecken dürfen?

Es macht Mut, wenn im Supermarkt auch ganz ohne Zwang alle Kunden weiterhin Maske tragen. Ob aus Angst, aus Trotz oder weil es ihnen schlicht nichts ausmacht, sich und alle anderen für eine halbe Stunde etwas besser zu schützen. Es ist ein Zeichen stiller Rebellion gegen eine Politik, die sich in Gesundheits-Anarchie versucht. Die Öl in dasselbe Feuer gießt, das sie mit Fingerhüten voller Wasser zu löschen versucht.

Jetzt mal ehrlich

Vor einem halben Jahr noch schien eine generelle Impfpflicht eine gute Idee zu sein. Inzwischen aber ist sie zur Farce geworden. Zumal sie wesentlich schlechter gegen Infizierungen hilft als beispielsweise eine FFP2-Maske. Die Maskenpflicht aber hat man großzügig abgeschafft. Während Deutschland die höchsten Inzidenzen ever aufweist. Und die freiwillige Quarantäne wäre wohl auch durchgesetzt worden, hätten nicht Krankenkassen und Arbeitgeberverbände ihr Veto eingelegt.

Man sollte im Gesundheitsministerium wenigstens so ehrlich sein, zu kapitulieren. Vor der Wirtschaft, den Querdenkern und all den Menschen, denen die Gesundheit ihrer Mitbürger scheißegal ist. Und nicht so tun, als versuche man tatsächlich, diese zu schützen.

Hü oder hott?

Absurder geht immer. Nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) selbst den Vorschlag  zur freiwilligen Isolierung coronainfizierter Menschen unterbreitet hatte, – der von den Gesundheitsministern von Bund und Ländern angenommen wurde -, überlegte er es sich wenige Tage später anders – und zog ihn nun wieder zurück.

„Der Fehler lag bei mir und hat nichts mit der FDP oder Lockerung zu tun“, ließ Lauterbach auf Twitter verlauten. Eigentlich habe er die Gesundheitsämter entlasten wollen, stattdessen sei aber ein „falscher Eindruck“ entstanden.

Ja, wie denn nun?

Nun ist es einerseits löblich, dass ein Minister Fehler einräumt und korrigiert. Man muss sich allerdings die Frage stellen, weshalb zunächst eine Entscheidung gefällt und bekannt gemacht wird – und die Faktenlage erst später geprüft wird. Zumal Karl Lauterbach in Pressekonferenzen stets zu einem vorsichtigen Vorgehen tendiert, wenn es um Lockerung der Corona-Maßnahmen geht.

Schon seit einiger Zeit klafft eine Lücke zwischen der in den Medien verkündeten Meinung des Bundesgesundheitsministers und den Aussagen und Entscheidungen, die sein eigenes Ministerium trifft. Hier der Mahner Lauterbach, der weiterhin vor Wellen und hohen Infektionszahlen warnt, dort der Minister Lauterbach, der keine sichtbaren Anstrengungen unternimmt, dem Geschehen Herr zu werden – beispielsweise durch bundeseinheitliche Regelungen.

KL und die Impfpflicht

Eine Impfpflicht für alle Bürger ist längst vom Tisch. An der für Pflegekräfte hält Lauterbach aber weiterhin fest. Auch sollten sie von der freiwilligen Isolation ausgenommen werden. Als gäbe es außerhalb von Kliniken und Pflegeheimen keine Senioren, Kinder oder Kollegen, die sich infizieren und erkranken können.

Überhaupt fühlen sich die Pflegekräfte, die das Gesundheitssystem seit Jahren stützen, obwohl längst fällige Reformen immer wieder aufgeschoben werden, von Karl Lauterbachs Politik mehr und mehr ausgegrenzt. Dass er für die organisatorische und personelle Misere im Gesundheitswesen mit verantwortlich ist, macht die Sache nicht besser.

Der Zusammenhalt war mal da

Viele Menschen hatten dennoch große Hoffnungen in Lauterbach gesetzt. Seine Ernennung zum Bundesgesundheitsminister setzte ein Zeichen für all diejenigen, die über fast zwei Jahre ihre Kontakte beschränkt, für Senioren eingekauft, Einschränkungen in Kauf genommen, Impfungen absolviert und alle Regeln befolgt hatten. Für die Gemeinschaft. Gegen Corona.

Im Corona-Jahr 1 hielt ein Großteil der Bevölkerung zusammen. Sicher, es gab auch damals schon Querdenker und Lokalpolitiker, die Corona für eine Grippe ausgaben, Verschwörungstheorien entwickelten und ihre Freiheit eher bedroht sahen als ihre Gesundheit. Aber die Stoßrichtung war eindeutig, die Gesundheitspolitik Bundessache und die Außenkommunikation stimmte.

Corona in der Regierung Merkel

Letzteres nicht wegen, sondern eher trotz des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Selbst seine mangelhafte Organisation bei der Schutzmasken-, Test- oder Impfstoffbeschaffung konnte nicht überdecken, dass unter Kanzlerin Angela Merkel das Wohl der Gesundheit aller Bürger im Vordergrund des politischen Handelns stand.

Man mag von Merkel halten, was man will, aber das persönliche Einstehen für ihre Politik hat ihr und vor allem Deutschland in ihrer Amtszeit großen Respekt in der Welt eingebracht. Am Ende aber musste auch sie sich dem Föderalismus beugen, der inzwischen zu 16 gallischen Dörfern in den Grenzen der früheren Bundesrepublik geführt hat.

Corona in der Regierung Scholz

Wofür Kanzler Olaf Scholz steht, ist nicht überliefert. Zum Thema Corona hat er jedenfalls keine klare Meinung. Diese Nichthaltung unterstützt natürlich nicht unbedingt Lauterbachs Gesundheitspolitik, auch wenn beide derselben Partei angehören.

Ein großer Teil der Deutschen hat Angst. Angst vor einer Ansteckung mit Corona, davor, in dem Wirrwarr der Verordnungen etwas falsch zu machen, sich offen über etwas Schönes zu freuen, während nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch Corona weiterhin Tote fordert, Angst vor Fremden, Angst vor Freunden.

Der letzte Funke Hoffnung

Noch immer hoffen diese Menschen auf Karl Lauterbach. Darauf, dass er den Weg aus seiner Kummerecke heraus findet und die Gesundheitspolitik wieder in die Hand nimmt. Die forschen Landesminister in ihre Schranken weist, die im Wahljahr 2022 ihre Chance zur Profilierung sehen. Sie vertrauen Lauterbach, weil er trotz seiner gelegentlich an Schizophrenie grenzenden, auseinander klaffenden Aussagen noch der vernünftigste und umsichtigste Gesundheitspolitiker zu sein scheint.

Die Hoffnung schwindet. Und dürfte im Herbst begraben werden, wenn die nächste große Corona-Welle das Land erschüttert. Hoffen sollten wir trotzdem: Dass wir das Corona-Virus irgendwann besiegen werden. Trotz oder wegen Karl Lauterbachs gegenwärtig verwirrender Gesundheitspolitik.

 

Lauterbach warnt

Er warnt also. Vor der 4. Welle, Personalausfällen in kritischer Infrastruktur, einem Anstieg der Sterbezahlen und davor, die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie zu unterschätzen.

Bereits vor einigen Tagen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sich kritisch gegenüber einer Beendigung der Corona-Schutzmaßnahmen zum 20. März 2022 ausgesprochen. Auch nach diesem Termin bräuchten die Bundesländer mehr Instrumente zur Pandemiebekämpfung als Testen und Masken tragen.

„Das reicht bei weitem nicht aus, um auf künftige Wellen zu reagieren“, so Lauterbach. Sie müssten „vielmehr in der Lage sein, in regionalen Hotspots durch Zugangsbeschränkungen Zusammenkünfte sicherer zu machen“. Die Instrumente müssten über den Bereich von Kliniken und Pflegeeinrichtungen hinausgehen.

Das ist ja alles schön und gut und wahrscheinlich auch richtig. Allerdings muss man sich die Frage stellen, worin der Unterschied zwischen dem mahnenden Virologen Lauterbach aus 2021 und dem Bundesgesundheitsminister Lauterbach des Jahres 2022 liegt. Es scheint, als habe ein Bundesministerium in diesem Land keine übergeordnete Entscheidungsbefugnis mehr.

Doch wer, bitte, soll denn über Pandemie-Maßnahmen entscheiden, die ja nicht an den Grenzen einzelner Bundesländer Halt machen – wenn nicht das Bundesgesundheitsministerium? Wie erklärt Lauterbach seinen europäischen Amtskollegen, dass der Föderalismus in Deutschland bundeseinheitliche Regelungen zum Schutz der (Welt-)Bevölkerung verhindert?

Nach einem Drei-Stufen-Plan von Bund und Ländern werden nach gegenwärtigem Stand die meisten Corona-Einschränkungen bis zum 20. März fallen. Die bundesweite Rechtsbasis für solche Maßnahmen läuft am 19. März aus. Ein Basisschutz zum Beispiel mit Maskenpflichten in Innenräumen, Bussen und Bahnen und mit Tests soll jedoch weiter möglich bleiben. Dafür müsste eine neue, bundesweite Rechtsgrundlage geschaffen werden.

Erschreckend, dass die Gesundheit Deutschlands und Europas in den Händen einzelner MinisterpräsidentInnen liegt. Zumal in einigen Bundesländern Wahlen vor der Tür stehen und sich kein Kandidat mit Maskenpflicht und einer Verlängerung der Corona-Maßnahmen unbeliebt machen möchte.

Unsere Gesundheit ist ein lokales Politikum. So wie die Bildung unserer Kinder. Am besten legen wir auch die Klima- und Energiepolitik in die Hände unserer fähigen Landespolitiker. Dann können Außenpolitiker und Präsidenten künftig ihren Staatsbesuch auf 3 Wochen ausdehnen und mit 16 LandeschefInnen über Weltpolitik diskutieren.

Angela Merkel wirkte in den letzten Monaten ihrer Amtszeit müde und zuweilen mutlos. Es ist ihr nicht zu verdenken angesichts eines föderalen Systems aus Zwergstaaten, deren MinisterpräsidentInnen eine einheitliche Bundespolitik mit Wonne zerpflücken.

Ob Karl Lauterbachs Warnungen hilfreich sind, die nächste Welle zu brechen? Man darf es bezweifeln.

Definitiv unentschlossen

Blickt noch jemand durch?

Ausscheren im Föderalismus

Wo steckt die Regierung?

Parallelwelten und Weiße Häuser

Liest man quer über die Tagesnachrichten, gewinnt man oft den Eindruck, die Gesellschaft bewege sich in Parallelwelten. Links ein Artikel über prominente Virologen, die vor verfrühten Lockerungen warnen, rechts konservative Politiker, die frühe Lockerungen fordern. Oben Lauterbach, der Pflegekräfte  auffordert, es beim Impfen ihren PatientInnen gleichzutun, unten Söder, der in Bayern die selbst mitbeschlossene Impfpflicht für Pflegekräfte aussetzt.

Hier die neue Impfkampagne der Bundesregierung, dort die wöchentliche Querdenker-Demo. Und so weiter. Von den mittlerweile irren Schutzregeln ganz zu schweigen. 20.000 immunisierte Menschen im Stadion sind ebenso okay wie 1.000 in Veranstaltungshallen. Zu Omas Geburtstagsfeier darf man aber nur 9 Gäste einladen.

Eine ganz eigene Logik

Verstärkt wird wieder auf Abstandsregeln hingewiesen, während unsere Kinder reihenweise in den Schulen verheizt werden, wo sich die Corona-Fälle trotz Lüftens mehren und sich die Reihen lichten, weil sich viele Schüler in Quarantäne begeben müssen. Womit dann wiederum Ansteckungen im privaten Bereich vorprogrammiert sind. Die man aber ja dank der kurzen Gästeliste zu Omas Geburtstag klein hält. Ah ja.

Es verwundert bei solchem Wirrwarr nicht, dass mittlerweile auch durchgeimpfte, vorsichtige Bürger eine Entscheidung fordern – und sei es die komplette Aufhebung der ohnehin nur noch halbherzigen Schutzmaßnahmen. Denn dass diese uns nicht vor einer Durchseuchung (allein das Wort ist schon menschenverachtend) zu schützen vermögen, ist inzwischen jedem klar.

Sind die Schutzmaßnahmen unser Weißes Haus?

Dann lieber den Reset-Knopf drücken und das Land neu hochfahren? Corona bestrafen, indem wir ihm alle Türen öffnen? Jeden Bürger mit ihm infizieren und abwarten, ob das gut geht? Eine gewagte Strategie, die bildhaft gesprochen an den Sturm auf das Weiße Haus in Washington vor einem Jahr erinnert.

Damals ließ man den nach Präsident Trumps Abwahl aufgebrachten, republikanischen Mob widerstandslos das Allerheiligste der amerikanischen Legislative besetzen. In der Hoffnung, dass ihm bald langweilig würde und er ohne Schaden anzurichten wieder gehen möge. Doch die Eindringlinge verhielten sich nicht friedlich. Es gab Tote und Verletzte, viele Menschen bangten um ihr Leben und wurden nachhaltig traumatisiert.

Der Riss

Noch immer sind die Langzeitfolgen nicht einschätzbar, doch sie sind schon jetzt gewaltig. Denn der Sturm aufs Weiße Haus hat einen Riss in der amerikanischen Gesellschaft hinterlassen. Wenn man seinen Mitmenschen nicht mehr trauen kann, – seinem Bruder, seiner Lehrerin, seinem Nachbarn -, muss man lernen, mit der Unsicherheit zu leben.

Auch in Deutschland klafft bereits ein Graben zwischen den Menschen und ihren Ansichten darüber, was jeder Einzelne der Gesellschaft oder der eigenen Freiheit schuldig ist. Viele Mitmenschen sind uns fremd geworden oder – schlimmer noch – rufen den Verdacht hervor, sie nie richtig gekannt zu haben. Der Lack ist ab. Nun sehen wir einander bestätigt oder mit anderen Augen.